Papst Franziskus hat am 15. Juli Josef Shen Bin, bisher Bischof der Diözese Haimen in der Provinz Jiangsu, zum Bischof von Shanghai in Kontinentalchina ernannt. Über diese Entscheidung und mögliche Entwicklungen im Dialog zwischen dem Heiligen Stuhl und den Behörden der Volksrepublik China hat Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin den Vatikanmedien das folgende Interview gegeben.
Eminenz, der Heilige Stuhl hat die Ernennung von Josef Shen Bin zum Bischof von Shanghai bekanntgegeben, nachdem dieser bereits faktisch aus der Diözese Haimen dorthin gewechselt hatte. Warum geschah dies und welche Bedeutung hat die Geste von Papst Franziskus?
Kardinal Parolin: Um das Geschehene zu erläutern, scheint es mir nützlich, auf die Präzedenzfälle und Umstände der Angelegenheit hinzuweisen. Wie wir uns erinnern, ist das Vorläufige Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Volksrepublik China bezüglich der Ernennung von Bischöfen am 22. Oktober 2022 für weitere zwei Jahre verlängert worden. Etwa einen Monat später hat der Heilige Stuhl seiner Überraschung und seinem Bedauern über die Nachricht Ausdruck verliehen, dass Johannes Peng Weizhao, Bischof von Yujiang, als Weihbischof in der Diözese Jiangxi eingeführt wurde, ohne Anerkennung des Heiligen Stuhls und ohne dass dieser konsultiert oder informiert worden wäre. Was dagegen Shanghai betrifft, so wurde der Heilige Stuhl von den chinesischen Behörden zwar über die Versetzung des Bischofs von Haimen informiert, aber ohne dass er zuvor einbezogen worden wäre. Die Entscheidung, sich Zeit zu nehmen, bevor dieser Fall öffentlich kommentiert wird, hat seinen Grund in der Notwendigkeit, sowohl die pastorale Situation der Diözese Shanghai, die vom Heiligen Stuhl anerkannt ist und schon zu lange Zeit ohne Bischof war, als auch die Zweckmäßigkeit der Versetzung dieses sehr geschätzten Hirten aus Haimen sorgfältig zu prüfen.
Beide Versetzungen wurden ohne Einbeziehung des Heiligen Stuhls vorgenommen. Dieser Modus Procedendi scheint den Geist des Dialogs und der Zusammenarbeit nicht zu berücksichtigen, der sich zwischen dem Vatikan und China mit den Jahren entwickelt hat, und der im Abkommen einen Orientierungspunkt hat. Papst Franziskus hat aber entschieden, die kanonische Rechtswidrigkeit, die in Shanghai entstanden ist, zu sanieren – im Hinblick auf das größere Wohl der Diözese und eine fruchtbare Ausübung des pastoralen Dienstes des Bischofs. Die Absicht des Papstes ist wesentlich pastoral und wird es Bischof Shen Bin erlauben, mit größerer Ruhe zu arbeiten, um die Evangelisierung und den Zusammenhalt zu fördern. Zugleich hoffen wir, dass er im Einvernehmen mit den Behörden eine gerechte und kluge Lösung für einige andere in der Diözese seit Langem anhängige Fragen finden kann, wie zum Beispiel die Position der beiden Weihbischöfe: Thaddäus Ma Daqin, der nicht zugelassen wird, und Josef Xing Wenzhi, der sich zurückgezogen hat.
Können Sie uns unter Berücksichtigung der Vertraulichkeit des Textes sagen, was das »vorläufige Abkommen« in diesem Fall vorsieht oder ob zumindest ähnliche Fälle darin berücksichtigt werden?
