Herr Präsident,
Herr Parlamentspräsident,
Herr Premierminister,
Mitglieder der Regierung und des
Diplomatischen Korps,
Verantwortungsträger,
Repräsentanten der Zivilgesellschaft
und der Welt der Kultur,
meine Damen und Herren!
Ich grüße Euch herzlich und danke Ihnen, Herr Präsident, für den Empfang und für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben – der Präsident ist sehr gastfreundlich, danke! Ich freue mich, in Lissabon zu sein, einer Stadt der Begegnung, die verschiedene Völker und Kulturen umfasst und die in diesen Tagen noch universaler wird; sie wird gewissermaßen zur Hauptstadt der Welt, die Hauptstadt der Zukunft, denn die jungen Menschen sind die Zukunft. Das passt gut zu ihrem multiethnischen und multikulturellen Charakter – ich denke an das Viertel Mouraria, in dem Menschen aus mehr als sechzig Ländern in Harmonie leben – und es zeigt den kosmopolitischen Charakter Portugals, der in dem Wunsch verwurzelt ist, sich der Welt zu öffnen und sie zu erkunden, indem man zu neuen und weiteren Horizonten aufbricht.
Nicht weit von hier, in Cabo da Roca, ist der Satz eines großen Dichters dieser Stadt eingemeißelt: »Hier… wo das Land endet und das Meer beginnt« (L. Vaz de Camões, Os Lusíadas, VIII). Jahrhundertelang glaubte man, dass sich dort die Grenze der Welt befand, und in einem gewissen Sinne ist das wahr: Wir befinden uns an den Grenzen der Welt, denn dieses Land grenzt an den Ozean, der die Kontinente abgrenzt. Lissabon ist von seiner Umarmung und seinem Duft geprägt. Ich schließe mich gern dem an, was die Portugiesen zu singen lieben: »Lissabon duftet nach Blumen und nach Meer« (A. Rodrigues, Cheira bem, cheira a Lisboa, 1972). Ein Meer, das viel mehr ist als ein Landschaftselement; es ist ein Ruf, der in die Seele eines jeden Portugiesen eingeprägt ist: »klangvolles Meer, Meer ohne Boden, Meer ohne Ende« nannte es eine lokale Dichterin (S. de Mello Breyner, Mar sonoro). Angesichts des Ozeans denken die Portugiesen über die unendlichen Weiten der Seele und den Sinn des Lebens in der Welt nach. Und auch ich möchte einige Gedanken teilen, indem ich dem Bild des Ozeans folge.
Nach der klassischen Mythologie ist Okeanos der Sohn des Himmels (Uranos): Seine Weite führt die Sterblichen dazu, nach oben zu schauen und sich zur Unendlichkeit hin zu erheben. Gleichzeitig ist Okeanos aber auch der Sohn der Erde (Gäa), die er umarmt und so dazu einlädt, die gesamte bewohnte Welt in Zärtlichkeit einzuhüllen. Der Ozean verbindet nämlich nicht nur Völker und Staaten, sondern auch Länder und Kontinente. Daher erinnert Lissabon, eine Stadt des Ozeans, an die Bedeutung des Zusammenseins und daran, Grenzgebiete als Berührungspunkte zu verstehen und nicht als Grenzen, die trennen. Wir wissen, dass heute die großen Fragen globaler Natur sind, und doch erleben wir oft, dass wir sie unwirksam angehen, weil die Welt gerade in Anbetracht gemeinsamer Probleme gespalten ist oder zumindest nicht geschlossen genug und nicht in der Lage ist, das geeint anzugehen, was alle bedroht. Es scheint, dass die weltweiten Ungerechtigkeiten, die Kriege, die Klima- und Migrationskrisen schneller voranschreiten als die Fähigkeit und oft auch der Wille, diesen Herausforderungen gemeinsam entgegenzutreten.
Lissabon kann einen Tempowechsel anregen. Hier wurde 2007 der gleichnamige Vertrag zur Reform der Europäischen Union unterzeichnet. Darin wird erklärt: »Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern« (Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 1,4/2.1). Darüber hinaus wird versichert: »In ihren Beziehungen zur übrigen Welt […] leistet [sie] einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte« (Art. 1,4/2.5). Das sind nicht nur Worte, sondern Meilensteine auf dem Weg der europäischen Gemeinschaft, die in das Gedächtnis dieser Stadt eingeschrieben sind. Dies ist also der Geist des Zusammenseins, beseelt vom europäischen Traum eines Multilateralismus, der über den bloßen westlichen Kontext hinausgeht.
