Liebe Brüder und Schwestern,
guten Morgen!
Ich danke euch von Herzen für den Empfang, den Gesang und den Tanz, für eure Willkommensgrüße und für eure Zeugnisse! Ich glaube, sie lassen sich gut mit einigen Worten Jesu zusammenfassen: »Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben« (Mt 25,35). Damit zeigt uns der Herr das Kriterium für das Erkennen seiner Gegenwart in der Welt, und die Voraussetzung, um beim Jüngsten Gericht in die endgültige Freude seines Reiches einzugehen.
Die Kirche hat diese Wahrheit von Beginn an ernst genommen und durch ihr Tun bekundet, dass die karitative Dimension identitätsstiftend für sie ist. Die karitative Dimension ist identitätsstiftend für die Kirche. Ich denke an die Erzählungen in der Apostelgeschichte mit den zahlreichen Initiativen, die von der ersten christlichen Gemeinschaft ergriffen wurden, um die Worte Jesu zu verwirklichen und so eine Kirche ins Leben zu rufen, die auf vier Säulen ruht: Gemeinschaft, Liturgie, Dienst und Zeugnis. Es ist wunderbar zu sehen, dass nach so vielen Jahrhunderten derselbe Geist die Kirche in der Mongolei durchdringt: In ihrer Kleinheit lebt sie von geschwisterlicher Gemeinschaft, Gebet, selbstlosem Dienst an der leidenden Menschheit und dem Zeugnis für den eigenen Glauben. Genau wie die vier Säulen der großen Ger, die das mittige obere Rund stützen, so dass die Konstruktion aufgerichtet bleibt und in ihrem Inneren einen gastlichen Raum bietet.
Hier sind wir also in diesem Haus, das ihr erbaut habt und das ich heute die Freude habe, zu segnen und zu eröffnen. Es ist ein konkreter Ausdruck jener Fürsorge für die Mitmenschen, mit der sich die Christen identifizieren; denn wo es Aufnahme, Gastfreundschaft und Offenheit für den Anderen gibt, atmet man den Wohlgeruch Christi (vgl. 2 Kor 2,15). Sich für den Nächsten hinzugeben, für seine Gesundheit, seine Grundbedürfnisse, seine Bildung und seine Kultur, gehört von Anfang an zu diesem lebendigen Teil des Volkes Gottes. Seit die ersten Missionare in den 1990er Jahren in Ulaanbaatar ankamen, spürten sie sofort den Aufruf zur Nächstenliebe, der sie veranlasste, sich um verwahrloste Kinder, obdachlose Brüder und Schwestern, Kranke, Menschen mit Behinderungen, Gefangene und all jene zu kümmern, die in ihren Leiden danach verlangten, aufgenommen zu werden.
Heute sehen wir, wie aus jenen Wurzeln ein Stamm gewachsen ist, Äste gesprossen und viele Früchte daraus hervorgegangen sind: Zahlreiche und lobenswerte wohltätige Initiativen, die sich zu langfristigen Projekten entwickelt haben, die hauptsächlich von den verschiedenen hier anwesenden Missionsgemeinschaften durchgeführt und von der Bevölkerung und den zivilen Behörden geschätzt werden. Im Übrigen war es die mongolische Regierung selbst, die die katholischen Missionare um Hilfe gebeten hatte, um die zahlreichen sozialen Notlagen eines Landes zu bewältigen, das sich damals in einer heiklen Phase des politischen Übergangs befand, die geprägt war von weit verbreiteter Armut. An diesen Projekten sind auch heute noch Missionare und Missionarinnen aus vielen Ländern beteiligt, die ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihre Ressourcen und vor allem ihre Liebe in den Dienst der mongolischen Gesellschaft stellen. Ihnen und allen, die diese vielen guten Werke unterstützen, gilt meine Bewunderung und mein sehr herzliches »Danke«.
