Liebe Brüder und Schwestern,
bom dia!
Ich danke Ihnen, Frau Rektorin, für Ihre Worte. Obrigado. Sie haben gesagt, dass wir uns alle als »Pilger« fühlen. Es ist ein schönes Wort, über dessen Bedeutung man nachdenken sollte; es bedeutet buchstäblich, die gewohnte Routine hinter sich zu lassen und sich mit einer Absicht auf den Weg zu machen, sich »durch die Felder hindurch« oder »über die eigenen Grenzen hinaus« zu bewegen, das heißt, aus der eigenen Komfortzone heraus auf einen Sinnhorizont hin. Im Begriff »Pilger« spiegelt sich das menschliche Verhalten wider, denn jeder ist aufgerufen, sich den großen Fragen zu stellen, auf die es keine Antwort gibt, keine simple oder unmittelbare Antwort, sondern die dazu einladen, sich auf eine Reise zu begeben, über sich selbst hinauszugehen, weiter zu gehen. Das ist ein Prozess, den ein Student gut versteht, denn so entsteht die Wissenschaft. Und so wächst auch die spirituelle Suche. Pilgern bedeutet, auf ein Ziel zuzugehen oder ein Ziel zu suchen. Es besteht immer die Gefahr, in einem Labyrinth zu gehen, in dem es kein Ziel gibt. Es gibt auch keinen Ausweg. Seien wir vorgefertigten Formeln gegenüber misstrauisch – sie sind labyrinthisch –, seien wir miss-trauisch gegenüber Antworten, die in unmittelbarer Reichweite zu sein scheinen, gegen-über den Antworten, die wie manipulierte Spielkarten aus dem Ärmel gezogen werden; seien wir Vorschlägen gegenüber miss-trauisch, die alles zu bieten scheinen, ohne etwas einzufordern. Seien wir misstrauisch. Misstrauen ist eine Waffe, um vorwärts zu kommen und sich nicht ständig im Kreis zu drehen. In einem Gleichnis Jesu findet derjenige die besonders wertvolle Perle, der sie mit Scharfsinn und mit Tatkraft sucht und alles gibt, alles riskiert, was er hat, um sie zu erhalten (vgl. Mt 13,45-46). Suchen und riskieren: Dies sind die beiden Verben des Pilgers. Suchen und riskieren.
Pessoa sagte in geplagter, aber zutreffender Weise: »Unzufrieden zu sein, heißt, ein Mensch zu sein« (O Quinto Império, in Mensagem). Wir sollten keine Angst davor haben, uns unruhig zu fühlen, zu denken, dass das, was wir tun, nicht genug sei. In diesem Sinne und im richtigen Ausmaß unzufrieden zu sein, ist ein gutes Gegenmittel gegen die Anmaßung der Selbstgenügsamkeit und gegen den Narzissmus. Die Unvollständigkeit kennzeichnet unseren Zustand als Suchende und Pilger, wie Jesus sagt, ›wir sind in der Welt, aber wir sind nicht von der Welt‹ (vgl.
Joh 17,16). Wir sind unterwegs nach… Wir sind zu einem Stück mehr berufen, dazu, abzuheben, was Voraussetzung für das Fliegen ist. Seien wir also nicht beunruhigt, wenn wir uns innerlich durstig, unruhig, unerfüllt, voller Sehnsucht nach Sinn und Zukunft fühlen, com saudades do futuro! Und vergesst dabei nicht, neben den saudades do futuro auch die Erinnerung an die Zukunft wach zu halten. Wir sind nicht etwa krank, wir sind lebendig! Machen wir uns lieber Sorgen, wenn wir bereit sind, den vor uns liegenden Weg durch eine beliebige Raststätte zu ersetzen, solange sie uns nur die Illusion von Annehmlichkeiten vermittelt; wenn wir Gesichter durch Bildschirme ersetzen, das Reale durch das Virtuelle; wenn wir anstelle von Fragen, die uns zerreißen, einfache Antworten vorziehen, die uns betäuben. und man findet sie in jedem Handbuch über soziales Verhalten, wie man sich gut benimmt. Einfache Antworten betäuben.