Einer umstrittenen Etymologie zufolge soll sich der Name Europa von einem Wort ableiten, das die Richtung des Westens angibt. Gewiss ist hingegen, dass Lissabon die westlichste Hauptstadt Kontinentaleuropas ist. Es erinnert somit an die Notwendigkeit, weitreichendere Wege der Begegnung zu eröffnen, wie es Portugal bereits tut, insbesondere mit Ländern anderer Kontinente, die dieselbe Sprache sprechen. Ich hoffe, dass der Weltjugendtag für den »alten Kontinent« – wir können sagen, den »betagten« Kontinent – ein Impuls weltweiter Öffnung wird, also ein Impuls der Öffnung, der ihn verjüngt. Denn die Welt braucht Europa, das wahre Europa: Sie braucht seine Rolle als Brückenbauer und als Friedensstifter in dessen östlichem Teil, im Mittelmeerraum, in Afrika und im Nahen Osten. So wird Europa in der Lage sein, auf dem internationalen Parkett seine besondere Originalität einzubringen, die sich im vergangenen Jahrhundert herausgebildet hat, als es aus dem Schmelztiegel der Weltkonflikte heraus den Funken der Versöhnung überspringen ließ. Dabei verwirklichte es den Traum, mit dem Feind von gestern das Morgen zu bauen sowie Wege des Dialogs, Wege der Integration zu eröffnen, indem es eine Friedensdiplomatie entwarf, die Konflikte ausräumen und Spannungen abbauen soll, und die in der Lage ist, selbst die schwächsten Zeichen der Entspannung zu erkennen und zwischen den krummsten Zeilen zu lesen.
Im Ozean der Geschichte befinden wir uns gerade in einer stürmischen Situation und es ist das Fehlen eines mutigen Friedenskurses spürbar. Wenn man Europa beherzt betrachtet, müsste man es im Geist des Dialogs, der es kennzeichnet, fragen: Wohin steuerst du, wenn du der Welt keinen Friedenskurs vorschlägst, keine kreativen Wege, um dem Krieg in der Ukraine und den vielen Konflikten, die die Welt mit Blut beflecken, ein Ende zu bereiten? Und eine weitere Frage, vor einem größeren Horizont: Welchen Kurs verfolgst du, Westen? Deine Technologie, die den Fortschritt markiert und die Welt globalisiert hat, reicht allein nicht aus. Noch weniger reichen die fortschrittlichsten Waffen, die keine Investitionen für die Zukunft darstellen, sondern eine Verarmung des wahren Kapitals der Menschen, nämlich jenes der Bildung, der Gesundheitsversorgung und des Sozialstaats. Es ist besorgniserregend, wenn man liest, dass an vielen Orten ständig finanzielle Ressourcen in Waffen investiert werden, statt in die Zukunft der Kinder. Und das ist wahr. Der Ökonom hat mir vor ein paar Tagen gesagt, dass der beste Investitionsertrag in der Waffenproduktion liegt. Es wird mehr in Waffen investiert als in die Zukunft der Kinder. Ich träume von einem Europa als dem Herzen des Westens, das seinen Einfallsreichtum dafür einsetzt, um Kriegsherde zu löschen und Lichter der Hoffnung zu entzünden; ein Europa, das es versteht, seine junge Seele wiederzuentdecken, das von der Größe des Zusammenseins träumt und über die Bedürfnisse des Augenblicks hinausgeht; ein Europa, das Völker und Menschen mit deren eigener Kultur einbezieht, ohne ideologischen Theorien und Kolonialisierungen hinterherzulaufen. Und das wird uns helfen, an die Träume der Gründerväter der Europäischen Union zu denken: Sie hatten große Träume!
