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Papst Franziskus antwortet auf aufgezeichnete Wortbeiträge von Jugendlichen

»Auch wenn ihr Fehler macht, liebt Gott euch unendlich«

 »Auch wenn ihr Fehler macht,  liebt Gott euch unendlich«  TED-031
04. August 2023

Vor dem Weltjugendtag in Lissabon haben Radio Vatikan und Vatican News zum zweiten Mal einen »Popecast« aufgezeichnet, nach dem Podcast zum zehnten Jahrestag der Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst. Diesmal hörte der Papst in Santa Marta die aufgezeichneten Worte einiger Jugendlicher und gab ihnen eine Antwort.

»Esta es la juventud del Papa…« [auf Deutsch: »Das ist die Jugend des Papstes«, das rufen spanischsprachige Jugendliche häufig. Wenn der Papst da ist, wird dieser Satz besonders laut und fröhlich gerufen, so beim Weltjugendtag in Panama 2019.] Aber: Wer sind diese Jugendlichen, die dem Papst »gehören«, beziehungsweise »auf ihn hören«? Was erleben und wie leben die Jugendlichen heute? Der Makrokosmos des Weltjugendtags erlaubt es vielleicht nur schwer, sich in die Nuancen einer Generation hineinzuversetzen, die von den Fortschritten in der Technik geprägt ist und die viele Schwächen aufweist, aber auch von dem Wunsch geprägt ist, etwas zu tun, zu entdecken und sich neu zu erfinden. Giona, behindert und Transgender, Edward und Valerij, die wegen Diebstahl und Raub im Gefängnis sitzen, Arianna, die sich in den Schlaf flüchtet, um den Ängsten des Lebens zu entkommen, Giuseppe, der den ganzen Tag mit Videospielen verbringt, und viele andere, deren Gesichter wir nicht kennen, sondern nur ihre Wunden, Ängste, Wünsche und Projekte: Sie gehören zu den jungen Generationen – wie Gen Z, Gen X und Millennials – und haben in einem Podcast von ihrem Leben erzählt.

»Der Podcast?
Ja, daran erinnere ich mich!«

»Der Podcast? Ja, daran erinnere ich mich«, antwortet Franziskus. Damals war März und der Anlass war der zehnte Jahrestag seiner Wahl. Es wurde der Vorschlag einer zweiten Folge gemacht, in der mit Blick auf den Weltjugendtag Jugendliche verschiedener Herkunft die Protagonisten sind. Als ihr Beitrag aufgezeichnet wird, wissen sie noch nicht, dass der Papst in Santa Marta ihre Stimme, die aus den Lautsprechern eines Computers kommt, hören wird. Die jungen Leute sind also vollkommen aufrichtig, machen sich Luft, erzählen unbefangen und ganz offen von sich selbst. Vor dem Computer sitzt der Nachfolger Petri. Hin und wieder zuckt er schmerzerfüllt zusammen, wenn er Worte wie Selbstmord, Verurteilung, Ausgrenzung hört. Er lächelt über die Vielfalt
der Akzente. Er bemüht sich, jedem ein Wort mitzugeben. Und dieses Wort ist immer »Gott«, der Horizont des Lebens. Das zweite Wort ist »avanti«, das heißt: »Voran!«

Die Geschichte von Giona,
behindert und Transgender

»Avanti«: Das sagt der Papst zu jedem. Er sagt es zu Giona, einem behinderten Homo-sexuellen und Transgender, der gläubig ist, der nichts fordern, sondern nur seine Geschichte erzählen möchte: »Einen Glauben zu pflegen, den ich wirklich als den meinen empfand, hat mir geholfen, mich in meinem behinderten, atypischen Körper zu akzeptieren, mich auch in Schwierigkeiten nie wirklich allein zu fühlen, weil ich wusste, dass derjenige, der mich kannte, noch bevor ich existierte, mir nie ein Kreuz aufbürden würden, das zu schwer für meine Schultern gewesen wäre«, sagt er. »Als mir bewusst wurde, dass ich eine Trans-Person war, hätte ich es so sehr vorgezogen, nicht zu glauben… Und jener wunderbare und perfekte Körper, der so ist, weil er Sein Werk ist? Ich fühlte mich erdrückt von der Zweiteilung zwischen Glauben und Transgender-Identität, beides wie die Arme desselben Körpers, meines Körpers!« Giona erzählt, dass die ersten Personen, denen er sich anvertraute, versuchten, ihn von seinem Weg abzuraten und ihm »einen dunklen Weg« in Aussicht stellten, den Weg der »Deserteure Christi«: »Ich fühlte mich schuldig.«