Kardinal Parolin: Wie wir wissen, wurde das Vorläufige Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Volksrepublik China bezüglich der Ernennung von Bischöfen am 22. September 2018 abgeschlossen mit einer Gültigkeit für zwei Jahre und wurde dann zweimal verlängert, zum ersten Mal 2020 und das zweite Mal 2022. Der Text ist vertraulich, weil er noch nicht definitiv approbiert wurde. Er dreht sich um das Grundprinzip der Konsensualität von Entscheidungen in Bezug auf die Bischöfe. Sollten sich neue, unvorhergesehene Situationen ergeben, so wird es darum gehen, in guter Absicht und mit Weitsicht eine Lösung zu suchen, indem man das schriftlich Festgehaltene genauer deutet und sich dabei an den Prinzipien orientiert, die die Abfassung des Textes inspiriert haben. Wir bemühen uns daher derzeit um eine Klärung dieses Punktes in einem offenen Dialog und respektvollen Austausch mit dem chinesischen Partner. Im Vertrauen auf die Klugheit und den guten Willen aller hoffen wir, zu einem positiven Ergebnis zu kommen, das der Fortsetzung des Weges dienlich ist und Schwierigkeiten überwinden hilft.
Glauben Sie, dass einseitige Bischofsversetzungen in China wieder vorkommen werden? Und warum ist es wichtig, dass die Ernennung von Bischöfen in China im Konsens erfolgt?
Kardinal Parolin: Zunächst möchte ich sagen, dass Bischofsversetzungen von einer Diözese in eine andere keine kanonische Anomalie sind, sondern Maßnahmen, die sozusagen zur »Physiologie« der Leitung der Kirche in der ganzen Welt gehören, wenn die pastoralen Anforderungen und letztlich das Wohl der Seelen dies erfordern. Auch in China ist es sinnvoll, wenn in der vakanten Diözese kein geeigneter Kandidat gefunden wird, ihn in einem weiteren Umkreis zu suchen. In diesem Sinne ist der Heilige Stuhl nicht gegen die Versetzung von Bischöfen in China. Problematisch wäre es, wenn dies nicht einvernehmlich erfolgen würde. Meiner Meinung nach lassen sich solche Schwierigkeiten durch die korrekte Anwendung des Abkommens vermeiden. Es ist daher wichtig, ich würde sogar sagen unerlässlich, dass alle Bischofsernennungen in China, einschließlich der Versetzungen, wie vereinbart im Konsens erfolgen und der Geist des Dialogs zwischen den Partnern des Abkommens lebendig bleibt. Gemeinsam müssen wir unharmonische Situationen vermeiden, die auch innerhalb der katholischen Gemeinschaften zu Meinungsverschiedenheiten und Missverständnissen führen; und eine gute Umsetzung des Abkommens ist neben einem aufrichtigen Dialog eines der Mittel, um dies zu erreichen.
Welche anderen Themen sollten die Partner des Abkommens gemeinsam besprechen und warum?
Kardinal Parolin: Es gibt viele Themen, die dringend behandelt werden sollten, weil es in der Kirche in China viele komplexe Situationen und offene Fragen gibt. Ich möchte nur drei von ihnen in aller Kürze ansprechen: die Bischofskonferenz, die Kommunikation der chinesischen Bischöfe mit dem Papst, die Evangelisierung. Vor allem wünscht der Heilige Stuhl eine wachsende Verantwortlichkeit der Bischöfe in der Leitung der Kirche in China, und zu diesem Zweck ist es notwendig, dass möglichst bald eine Bischofskonferenz mit den ihrer kirchlichen Natur und ihrem pastoralen Auftrag entsprechenden Statuten anerkannt wird. In diesem Kontext ist es unumgänglich, dass eine regelmäßige Kommunikation der chinesischen Bischöfe mit dem Bischof von Rom stattfinden kann, Voraussetzung für eine wirksame Gemeinschaft, im Wissen, dass all dies zur Struktur und Lehre der katholischen Kirche gehört, die die chinesischen Behörden ihren eigenen Worten zufolge nicht ändern wollen. Es ist zu sagen, dass allzu großes Misstrauen das Werk der Evangelisierung verlangsamt und behindert: Die chinesischen Katholiken, auch die als »illegal« bezeichneten, verdienen Vertrauen, weil sie aufrichtige loyale Bürger sein und in ihrem Gewissen und ihrem Glauben respektiert werden wollen. Damit das Evangelium sich mit seiner Fülle an Gnade und Liebe verbreiten und in China und für China gute Früchte tragen kann, damit Jesus Christus »den Chinesen ein Chinese sein kann«, ist es notwendig, das Misstrauen gegen den Katholizismus zu überwinden, der keine Religion ist, die der Kultur dieses großen Volkes gegenüber als fremd – und noch weniger als gegensätzlich – anzusehen wäre. Es wird eine große Freude für uns sein, wenn dies Wirklichkeit wird, und ich bekenne, dass ich persönlich jeden Tag in diesem Anliegen zum Herrn bete.
