· Vatikanstadt ·

Audienz für die Teilnehmer am V. Weltkongress der Benediktineroblaten und -oblatinnen

Das weite Herz ist ein Merkmal benediktinischen Geistes

 Das weite Herz ist ein Merkmal benediktinischen Geistes  TED-038
22. September 2023

Vom 9. bis 16. September fand in Rom der fünfte Internationale Kongress der Benediktineroblaten statt. Er stand unter dem Thema: »Im Aufbruch – Die Weisheit der Regel leben«. Tagungsort war zum ersten Mal die Benediktinerabtei Sant’Anselmo auf dem Aventin. Vorträge, Austausch und auch Exkursionen zu den Orten des heiligen Benedikt standen auf dem Programm. Am
11. September besuchten die circa 150 Oblaten und Oblatinnen aus 25 Ländern Montecassino, um am Grab des heiligen Benedikt, dem Begründer des westlichen Mönchtums zu beten. Bei der Audienz sagte Papst Franziskus:

Liebe Brüder, liebe Schwestern,

guten Tag!

Ich heiße euch willkommen und freue mich, aus Anlass eures Weltkongresses mit euch zusammenzutreffen.

»In seinem familiären und sozialen Umfeld erkennt der Benediktineroblate die Gabe Gottes und nimmt sie an […], indem er den eigenen Weg an den Werten der Heiligen Regel und der geistlichen monastischen Tradition inspiriert«, so heißt es in den Statuten [der italienischen Benediktineroblaten] unter Absatz 2. Ich denke an euer Charisma und glaube, dass es sich in gewisser Weise in einem sehr schönen Wort des heiligen Benedikt zusammenfassen lässt, der dazu auffordert, »ein weites Herz [dilatato corde] zu haben durch das unsagbare Glück der Liebe« (vgl. Prolog der Regel, V. 49).

Wie schön: ein vom unsagbaren Glück der Liebe geweitetes Herz! Dieses weite Herz ist ein Merkmal des benediktinischen Geistes, der die Spiritualität der westlichen Welt durchdrungen und sich dann auf allen Kontinenten verbreitet hat. Dieser Ausdruck des »weiten Herzens« ist sehr wichtig! Dieses Charisma ist im Laufe der Jahrhunderte reich an Gnaden, weil seine Wurzeln so stark sind, dass der Baum gut wächst, den Stürmen der Zeit widersteht und die köstlichen Früchte des Evangeliums trägt. Ich glaube, dass dieses weit gewordene Herz das Geheimnis des großen Evangelisierungswerks ist, das das benediktinischen Mönchtum vollbringt, und zu dem ihr als Oblaten verpflichtet seid, »hingegeben« auf den Spuren des großen heiligen Abtes. Ich möchte daher mit euch kurz über drei Aspekte dieser »Herzenserweiterung« nachdenken: die Suche nach Gott, die Leidenschaft für das Evangelium und die Gastfreundschaft.

Das benediktinische Leben ist vor allem gekennzeichnet von einer kontinuierlichen Suche nach Gott, nach seinem Willen und dem Wunderbaren, das er tut. Diese Suche geschieht vor allem im Wort Gottes, von dem ihr euch jeden Tag in der Lectio divina nährt, aber auch, in der Betrachtung der Schöpfung und wenn ihr euch von den alltäglichen Ereignissen herausfordern lasst, wenn ihr die Arbeit als Gebet lebt, so dass ihr die Instrumente eures Handelns zu Werkzeugen des Segens macht, und schließlich in den Menschen, in den von der Vorsehung gefügten Begegnungen mit den Brüdern und Schwestern. In alledem sollt ihr Gottsucher sein.