»Gott liebt uns so,
wie wir sind«

»Der Herr ist auf unserem Weg immer bei uns, immer«, sagt der Papst. »Der Herr verachtet niemanden von uns. Auch wenn wir gesündigt haben, nähert er sich, um uns zu helfen. Den Herrn widert unsere Realität nicht an, denn er liebt uns so, wie wir sind. Und das ist die verrückte Liebe Gottes… Gott liebt uns so, wie wir sind. Er liebkost uns immer. Gott ist Vater, Mutter, Bruder, er ist alles für uns. Und das zu verstehen ist schwer, aber er liebt uns so, wie wir sind. Gib nicht auf, voran! Avanti…«

Edward und Valerij,
Ausgrenzung und Wut

In Südamerika wäre Edward, ein Rumäne, Mitglied einer »pandilla«, die in Italien als »Baby-Gangs« [Jugendbanden] bezeichnet werden. Er hat gestohlen, gedealt und geraubt, als Reaktion auf Armut und Ausgrenzung, auf Hänseleien wegen alter Kleidung und schlechtem Italienisch. Er beschreibt sich selbst als »ein guter Junge, aber sehr schwach«. Valerij ist Russe und hat Gewalt gegen Dinge und Menschen ausgeübt. Er hat einer inneren Wut freien Lauf gelassen, die sich aufgestaut hatte, nachdem seine Eltern ihn in ein Waisenhaus gegeben hatten, und nach dem »Funken«, der diese Wut zum Explodieren brachte: der Pandemie. Er habe keine Träume für die Zukunft, sagt er, sondern warte nur noch auf das Ende seiner Strafe. Beide Jungen sind in der Gemeinschaft »Kayros«, die sich für die soziale Wiedereingliederung von Minderjährigen einsetzt.

»Fehler dürfen das Leben
nicht verbauen«

Eure Geschichte ist eine »menschliche« Geschichte, sagt der Papst, eine Geschichte, die »mit Erfolgen und mit Fehlern vorangeht«: »Sehr oft ist die Gesellschaft grausam, weil ein Fehler uns für das ganze Leben zeichnet… Dieser anklagende Finger macht uns kaputt. Ich sage euch etwas: Ihr wart nicht allein auf eurem Weg, auch nicht, als ihr die schlimmen Fehler gemacht habt. Der Herr war da. Und der Herr ist bereit, dich an die Hand zu nehmen, dir dabei zu helfen, dich aufzurichten. Er war es, der die historischen Umstände so eingerichtet hat, um euch beide aufzurichten… Das Leben wird durch Fehler nicht zunichte gemacht. Unsere Fehler zwingen uns oft zum Nachdenken, um voranzugehen.«

Arianna, ihre Psyche und
Rettung durch Gott

Arianna ist nicht minderjährig, aber immer noch ein junges Mädchen. Sie leidet an einer bipolaren Störung, die sie »gefangen hält« und sie daran hindert, zu arbeiten. Sie schläft, um den Qualen eines Lebens zu entfliehen, das mit Schwierigkeiten, auch psychischen, gespickt ist. Sie erzählt alles mit der Klarheit, die entsteht, wenn man sich »von Gott gerettet« fühlt. Der Papst ist ge-rührt von ihrer Geschichte und bittet darum, einige Passagen zweimal zu hören, vor allem die, in der das Mädchen sagt, sie lebe in einem »Hin- und Herschaukeln zwischen dem Wunsch, Selbstmord zu begehen, und dem Herzen, das vor Freude explodiert«.

»Das Abenteuer des Lebens
nicht verpassen«

Der Papst warnt sie: »Ein solches Leben kann ein Labyrinth werden.« Er sagt: »Schau immer nach vorne, verliere den Horizont nicht aus den Augen, denn das ist es, was dich weiterbringt. Und der Horizont ist Gott. Verpass dieses Abenteuer des Lebens nicht. Bleib nicht in den Labyrinthen des Bewusstseins, die uns am Ende nicht retten…«

Der Papst forderte auch dazu auf, die notwendige psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen: »Wir alle haben psycho-physische Wunden, wir alle sind vom Leben und auch von der Sünde verwundet. Aber darum solltest du dich kümmern.«