Freunde, lasst mich euch sagen: Sucht und riskiert. In diesem bedeutenden Augenblick der Geschichte sind die Herausforderungen enorm, das Klagen ist schmerzerfüllt – wir erleben einen dritten Weltkrieg in Stücken –, aber lassen wir uns auf das Risiko ein, zu denken, dass wir uns nicht in einem Todeskampf, sondern in einer Geburt befinden; nicht am Ende, sondern am Anfang eines großen Schauspiels. Und es erfordert Mut, dies zu denken. Seid also Protagonis-ten einer »neuen Choreographie«, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, seid Choreographen des Lebenstanzes. Die Worte der Rektorin haben mich inspiriert, insbesondere als sie sagte, dass »die Universität nicht existiert, um sich als Institution zu erhalten, sondern um mutig auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu reagieren«. Die Selbsterhaltung ist eine Versuchung, ist ein konditionierter Angstreflex, der in verzerrter Weise auf die Existenz blicken lässt. Wenn die Samen sich selbst erhalten würden, würden sie ihre Fruchtbarkeit völlig verschwenden und uns zum Hungern verurteilen; wenn der Winter sich selbst erhalten würde, gäbe es kein Frühlingswunder. Habt also den Mut, Ängste durch Träume zu ersetzen; ersetzt Ängste durch Träume, seid nicht Verwalter von Ängsten, sondern Unternehmer von Träumen!
Es wäre eine Verschwendung, sich eine Universität vorzustellen, die sich der Bildung der nächsten Generationen verschrieben hat, nur um das derzeitige elitäre und ungleiche System in der Welt aufrechtzuerhalten, in dem die höhere Bildung ein Privileg für wenige bleibt. Wenn Wissen nicht als Verantwortung wahrgenommen wird, wird es steril. Wenn diejenigen, die eine höhere Bildung genossen haben – die heute in Portugal und in der ganzen Welt weiterhin ein Privileg
ist –, nicht danach streben, etwas von dem zurückzugeben, was sie erhalten haben, haben sie nicht ganz verstanden, was ihnen zuteilwurde. Es gefällt mir daran zu denken, dass in der Genesis die ersten Fragen, die Gott dem Menschen stellt, lauten: »Wo bist du?« (Gen 3,9) und »Wo ist […] dein Bruder?« (Gen 4,9). Es wird uns gut tun, uns zu fragen, fragen wir uns: Wo bin ich? Bleibe ich in meiner Blase eingeschlossen, oder gehe ich das Risiko ein, aus meiner Sicherheit auszubrechen und ein praktizierender Christ zu werden, ein Handwerker der Gerechtigkeit, ein Handwerker der Schönheit? Und weiter: Wo ist mein Bruder? Erfahrungen des geschwisterlichen Dienstes wie die Missão País und viele andere, die im akademischen Raum entstehen, sollten für diejenigen, die eine Universität durchlaufen, als unverzichtbar angesehen werden. Der Studienabschluss sollte nicht nur als Befugnis zum Aufbau von persönlichem Wohlstand betrachtet werden, nein, sondern als Auftrag, sich für eine gerechtere Gesellschaft, eine integrativere Gesellschaft, das heißt für eine fortgeschrittenere einzusetzen. Man hat mir erzählt, dass eine eurer großen Dichterinnen, Sophia de Mello Breyner Andresen, in einem Interview, das eine Art Testament darstellt, auf die Frage: »Was möchten Sie in diesem neuen Jahrhundert in Portugal erreicht sehen?« ohne zu zögern antwortete: »Ich wünsche mir, dass die soziale Gerechtigkeit verwirklicht wird, dass die Kluft zwischen Arm und Reich verringert wird« (Entrevista de Joaci Oliveira, in Cidade Nova, Nr. 3/2001). Ich möchte diese Frage an euch weitergeben. Ihr, liebe Studenten, Pilger des Wissens, was wollt ihr in Portugal und in der Welt erreicht sehen? Welche Veränderungen, welchen Wandel? Und wie kann die Universität, insbesondere die katholische Universität, hierzu beitragen?