Der Ozean als eine riesige Wasserfläche erinnert an die Ursprünge des Lebens. In der heutigen fortschrittlichen Welt ist es paradoxerweise vordringlich geworden, menschliches Leben zu schützen, das durch utilitaris-tische Abwege gefährdet ist, die es gebrauchen und wegwerfen: die Kultur des Ausrangierens von Leben. Ich denke an viele ungeborene Kinder und ältere Menschen, die sich selbst überlassen sind, an die Mühe, diejenigen aufzunehmen, zu schützen, zu fördern und zu integrieren, die von weit her kommen und an die Türen klopfen, an die Einsamkeit vieler Familien, die Schwierigkeiten haben, Kinder in die Welt zu bringen und aufzuziehen. Man könnte auch hier sagen: Wohin steuert ihr, Europa und Westen, mit dem Ausrangieren älterer Menschen, den Mauern mit Stacheldraht, den Massakern auf See und den leeren Wiegen? Wohin steuert ihr? Wohin geht ihr, wenn ihr angesichts des Leidens im Leben oberflächliche und falsche Heilmittel anbietet, wie den einfachen Zugang zum Tod, eine Bequemlichkeitslösung, die lieblich erscheint, aber in Wirklichkeit bitterer ist als das Meereswasser? Und ich denke an viele ausgeklügelte Euthanasie-gesetze.
Das vom Ozean umspülte Lissabon gibt uns jedoch Grund zur Hoffnung, es ist eine Stadt der Hoffnung. Ein Meer junger Menschen strömt in diese gastfreundliche Stadt, und ich möchte für die großartige Arbeit und das großzügige Engagement Portugals danken, ein so komplex zu bewältigendes, aber hoffnungsreiches Ereignis auszurichten. Wie man hier sagt: »Neben der Jugend wird man nicht alt.« Junge Menschen aus der ganzen Welt, die den Wunsch nach Einheit, Frieden und Geschwisterlichkeit hegen, junge Menschen, die träumen, fordern uns heraus, ihre Träume vom Guten zu verwirklichen. Sie sind nicht auf der Straße, um ihre Wut herauszuschreien, sondern um die Hoffnung des Evangeliums mitzuteilen, die Hoffnung auf Leben. Und wenn heute vielerorts ein Klima des Protests und der Unzufriedenheit herrscht, ein fruchtbarer Boden für verschiedene Arten des Populismus und Verschwörungstheorien, so ist der Weltjugendtag eine Gelegenheit, etwas gemeinsam aufzubauen. Er lässt den Wunsch aufleben, Neues zu schaffen, in See zu stechen und gemeinsam in die Zukunft zu steuern. Dabei kommen einige kühne Worte von Pessoa in den Sinn: »Seefahren ist notwendig, leben ist nicht notwendig […]; das, was nötig ist, ist das Erschaffen« (Navegar é preciso). Bemühen wir uns also mit Kreativität, etwas gemeinsam aufzubauen! Ich stelle mir drei Baustellen der Hoffnung vor, an denen wir alle gemeinsam arbeiten können: die Umwelt, die Zukunft und die Geschwisterlichkeit.
Die Umwelt. Portugal teilt mit Europa viele vorbildliche Anstrengungen zum Schutz der Schöpfung. Aber das globale Problem bleibt nach wie vor sehr ernst: Die Ozeane erwärmen sich und ihre Tiefen bringen die Hässlichkeit an die Oberfläche, mit der wir unser gemeinsames Haus verschmutzt haben. Wir sind dabei, die großen Lebensreservoire in Plastikdeponien zu verwandeln. Der Ozean erinnert uns daran, dass das menschliche Leben mit einer Umwelt in Einklang gebracht werden muss, die größer ist als wir selbst und die gehegt werden muss, die sorgsam gehegt werden muss, indem wir an die jungen Generationen denken. Wie können wir sagen, dass wir an die jungen Menschen glauben, wenn wir ihnen keinen gesunden Raum geben, um eine Zukunft aufzubauen?