Das Haus der Barmherzigkeit möchte ein Bezugspunkt für eine Vielzahl von karitativen Maßnahmen sein, die sich wie ausgestreckte Hände den Brüdern und Schwestern anbieten, die Mühe haben, die Probleme des Lebens zu bestehen. Es ist eine Art Hafen, in dem man festmachen kann, wo man ein offenes Ohr und Verständnis finden kann. Diese neue Initiative reiht sich zwar in die vielen anderen ein, die von den verschiedenen katholischen Einrichtungen unterhalten werden, und doch handelt es sich hier um eine neue Form: Hier ist es nämlich die Ortskirche, die das Werk betreibt, im Zusammenwirken aller missionarischen Gruppierungen, aber mit einer eindeutigen lokalen Identität, als echtem Ausdruck der Apostolischen Präfektur in ihrer Gesamtheit. Und sehr gut gefällt mir auch der Name, den ihr gewählt habt: Haus der Barmherzigkeit. In diesen zwei Worten steckt die Definition der Kirche, die dazu berufen ist, ein gastfreundliches Haus zu sein, in dem alle eine höhere Liebe erfahren können, die das Herz bewegt und anrührt: Die zärtliche und sorgende Liebe des Vaters, der möchte, dass wir Brüder, der möchte, dass wir Schwestern in seinem Haus sind. Ich hoffe also, dass ihr euch alle um dieses neu errichtete Werk herum scharen könnt und sich die verschiedenen Missionsgemeinschaften aktiv daran beteiligen, indem sie Personal und Mittel bereitstellen.
Damit dies geschehen kann, ist der Dienst freiwilliger Helfer unabdingbar, das heißt ein unentgeltlicher und uneigennütziger Dienst, den Menschen aus freien Stücken für die Notleidenden anbieten: nicht auf der Grundlage einer finanziellen Entschädigung oder irgendeiner Form individueller Belohnung, sondern aus reiner Liebe zum Nächsten.
Das ist die Haltung des Dienens, die Jesus uns gelehrt hat, als er sagte: »Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben«
(Mt 10,8). Eine solche Art von Dienst scheint ein verlorener Einsatz zu sein, aber wenn man sich selbst einbringt, entdeckt man, dass das, was man ohne Erwartung einer Gegenleistung gibt, nicht vergeudet ist; es wird vielmehr zu einem großen Reichtum für diejenigen, die Zeit und Energie investieren. Unentgeltlichkeit erleichtert nämlich den Geist, heilt die Wunden des Herzens, bringt uns näher zu Gott, legt die Quelle der Freude frei und hält innerlich jung. In diesem Land voller junger Menschen kann das Engagement als freiwilliger Helfer ein Weg für ein entscheidendes persönliches und soziales Wachstum sein.
Es ist des Weiteren eine Tatsache, dass auch in hoch technologisierten Gesellschaften mit einem hohen Lebensstandard das Sozialversicherungssystem allein nicht ausreicht, um alle Dienstleistungen für die Bürger zu erbringen, wenn es nicht zusätzlich Scharen von Freiwilligen gibt, die Zeit, Fähigkeiten und Ressourcen aus Liebe zu ihren Mitmenschen einsetzen. Der wahre Fortschritt der Nationen bemisst sich nämlich nicht am wirtschaftlichen Reichtum, geschweige denn daran, wie viel sie in die trügerische Macht von Waffen investieren, sondern an ihrer Fähigkeit, für die Gesundheit, die Bildung und die ganzheitliche Entwicklung der Menschen zu sorgen. Ich möchte daher alle mongolischen Bürger, die für ihre Großherzigkeit und ihre Fähigkeit zur Hingabe bekannt sind, ermutigen, sich als freiwillige Helfer zu engagieren und sich anderen zur Verfügung zu stellen. Hier, im Haus der Barmherzigkeit, habt ihr einen immer geöffneten »Fitness-raum«, wo ihr eure Sehnsucht nach Gutem üben und euer Herz trainieren könnt.