Ein zweites wichtiges Merkmal ist die Leidenschaft für das Evangelium. Nach dem Beispiel der Mönche ist das Leben derer, die sich auf den heiligen Benedikt berufen, ein hingegebenes, intensives, in Fülle gelebtes Leben. Wie die Mönche, die das Terrain, wo sie leben, urbar machen, und deren Tage geprägt sind von Arbeitsamkeit, so seid auch ihr berufen, dort, wo ihr lebt, das alltägliche Umfeld zu verwandeln, indem ihr als Sauerteig mit Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein und zugleich mit Sanftmut und Leidenschaft arbeitet. Das Zweite Vatikanische Konzil beschreibt diese missionarische Leidenschaft sehr gut, wenn es über die Rolle der Laien in der Kirche spricht und sagt, dass sie berufen sind »in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen […], wie ein Sauerteig […] von innen her« (Lumen gentium, 31). Denken wir in dieser Hinsicht an die Bedeutung, die die Präsenz des Mönchtums in der Zeit des Übergangs vom Zusammenbruch des Römischen Reiches bis zur Entstehung der mittelalterlichen Gesellschaft hatte, mit seinem am Evangelium ausgerichteten Lebensmodell des »ora et labora«, mit der friedlichen Bekehrung und Integration zahlreicher Volksgruppen. Dieser Eifer entsprang der Leidenschaft für das Evangelium, und auch das ist ein für euch sehr aktuelles Thema. Denn in der heutigen Zeit – in einer globalisierten und dennoch zersplitterten Welt, die oberflächlich und dem Konsum hingegeben ist, wo die familiären und sozialen Wurzeln sich zuweilen aufzulösen scheinen – braucht man keine Christen, die mit dem Finger auf andere zeigen, sondern leidenschaftliche Zeugen, die das Evangelium »im Leben durch das Leben« ausstrahlen. Und das ist immer die Versuchung: von Christen, die Zeugen sind, zu Christen zu werden, die anklagen. Nur einer ist es, der anklagt: der Teufel. Schlüpfen wir nicht in die Rolle des Teufels, sondern nehmen wir die Rolle Jesu an, begeben wir uns in die Schule Jesu und der Seligpreisungen.

Das dritte Merkmal der benediktinischen Tradition, auf das ich eingehen möchte, ist die Gastfreundschaft. In der Regel widmet der heilige Benedikt ihr ein ganzes Kapitel (vgl. Kapitel 53: Die Aufnahme der Gäste), das mit den folgenden Worten beginnt: »Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: ›Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen‹ (Mt 25,35)« (V. 1). Venit hospes, venit Christus. Und er fährt fort, indem er einige konkrete Haltungen beschreibt, die von Seiten der gesamten Gemeinschaft gegenüber den Gästen einzunehmen sind: Sie sollen ihnen »voll dienstbereiter Liebe entgegengehen; […] miteinander beten und dann als Zeichen der Gemeinschaft den Friedenskuss austauschen« (V. 3), das heißt mit ihnen das Kostbarste zu teilen. Und dann spricht Benedikt auch davon, wer die »Ehrengäste« sind: »Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Fremden zeige man Eifer und Sorge, denn besonders in ihnen wird Christus aufgenommen« (V. 15): die Armen und die Fremden.

Für euch als Oblaten ist die Welt, die Stadt, der Arbeitsplatz euer großes Kloster, und dort seid ihr aufgerufen, ein Vorbild der Aufnahme zu sein, in der Achtung denen gegenüber, die an eure Tür klopfen, sowie in der besonderen Liebe zu den Armen. Das bedeutet Annahme. Die Versuchung besteht darin, sich zu verschließen, und in unserer Zivilisation, in unserer – auch der christlichen – Kultur gibt es heute eine Art und Weise, sich zu verschließen, nämlich das »Geschwätz«, das die anderen »beschmutzt«: Ich verschließe mich, weil der andere ein armer Schlucker ist…« Bitte, als Benediktiner soll eure Zunge dazu dienen, Gott zu loben, nicht um schlecht über die anderen zu reden. Wenn ihr zu einer Lebensreform fähig seid, niemals schlecht über die anderen zu reden, dann habt ihr die Tür zu eurem Heiligsprechungsprozess geöffnet! Geht auf diesem Weg voran. Zuweilen scheint es allerdings, als würde unsere Gesellschaft langsam in den versiegelten Tresorräumen des Egoismus, des Individualismus und der Gleichgültigkeit ersticken, und das Geschwätz schließt uns darin ein…

Liebe Brüder und Schwestern, mit euch gemeinsam möchte ich den Herrn preisen für das große Erbe an Heiligkeit und Weisheit, das euch anvertraut ist, und ich lade euch ein, weiterhin das Herz weit zu machen und es jeden Tag der Liebe Gottes anzuvertrauen, indem ihr niemals aufhört, ihn zu suchen, ihn mit Leidenschaft zu bezeugen und ihn in den Ärmsten aufzunehmen, die das Leben zu euch führt. Ich danke euch von Herzen für eure Oblation und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke!

(Orig. ital. in O.R. 15.9.2023)