Die Zukunft ist die zweite Baustelle. Und die Zukunft sind die jungen Menschen. Aber viele Faktoren entmutigen sie, wie der Mangel an Arbeit, das hektische Tempo, dem sie ausgesetzt sind, die steigenden Lebenshaltungskosten, die Schwierigkeit eine Wohnung zu finden und, was noch beunruhigender ist, die Angst, Familien zu gründen und Kinder zur Welt zu bringen. In Europa und allgemeiner im Westen erleben wir eine Talfahrt der Bevölkerungsentwicklung: Der Fortschritt scheint eine Frage zu sein, die die technischen Entwicklungen und die Annehmlichkeiten des Einzelnen betrifft, während die Zukunft doch erfordert, der Geburtenabnahme und dem Rückgang des Lebenswillens entgegenzuwirken. Gute Politik kann dabei viel bewirken, sie kann Hoffnung schaffen. Sie ist nämlich nicht dazu berufen, Macht in Händen zu halten, sondern den Menschen die Kraft zur Hoffnung zu geben. Sie ist heute mehr denn je dazu aufgerufen, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte eines Marktes zu korrigieren, der Reichtum hervorbringt, ihn aber nicht verteilt und so die Menschen ihrer Ressourcen und Sicherheiten beraubt. Sie ist aufgerufen, sich als Quelle von Leben und Fürsorge wieder zu entdecken, mit Weitblick in die Zukunft, in die Familien und in die Kinder zu investieren, generationenübergreifende Allianzen zu befördern, in denen die Vergangenheit nicht mit einem Wisch ausgelöscht wird, sondern Bindungen zwischen Jung und Alt gefördert werden. Das müssen wir wieder aufgreifen: den Dialog zwischen Jung und Alt. Daran erinnert das portugiesische Gefühl der saudade, das eine Nostalgie ausdrückt, eine Sehnsucht nach dem abwesenden Guten, das nur im Kontakt mit den eigenen Wurzeln wiederbelebt wird. Die jungen Menschen müssen ihre Wurzeln in den Älteren finden. In diesem Sinne ist die Bildung wichtig, die nicht nur technische Kenntnisse vermitteln darf, um wirtschaftlich voranzukommen, sondern dazu bestimmt ist, in eine Geschichte einzuführen, eine Tradition zu überliefern, das religiöse Bedürfnis des Menschen zur Geltung kommen zu lassen und die soziale Freundschaft zu begünstigen.
Die letzte Baustelle der Hoffnung ist die der Geschwisterlichkeit, die wir Christen von unserem Herrn Jesus Christus erlernen. In vielen Teilen Portugals sind der Sinn für Nachbarschaft und Solidarität sehr lebendig. Doch im allgemeinen Kontext einer Globalisierung, die uns zwar näher zusammenrücken lässt, uns aber keine geschwisterliche Nähe gibt, sind wir alle aufgerufen, den Sinn für die Gemeinschaft zu fördern, angefangen beim Aufsuchen derer, die neben uns wohnen. Denn, wie Saramago feststellte, »was der Begegnung den wahren Sinn gibt, ist die Suche, und man muss einen weiten Weg zurücklegen, um das zu erreichen, was nah ist« (Todos os nomes, 1997). Wie schön ist es, wenn wir uns als Brüder und Schwestern wiederentdecken, wenn wir uns für das Gemeinwohl einsetzen und dabei Gegensätze und Unterschiede in den Ansichten hinter uns lassen! Auch darin sind uns die jungen Menschen ein Beispiel, die uns mit ihrem Ruf nach Frieden und ihrer Lebenslust dazu bringen, die starren Zäune der Zugehörigkeit einzureißen, die im Namen unterschiedlicher Auffassungen und Glaubensüberzeugungen errichtet worden sind. Ich habe von vielen jungen Menschen erfahren, die hier den Wunsch hegen, einander zu Nächsten zu werden. Ich denke an die Initiative Missão País, die Tausende von jungen Menschen dazu bringt, in Randgebieten, vor allem in Dörfern im Landesinneren, missionarische Solidarität im Geist des Evangeliums zu leben, indem sie viele einsame ältere Menschen besuchen, und dies ist eine »Salbung« für die Jugend. Ich möchte neben den vielen Menschen in der portugiesischen Gesellschaft, die sich um andere kümmern, auch der Kirche vor Ort, die fernab vom Rampenlicht viel Gutes tut, danken und sie ermutigen.
Brüder und Schwestern, fühlen wir uns alle zusammen geschwisterlich dazu aufgerufen, der Welt, in der wir leben, und diesem wunderbaren Land Hoffnung zu geben. Gott segne Portugal!