Beatriz, Mahoor, Mariana, Tomás, ich danke euch für eure Zeugnisse. Sie hatten alle einen hoffnungsvollen Ton, eine Ladung an realistischem Enthusiasmus, ohne Jammern, aber auch ohne idealistische Flüchte nach vorn. Ihr wollt Protagonisten, »Protagonisten des Wandels« sein, wie Mariana sagte. Als ich euch zuhörte, fiel mir ein Satz des Schriftstellers José de Almada Negreiros ein, der euch vielleicht bekannt ist: »Ich träumte von einem Land, in dem es allen gelingt, Meister zu werden« (A Invenção do Dia Claro). Auch dieser ältere Mann, der zu euch spricht – weil ich schon alt bin –, träumt davon, dass eure Generation eine Generation von Meistern wird: Meister der Menschlichkeit, Meister des Mitgefühls, Meister der neuen Chancen für die Welt und ihre Bewohner, Meister der Hoffnung. Und Meister, die das Leben auf dem Planeten verteidigen, das in diesem Moment von schwerer ökologischer Zerstörung bedroht ist.
Wie einige von euch betont haben, müssen wir die dramatische Dringlichkeit anerkennen, uns um das gemeinsame Haus zu sorgen. Dies kann jedoch nicht ohne eine Bekehrung des Herzens und eine Änderung der anthropologischen Sicht geschehen, die der Wirtschaft und der Politik zugrunde liegt. Wir können uns nicht mit bloßen Linderungsmaßnahmen oder zaghaften und zweideutigen Kompromissen zufriedengeben. In diesem Fall »sind die Mittelwege nur eine kleine Verzögerung des Zusammenbruchs« (Enzyklika Laudato si’, 194). Vergesst das nicht. Die Mittelwege sind nur eine kleine Verzögerung des Zusammenbruchs. Vielmehr geht es darum, sich dessen anzunehmen, was leider weiterhin aufgeschoben wird, das heißt: die Notwendigkeit, das neu zu definieren, was wir Fortschritt und Evolution nennen. Denn im Namen des Fortschritts hat sich zu viel Rückschritt den Weg gebahnt. Prüft sorgfältig, was ich euch sage. Im Namen des Fortschritts hat sich zu viel Rückschritt den Weg gebahnt. Ihr seid die Generation, die diese Herausforderung meistern kann: Ihr verfügt über die fortschrittlichsten wissenschaftlichen und technologischen Instrumente, aber geratet bitte nicht in die Falle von Teilansichten. Vergesst nicht, dass wir eine ganzheitliche Ökologie brauchen, dass das Leiden des Planeten mit dem der Armen zusammen gehört werden muss; dass das Drama der Wüstenbildung in Verbindung mit dem der Flüchtlinge gesehen werden muss, das Problem der Migration mit dem des Geburtenrückgangs; dass wir uns um die materielle Dimension des Lebens im Rahmen einer spirituellen Dimension kümmern. Keine Polarisierungen schaffen, sondern Gesamtvisionen.
Danke, Tomás, dass du gesagt hast, dass »eine authentische ganzheitliche Ökologie ohne Gott nicht möglich ist, dass es in einer Welt ohne Gott keine Zukunft geben kann«. Ich möchte euch sagen: Macht den Glauben durch Entscheidungen glaubwürdig. Denn wenn der Glaube keine überzeugenden Lebensweisen hervorbringt, kann er den Teig der Welt nicht durchsäuern. Es reicht nicht aus, dass ein Christ überzeugt ist, er muss überzeugend sein. Unser Handeln muss die Schönheit des Evangeliums widerspiegeln, die freudig und zugleich tiefgreifend ist. Da-rüber hinaus kann das Christentum nicht wie eine von Mauern umgebene Festung bewohnt werden, die Schutzwälle gegen die Welt errichtet. Deshalb fand ich das Zeugnis von Beatriz berührend, als sie sagte, dass sie sich gerade »aus dem Bereich der Kultur heraus« berufen fühlt, die Seligpreisungen zu leben. In jeder Zeitepoche ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Christen, den Sinn der Inkarnation wiederzuerlangen. Ohne die Inkarnation wird das Christentum zu einer Ideologie und die Versuchung der christlichen Ideologien, in Anführungszeichen, ist hochaktuell; die Inkarnation ermöglicht es uns, über die Schönheit zu staunen, die Chris-tus durch jeden Bruder und jede Schwes-ter, jeden Mann und jede Frau offenbart.