Agustina und
die jungen Argentinier

Eine junge Frau aus Argentinien mit dem Namen Agustina begleitet Jugendliche. Sie spricht über den Einsatz der Jungen und Mäd-chen ihres Landes für eine »bessere Zukunft«. »Argentinien, das ist Ihre Sache, Heiliger Vater.« Mit einem Augenzwinkern geht dieser auf seine Landsmännin ein und erzählt »eine Geschichte«: »Einst gingen Engel zu Gott und klagten: ›Ewiger Vater, du bist ungerecht, weil du uns allen einen einzigen Reichtum gegeben hast… Argentinien hingegen hast du alles gegeben, es ist reich an allem.‹ Und Gottvater antwortete: ›Aber ich habe das bemerkt und um es auszugleichen, habe ich dem Land die Argentinier gegeben.‹ Das Problem Argentiniens sind wir, die wir oft nicht die Kraft haben, voranzukommen.«

Das Beispiel
der Weltmeisterschaft

Die letzte Fußballweltmeisterschaft ist für Franziskus ein Beispiel: »Holland am Anfang, erste Halbzeit, 2:0. Schön war das! Und was haben die Argentinier gemacht? ›Wir haben schon gewonnen!‹ Am Ende mussten sie durch einen Elfmeter gewinnen. Frankreich, 3:1. ›Ach, wir haben schon gewonnen!‹ Aber die zweite Halbzeit hat noch gefehlt. Am Ende haben sie durch einen Elfmeter gewonnen. Wir denken, dass es vorbei ist, weil wir des Weges müde werden und auf halbem Weg aufhören.«

Valeria, Wünsche und Kritik
junger Menschen an der Kirche

Sie ist jung, aber sie spricht nicht als junger Mensch, sondern im Namen junger Menschen, Valeria, eine Religionslehrerin. Sie ist die Sprecherin für Wünsche, Forderungen und auch Beschwerden, die sie in ihrem Beruf sammelt. Zum Beispiel die nach einer Kirche, die transparenter, moderner in ihren Methoden, den Menschen näher ist. »Kurz gesagt, eine Kirche im Aufbruch«, stellt der Papst fest.

»Die Kirche ist Kirche, wenn sie in Bewegung ist. Wenn das nicht der Fall ist, ist sie eine Sekte, die sich abkapselt. In der Kirche gibt es oft Streitereien zwischen kleinen Gruppen, einer gegen den anderen. Wenn in der Kirche aus einem Unterschied eine Partei wird, tötet das die Einheit… Wir sind nicht alle einheitlich in der Kirche, und das ist die Größe.«

Das virtuelle Leben
von Giuseppe

Der letzte ist Giuseppe, ein Studienabbrecher, der die meiste Zeit zu Hause mit Videospielen verbringt und nur virtuelle Beziehungen knüpft. Es ist kein Zeugnis, sondern die Rechtfertigung einer Lebensentscheidung: »Schließlich tue ich nichts Böses, und niemand tut mir etwas Böses.« Der Papst hört zu und wandelt sich vom Großvater zum Vater, wobei er nicht mit einer gewissen Härte spart, denn Jungen wie Giuseppe müssen vielleicht einmal aufgerüttelt werden.

»Du hast eine Art zu leben entwickelt, mit Menschen in Kontakt zu sein, aber das ist ein aseptischer Kontakt. Wie bei den kranken Menschen auf der Isolierstation, die ihre Familienmitglieder nur hinter einer Glaswand sehen. Dir fehlt der Horizont, die Perspektive… Man kann nicht ohne Horizont leben, weißt du? Mit der Zeit wirst du dir selber langweilig.«

Einladung
zum Weltjugendtag

»Wirst du am Weltjugendtag teilnehmen?«, ist die Frage, die schließlich allen gestellt wird. Manche sagen ja, manche nein, manche wissen nicht einmal, wovon die Rede ist. Doch die Einladung des Papstes gilt für alle: »Es lohnt sich, zum Weltjugendtag zu kommen. Es ist das Risiko wert! Wer kein Risiko eingeht, kommt nicht voran. Es lohnt sich, dorthin zu gehen, und dann reden wir darüber!«

Vorschlag
für einen Weltkindertag

Schon fast beim Hinausgehen – der Terminkalender des Papstes ist im Sommer von allem anderen als von Ausruhen geprägt – eine letzte Bitte: »Das, Heiliger Vater, müssen Sie wirklich hören!« Es ist die Sprachnachricht des 9-jährigen Alessandro, der den Vorschlag für einen Weltkindertag macht.

Der Papst: »Das finde ich toll! Und wir können die Großeltern dazu bringen, ihn zu organisieren. Die Großeltern bitten, einen solchen Tag zu veranstalten. Eine schöne Idee. Ich werde darüber nachdenken und sehen, wie man es machen kann.«

(Orig. ital. in O.R. 25.7.2023)

Von Salvatore Cernuzio