Abschließend möchte ich einige »Mythen« ausräumen. Als erstes die Annahme, dass nur reiche Leute sich im Freiwilligendienst engagieren können. Dies ist eine »Phantasie«. Die Wirklichkeit sagt das Gegenteil: Man muss nicht reich sein, um Gutes zu tun, ja, es sind fast immer die einfachen Leute, die ihre Zeit, ihren Sachverstand und ihr Herz einsetzen, um sich um andere zu kümmern. Ein zweiter Mythos, den es zu entkräften gilt ist jener, wonach die katholische Kirche, die sich in der ganzen Welt durch das große Engagement ihrer sozialen Hilfswerke auszeichnet, all dies nur zum Zwecke eines Proselytismus tut, so als ob die Sorge für andere eine Form von Überzeugungskunst wäre, mit der man andere »auf seine Seite« zieht. Nein, die Kirche kommt nicht voran durch Proselytismus, sie kommt voran durch Attraktivität. Chris-ten erkennen diejenigen, die in Not sind, und tun das Mögliche, um deren Leiden zu lindern, weil sie darin Jesus sehen, den Sohn Gottes, und in ihm die Würde eines jeden Menschen, der dazu berufen ist, ein Sohn oder eine Tochter Gottes zu sein. Mir gefällt die Vorstellung, dass dieses Haus der Barmherzigkeit zu einem Ort wird, an dem Menschen verschiedenen Glaubens und auch Nichtgläubige mit den Katholiken vor Ort zusammenarbeiten, um vielen Menschenbrüdern und
-schwestern mit Mitleid beizustehen. Das ist das Wort, Mitleid: die Fähigkeit mit dem Anderen zu leiden. Und dies wird der Staat gewiss angemessen zu schützen und zu fördern wissen. Damit dieser Traum wahr wird, ist es hier und anderswo in der Tat unabdingbar, dass diejenigen, die die öffentliche Verantwortung innehaben, solche humanitären Initiativen unterstützen und sich damit zu einer tugendhaften Zusammenarbeit für das Gemeinwohl bekennen. Schließlich gilt es noch einen dritten Mythos zu zerstreuen, nämlich den, wonach nur die wirtschaftlichen Mittel zählen, so als ob die einzige Möglichkeit, sich um andere zu kümmern, darin bestünde, bezahlte Mitarbeiter zu beschäftigen und in große Einrichtungen zu investieren. Natürlich verlangt karitatives Handeln Professionalität, aber wohltätige Initiativen müssen nicht zu Unternehmen werden, sondern sollen die »frische Lebendigkeit« der Werke der Nächs-tenliebe behalten, wo diejenigen, die in Not sind, Personen finden, die fähig sind zuzuhören, die fähig sind mitzuleiden, jenseits einer wie auch immer gearteten Vergütung.
Mit anderen Worten: Um wirklich Gutes zu tun, ist es unerlässlich, ein gutes Herz zu haben, ein Herz, das entschlossen ist, das zu suchen, was für den Anderen am besten ist. Sich nur gegen Bezahlung zu engagieren, ist keine wahre Liebe; nur die Liebe überwindet den Egoismus und lässt die Welt voranschreiten. In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend gern an eine Episode erinnern, die mit der heiligen Teresa von Kalkutta verbunden ist. Es scheint, dass ein Journalist, der sie über die übelriechende Wunde eines Kranken gebeugt sah, einmal zu ihr sagte: »Was ihr tut, ist sehr schön, aber ich persönlich würde es nicht einmal für eine Million Dollar tun.« Mutter Teresa antwortete: »Für eine Million Dollar tue ich es ebenfalls nicht. Ich tue es aus Liebe zu Gott!« Ich bete, dass diese Haltung der Unentgeltlichkeit der Mehrwert des Hauses der Barmherzigkeit sein möge. Für all das Gute, das ihr getan habt und tun werdet, danke ich euch von Herzen – danke, vielen Dank! – und ich segne euch. Und bitte seid so lieb und betet für mich. Danke.