Schwester Dr. Mary Glowrey JMJ (1887-1957)

Eine Ärztin und Ordensfrau auf dem Weg der Heiligkeit

 Eine Ärztin und Ordensfrau  auf dem Weg der Heiligkeit  TED-035
01. September 2023

Vor achtzig Jahren gründete Sr. Dr. Mary Glowrey JMJ, eine in Australien geborene und ausgebildete Ärztin und Missionarin, das größte Nicht-Regierungs-Netzwerk im indischen Gesundheitswesen. Es heißt heute »Catholic Health Association of India« (CHAI) und umfasst über 3.500 Einrichtungen in den Bereichen Krankendienst und Soziales für ihre Mitglieder im ganzen Land. Tausende Ordensfrauen verschiedener Kongregationen, darunter über 1.000 Ärztinnen, bilden den Kern des CHAI-Teams von Vollzeit-Freiwilligen. Sie arbeiten mit medizinischem Fachpersonal im Netzwerk zusammen.

Sr. Mary vom Heiligsten Herzen JMJ, so Mary Glowreys Ordensname, war die erste katholische Ordensfrau, die auch als Ärztin arbeitete. Sie erhielt dazu 1920 die Genehmigung von Papst Benedikt XV. – 16 Jahre bevor das Kirchenrecht anderen Ordensschwestern das Gleiche erlaubte. In ihrem 37-jährigen Dienst leitete Sr. Mary die Behandlung Hunderttausender Patienten und den Neubau eines Krankenhauses. Sie etablierte die medizinische Ausbildung und legte den Grundstein zu einem katholischen medizinischen Kolleg in Indien.

Frühe Jahre

Mary Glowrey kam 1887 in einer Kleinstadt im australischen Bundesstaat Victoria zur Welt. Ihre Großeltern waren Immigranten aus Irland. Die Familie Glowrey gehörte einer weitläufigen ländlichen Gemeinschaft an. Sie war gläubig katholisch, und Mary hatte liebevolle Beziehungen zu ihren Eltern und ihren fünf Geschwistern.

Marys Intelligenz, Gottesliebe und Sensibilität waren schon in jungen Jahren offensichtlich. Mit 13 verließ sie ihr Elternhaus, um dank Stipendien ihre höhere Schulausbildung im über 300 Kilometer entfernt gelegenen Melbourne zu vervollständigen. Mary betrachtete die Medizin als ihre erste Berufung; sie hatte im Gebet um eine Wegweisung bezüglich ihres Studiums gebeten. 1910, zu einer Zeit, in der der Arztberuf von vielen als für Frauen unpassend angesehen wurde, erhielt Mary ihren Studienabschluss in Medizin und Chirurgie. Im darauffolgenden Jahrzehnt wurde sie eine erfolgreiche Ärztin und Augenspezialistin in Melbourne.

Inspiration durch
eine andere Ärztin

Im Oktober 1915 las Mary die Biografie von Dr. Agnes McLaren (1837-1913), einer bahnbrechenden schottischen Ärztin, die zum katholischen Glauben konvertiert war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchte
Dr. McLaren, das Leid der Frauen in Indien zu lindern. Lokale Bräuche verbaten es ihnen, sich von männlichen Ärzten behandeln zu lassen, und im Land arbeiteten nur wenige Ärztinnen. Dr. McLaren gründete einen Missionsverein in London und ein kleines Krankenhaus in Rawalpindi und beantragte beim Heiligen Stuhl eine Genehmigung, damit Ordensschwestern als Ärztinnen arbeiten durften.

Der Ruf
nach Indien

Nachdem sie die Lebensgeschichte von
Dr. McLaren gelesen hatte, entdeckte Mary ihre Berufung zum ärztlich-missionarischen Dienst in Indien. Diese Berufung ließ sie über vier Jahre lang still in sich heranreifen. Ihre Abreise verzögerte sich aufgrund des Ers-ten Weltkriegs und da sie eine Genehmigung benötigte, um als Ärztin und Ordensschwester arbeiten zu können. Neben den Anforderungen ihrer normalen Arbeit in Krankenhäusern und in ihrer Privatpraxis amtierte Mary während dieser Zeit als Gründungsvorsitzende des »Catholic Women’s Social Guild« in Melbourne von 1916 bis 1918. 1919 wurde sie in Medizin promoviert.