Wie sehen Sie die Zukunft des Dialogs zwischen dem Heiligen Stuhl und den Regierungsvertretern der Volksrepublik China?
Kardinal Parolin: Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich dieses Interview gegeben habe, weil die katholischen Gläubigen nicht nur in China das Recht haben, angemessen informiert zu werden. Mich haben in der Tat zahlreiche Anfragen diesbezüglich erreicht von Seiten verschiedener kirchlicher Gemeinschaften und am Thema wirklich interessierter Einzelpersonen. Ich wünsche mir daher, dass meine Worte in diesem Sinne einigermaßen nützlich sein und zur Klärung und Beseitigung von Schwierigkeiten beitragen können. Mir ist bewusst, dass die auf dem Weg auftretenden Hindernisse das Vertrauen untergraben und dem Ganzen positive Energie entziehen können. Nichts-destotrotz scheinen mir die Gründe für den Dialog ein noch stärkeres Gewicht zu haben. Denn der Dialog zwischen der Vatikanseite und der chinesischen Seite bleibt offen, und ich glaube, dass es sich um einen Weg handelt, der in gewisser Weise obligatorisch ist. Dass es Probleme gibt, ist unvermeidlich, aber wenn dieser Dialog in der Wahrheit und in gegenseitiger Achtung wächst, kann er sich für die Kirche und für die chinesische Gesellschaft als fruchtbar erweisen. Um ihn flüssiger und effektiver zu gestalten, scheint mir die Eröffnung eines ständigen Verbindungsbüros des Heiligen Stuhls in China äußerst nützlich zu sein. Lassen Sie mich hinzufügen, dass eine solche Präsenz meiner Meinung nach nicht nur den Dialog mit den zivilen Behörden begünstigen würde, sondern auch einen Beitrag zu einer vollständigen Versöhnung innerhalb der chinesischen Kirche und zu ihrem Weg hin zu einer wünschenswerten Normalität leisten könnte.
Der vom Evangelium inspirierte und nicht von ökonomisch-politischen Interessen geleitete Dienst, den die Kirche, gerade als katholische Kirche, den Völkern und ihrem menschlichen, spirituellen und materiellen Fortschritt zukommen lässt, ist für alle ehrlichen Beobachter klar zu erkennen. So hat bereits Papst Benedikt XV. im Schreiben Maxima illud vom 30. November 1919 betont, dass »die Kirche Gottes eine allgemeine« – katholische – »und bei keinem Volk oder Stamm etwas Fremdes« ist. Auch ich möchte unterstreichen, dass die katholische Kirche China noch sehr viel zu geben hat, und dass China der katholischen Kirche noch sehr viel zu geben hat.
Abschließend sei gesagt, dass wir ein Abkommen unterzeichnet haben, dass historisch genannt werden kann, dass jedoch noch vollständig und so korrekt wie möglich umgesetzt werden muss. Heute, im entscheidenden Moment der Umsetzung, brauchen wir den guten Willen, den Konsens und die Zusammenarbeit, die es uns ermöglicht haben, dieses weitsichtige Bündnis zu schließen! Der Heilige Stuhl ist entschlossen, seinen Teil dazu beizutragen, damit der Weg weitergehen kann.
(Orig. ital. in O.R. 15.7.2023)