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass ihr an eurem neuen Lehrstuhl, der der »Economy of Francesco« gewidmet ist, die Gestalt von Klara hinzugefügt habt. In der Tat ist der weibliche Beitrag unverzichtbar. Wie oft denken wir im kollektiven Unbewussten, dass Frauen zweitklassig sind, dass sie Ersatzspielerinnen sind, dass sie nicht in der ersten Mannschaft spielen. Und das exis-tiert im kollektiven Unbewussten. Der weibliche Beitrag ist unverzichtbar. Schließlich sehen wir in der Bibel, wie die familiäre Hauswirtschaft weitgehend in den Händen der Frau liegt. Sie ist die wahre »Regentin« des Hauses, mit einer Weisheit, die nicht bloß auf den Profit abzielt, sondern auf die Fürsorge, das Zusammenleben, das leibliche und geistige Wohl aller und auch auf das Teilen mit den Armen und den Fremden. Und es ist begeisternd, die Wirtschaftsstudien mit dieser Perspektive anzugehen: mit dem Ziel, der Wirtschaft die Würde zurückzugeben, die ihr zusteht, damit sie nicht dem ungezügelten Markt und der Spekulation zum Opfer fällt.
Die Initiative des Globalen Bildungspakts und die sieben Grundsätze, die seine Architektur bilden, umfassen viele dieser Themen, von der Sorge um das gemeinsame Haus über die volle Beteiligung von Frauen bis hin zur Notwendigkeit, neue Wege zum Verständnis von Wirtschaft, Politik, Wachstum und Fortschritt zu finden. Ich lade euch ein, den Globalen Bildungspakt zu studieren, euch für ihn zu begeistern. Einer der Punkte, mit denen er sich befasst, ist die Erziehung zu Aufnahme und Integration. Und wir können nicht so tun, als ob wir die Worte Jesu im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums nicht gehört hätten: »Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen« (V. 35). Mahoors Zeugnis hat mich bewegt, als sie daran erinnerte, was es bedeutet, mit »dem ständigen Gefühl des Fehlens eines Zuhauses, einer Familie, von Freunden [...] zu leben, ohne Haus, ohne Universität, ohne Geld zurückgeblieben zu sein [...], müde und erschöpft und niedergeschlagen vom Schmerz und den Verlusten«. Sie hat uns gesagt, dass sie wieder Hoffnung fand, weil jemand an die verwandelnde Wirkung der Kultur der Begegnung glaubte. Jedes Mal, wenn jemand eine Geste der Gastfreundschaft vollzieht, ruft dies einen Wandel hervor.
Freunde, ich freue mich sehr, euch als eine lebendige Bildungsgemeinschaft zu sehen, die offen ist für die Wirklichkeit und sich bewusst ist, dass das Evangelium keine bloße Zierde ist, sondern die Teile und das Miteinander belebt. Ich weiß, dass euer Weg verschiedene Bereiche umfasst: Studium, Freundschaft, sozialen Dienst, bürgerliche und politische Verantwortung, Sorge um das gemeinsame Haus und künstlerische Darbietungen. Eine katholische Universität zu sein, bedeutet vor allem dies: dass jedes Element in Beziehung mit dem Ganzen steht und dass sich das Ganze in den Teilen findet. Während man also wissenschaftliche Fähigkeiten erwirbt, reift man auf diese Weise als Person, in der Selbsterkenntnis und in der Unterscheidung des eigenen Weges. Weg ja, Labyrinth nein. Also, vorwärts! Eine mittelalterliche Überlieferung besagt, dass, wenn sich die Pilger auf dem Jakobsweg begegneten, der eine den anderen mit dem Ausruf »Ultreia« begrüßte und der andere »et Suseia« antwortete. Das sind Ausdrücke der Ermunterung, um die Suche und das Risiko des Weges fortzusetzen, indem wir zueinander sagen: »Komm schon, nur Mut, mach weiter!« Und das wünsche ich auch euch allen von ganzem Herzen. Danke.