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Leitartikel des Direktors unserer Zeitung

Der Himmel und das Zelt

 Der Himmel und das Zelt  TED-036
08. September 2023

Bei der ersten Ansprache in der Mongolei, die an die zivilen Autoritäten gerichtet war, bat Franziskus um den Frieden und bezeichnete dabei das ostasiatische Land ein »an Geschichte und Himmel reiches Land«. Anschließend sprach der Papst über den Blick: »Wenn man in einen traditionellen Ger eintritt, wird der Blick zur Mitte, zum höchsten Punkt hinaufgelenkt. Dort befindet sich ein Fenster zum Himmel. Ich möchte diese grundlegende Haltung betonen, die eure Tradition uns wiederzuentdecken hilft: Fähig zu sein, den Blick nach oben gerichtet zu halten. Die Augen zum Himmel erheben – zu dem ewigen blauen Himmel, den ihr schon immer verehrt – bedeutet, in einer Haltung bereitwilliger Offenheit für die religiösen Lehren zu bleiben.« Der Ger ist das Zelt, in dem die meisten Bewohner der Mongolei leben, die zum großen Teil Nomaden sind.

Die Reise des Papstes stellt sich bereits in den ersten Etappen nicht nur als Ortswechsel dar, sondern auch als Zeitreise. Wir bewegen uns in einem »Anderswo«, das nicht nur Tausende Kilometer entfernt ist, sondern auch die Möglichkeit bietet, eine echte, tiefe, erneuernde Erfahrung zu machen. Der Papst hatte in seinen Worten auf dem Hinflug alle eingeladen, diese Möglichkeit zu nutzen und in die Dimension der Stille »einzutreten«, die das besondere Merkmal »eines kleinen Volkes in einem großen Land« ist: »Ich glaube, es wird uns guttun, diese so lange und so große Stille zu begreifen. Das wird uns helfen, deren Bedeutung zu verstehen, aber nicht auf intellektuelle Weise, sondern mit unseren Sinnen. Die Mongolei versteht man mit den Sinnen.« Um den Sinnen zu helfen, schlug der Papst vor, die Musik von Alexander Borodin zu hören. Dieses vielseitige russische Genie des 19. Jahrhunderts war sowohl Chemiker als auch Komponist und erlangte unter anderem durch seine sinfonische Dichtung »Eine Steppenskizze aus Mittelasien« Berühmtheit. Eine Musik, die es erlaubt, jene Stille zu »hören«, an die die Menschen im Westen nicht mehr gewöhnt sind, eingeschlossen in ihre Häuser und Wohnungen. In der Mongolei dagegen gibt es das Zelt, das nicht geschlossen ist, sondern offen, weil das Fenster sich oben befindet, an der Decke, und so wird der Himmel zur Decke, das ewige Blau des Himmels.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das zum Himmel blickt, seine anatomische Beschaffenheit erlaubt es ihm. Der »homo erectus« legt sich zum Schlafen auf den Rücken, während die Tiere kauern, und in Rückenlage kann der Mensch den Sternenhimmel betrachten und die Ur-Erfahrung des Staunens machen. Sie ist das Thema der Philosophie und der Dichtung, wie es der »Nachtgesang eines in Asien umherziehenden Hirten« von Giacomo Leopardi deutlich und in herausragender Weise zeigt. In der ers-ten Ansprache hat der Papst auf dieses »Gefühl des Staunens« verwiesen, »das Demut und Anspruchslosigkeit nahelegt und geneigt macht, sich für das Wesentliche zu entscheiden und sich von allem Unwesentlichen zu lösen«. Dies alles wird zu einem Heilmittel für eine »konsumorientierte Gesinnung«, die nicht nur »viel Ungerechtigkeit verursacht, sondern uns auch in einen Individualismus einschließt, der weder an die Anderen noch an die guten Traditionen denkt« und zudem das »gefährliche Nagen der Korruption« mit sich bringt.

Bereits die ersten Schritte des Papstes auf mongolischem Boden könnten uns so eine »Lehre« sein: die Aufforderung zu einer Umkehr des Blickes in die Höhe – zum reinen und »unkorrumpierbaren« Himmel – und auf das Wesentliche. Ein staunender, dankbarer Blick und ein auf das Wesentliche ausgerichteter, einfacher Lebensstil sind von Beginn an zwei konstante Elemente des Pontifikats des Papstes. Ein Sinnbild für beide ist das Zelt. Das Buch Levitikus enthält unter anderem die Vorschriften für das Laubhüttenfest: »Sieben Tage sollt ihr in Hütten wohnen […], damit eure kommenden Generationen wissen, dass ich die Israeliten in Hütten wohnen ließ, als ich sie aus Ägypten herausführte« (23,42-43). Der Jesuit Jean Pierre Sonnet kommentiert in seinem Essay »Das Lied von der Reise«: »Sieben Tage, um die Sicherheit der Häuser aus Ziegeln und Steinen aufzugeben und sich neu zu erfahren unter Gottes mächtiger Hand, vor allem nachts, wenn zwischen der Abdeckung aus Zweigen die Sterne hindurchschimmern. Sieben Tage, um in der Prekarität der Situation des Menschen und des Lebens in einer Hütte, Gott als Zuflucht zu erfahren. Sieben Tage, um neu zu entdecken, dass der Weg in der Wüste – und jedes Leben ist eine Wüste – in den Händen eines sicheren Führers liegt.«

Der »Sicherheit« der Häuser und Wohnungen (und wenn man will auch des Tempels) entspricht eine andere Art von Sicherheit, auf die das Zelt verweist: die kindliche Hingabe in die Hände eines Vaters, der nicht gleichgültig in den Höhen des Himmels geblieben, sondern in die Geschichte der Menschen hinabgestiegen ist, um »unter ihnen zu wohnen« – wobei man das griechische Wort für »wohnen«, »eschénosen«, auch wörtlich übersetzen könnte mit: »Er hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen.«

(Orig. ital. in O.R. 2.9.2023)

Von Andrea Monda