Im Januar 1920 reiste Mary nach Guntur in Indien in die Region, die heute als Andhra Pradesh bekannt ist. Dort schloss sie sich der Gemeinschaft von Jesus, Maria und Josef (JMJ) an, einer 1904 in Guntur gegründeten niederländischen Kongregation. Die JMJ-Schwestern hatten viele Jahre für einen Arzt gebetet.

Neuanfang

Vor ihrer Ankunft wusste Mary nur sehr wenig über ihr neues Land und die JMJ-Schwestern, aber nur einen Monat später schrieb sie ihrer Familie in Australien, dass sie sich dort zuhause fühle und dass sie »nur aufgrund eines Versehens« nicht in Indien geboren worden sei.

Unzählige vulnerable Menschen der dortigen Gesellschaft brauchten medizinische Versorgung. Schon in ihrem ersten Jahr in Indien entwickelte Schwester Mary eine Zukunftsvision für ein auf katholische Prinzipien gründendes, weit verzweigtes Gesundheitswesen und eine ebensolche Ausbildung. Sie betrachtete die Sorge um den Körper als gleichwertig mit der Sorge um die Seelen. In Guntur begann Sr. Mary, sich um die medizinische Behandlung aller zu kümmern, die Hilfe benötigten, insbesondere der Frauen und Kinder. Die sprachbegabte Frau lernte sowohl die Ortssprache Telegu als auch Niederländisch, die Sprache ihrer Mitschwes-tern. Sie baute Vertrauen auf, indem sie traditionelle Heilmittel verwendete, wenn andere Medikamente nicht verfügbar waren.

Wie ein Leuchtturm

Ein Jahrzehnt nach der Ankunft von
Sr. Mary in Indien schrieb ihre Oberin in Guntur an Marys Eltern und verglich Mary mit einem Leuchtturm. »Sie hält sich immer im Hintergrund, aber sie verbreitet das Licht ihrer guten Taten über eine große Entfernung.«

Obwohl die JMJ-Schwestern in Europa und Australien um Spenden warben, blieben die Ressourcen knapp. Sr. Mary, die sich im Laufe von drei Jahrzehnten unzähligen Herausforderungen stellte, bemühte sich vor allem, Leid zu lindern und eine Kultur des Lebens zu fördern. Sie leitete andere und trug bei zur Gründung des St. Josephs-Krankenhauses in Guntur; außerdem schuf sie Kurse in Geburtshilfe, pharmazeutischer Assistenz und Krankenpflege.

Gründung der
»Catholic Hospitals’ Association«

Am 29. Juli 1943 gründete Sr. Mary die »Catholic Hospitals’ Association« (jetzt CHAI) am St. Josephs-Krankenhaus in Guntur zusammen mit anderen Schwestern ihrer eigenen und anderer Kongregationen. Heute sichert die CHAI die Versorgung von über
21 Mio. Menschen pro Jahr, darunter insbesondere die verwundbarsten der Gesellschaft. Die Zielsetzung des medizinischen Personals und der Sozialarbeiter (Freiwillige und Hauptamtliche) der CHAI besteht in der »Gesundheit für alle« durch einfühlsame, bezahlbare und qualitätsvolle medizinische Versorgung.

Ihr Vermächtnis
wirkt fort

Jahrzehntelang arbeitete Sr. Mary auf die Einrichtung eines katholischen medizinischen Kollegs hin und betete dafür. Sechs Jahre nach ihrem Tod im Mai 1957 wurde das St. John’s Medical College in Bengaluru eröffnet. Dieses Jahr feiert es sein Diamantenes Jubiläum.

Das Verfahren für die Heiligsprechung von Sr. Mary, das gegenwärtig beim Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse läuft, begann 2010. Sie wurde zur Dienerin Gottes erklärt. Ihr Erbe lebt weiter in der Tätigkeit der CHAI und der JMJ-Schwestern in Indien, und ihr Leben inspiriert nach wie vor viele Australier und andere, die ihr Wohnhaus in der Erzdiözese Melbourne, das vor fast zwanzig Jahren zum Museum wurde, besuchen.

#sistersproject

Von Fiona Power,
Kuratorin des »Mary Glowrey Museums«
in Melbourne, Australien