Eminenz, liebe Brüder!
Herzlich begrüße ich einen jeden von euch als Mitglieder der Delegation des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, die ihr am Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus teilgenommen habt. Ich bin dankbar für eure Anwesenheit und danke auch von Herzen Seiner Heiligkeit Bartholomaios und dem Heiligen Synod, die euch zu uns gesandt haben. Durch euch richte ich einen herzlichen Gruß an meinen geliebten Bruder Bartholomaios und an alle Bischöfe des Ökumenischen Patriarchats.
Zunächst möchte ich meiner Freude über den erfolgreichen Abschluss der 15. Sitzung der Vollversammlung der Internationalen Gemischten Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche zum Ausdruck bringen, der vor Kurzem in Alexandria in Ägypten stattgefunden hat, auf großherzige Einladung des lieben Bruders, Seiner Seligkeit Theodoros II., griechisch-orthodoxer Papst und Patriarch von Alexandria und ganz Afrika. Es war wichtig, gemeinsam zu untersuchen, wie sich im Osten und im Westen der Bezug zwischen Synodalität und Primat im zweiten Jahrtausend entwickelt hat, denn dies kann zur Überwindung einer polemischen Argumentation beitragen, die einst von beiden Seiten vertreten wurde. Diese Argumentation mag nützlich erscheinen, um die jeweilige Identität zu stärken, aber in Wirklichkeit führt sie letztlich dazu, die Aufmerksamkeit bloß auf sich selbst und die Vergangenheit zu konzentrieren. Vor dem Hintergrund dessen, was uns die Geschichte lehrt, sind wir heute aufgerufen, gemeinsam eine Art und Weise der Primatsausübung zu suchen, die – im Kontext der Synodalität – im Dienst an der Gemeinschaft der Kirche auf universaler Ebene steht. Diesbezüglich ist eine Präzisierung notwendig: Es ist undenkbar, dieselben Befugnisse, die der Bischof von Rom in Bezug auf seine Diözese und den katholischen Kontext hat, auf die orthodoxen Gemeinschaften auszudehnen; wenn wir mit der Hilfe Gottes im Glauben und in der Liebe ganz vereint sein werden, dann wird die Form, in der der Bischof von Rom seinen Dienst an der Gemeinschaft in der Kirche auf universaler Ebene ausüben wird, aus einer untrennbaren Beziehung von Primat und Synodalität hervorgehen müssen.
Und dann dürfen wir nie vergessen, dass die volle Einheit eine Gabe des Heiligen Geis-tes sein wird und im Geist gesucht werden muss, denn die Gemeinschaft unter den Gläubigen ist keine Frage des Nachgebens oder der Kompromisse, sondern der geschwis-terlichen Liebe von Brüdern und Schwestern, die sich als geliebte Kinder des Vaters erkennen und, erfüllt vom Heiligen Geist, ihre Verschiedenheit in einen weiteren Kontext einzubringen verstehen. Das ist die Perspektive des Heiligen Geistes, der die Verschiedenheiten harmonisiert, ohne die Wirklichkeit zu nivellieren. Wir sind aufgerufen, genau diesen seinen Blick zu haben und müssen ihn daher inständig als Gabe erbitten. Bitten wir unermüdlich den Heiligen Geist, rufen wir ihn füreinander an! Und teilen wir brüderlich das, was wir im Herzen tragen: Schmerzen und Freuden, Mühen und Hoffnungen.
Die Atmosphäre dieser Begegnung führt uns so dazu, auch die Sorgen zu teilen: vor allem die eine Sorge um den Frieden, besonders in der gequälten Ukraine. Es ist ein Krieg, der uns näher betrifft und uns so zeigt, dass in Wirklichkeit alle Kriege bloß Katastrophen sind, totale Katastrophen: für die Völker und die Familien, für die Kinder und die alten Menschen, für die Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, für die Städte und Dörfer, für die Schöpfung, wie wir es kürzlich als Folge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms gesehen haben. Als Jünger Christi dürfen wir uns nicht mit dem Krieg abfinden, sondern haben die Pflicht, gemeinsam für den Frieden zu arbeiten. Die tragische Realität dieses Krieges, der nicht enden zu wollen scheint, erfordert von allen eine gemeinsame kreative Anstrengung, um Wege des Friedens zu finden und zu verwirklichen, hin zu einem gerechten und dauerhaften Frieden.
Sicher ist der Friede keine Realität, die wir aus eigener Kraft erreichen können, sondern er ist in erster Linie ein Geschenk des Herrn. Dennoch handelt es sich um eine Gabe, die auf Seiten des Menschen und vor allem der Gläubigen eine entsprechende Haltung erfordert, indem sie sich am Frieden stiftenden Werk Gottes beteiligen.
In diesem Sinne zeigt uns das Evangelium, dass der Friede nicht aus der bloßen Abwesenheit von Krieg entsteht, sondern aus dem Herzen des Menschen. Was ihn behindert, das ist letzten Endes die Wurzel des Bösen, die wir in uns tragen: Habgier, der Wille, auf persönlicher, gemeinschaftlicher, nationaler und sogar religiöser Ebene egoistisch die eigenen Interessen zu verfolgen. Daher hat Jesus uns als Heilmittel vorgeschlagen, das Herz zu bekehren, es durch die Liebe des Vaters zu erneuern, der »seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte« (Mt 5,45). Es ist eine Liebe ohne Gegenleistung, die universal ist, nicht auf die eigene Gruppe beschränkt: Wenn unser Leben nicht das Neue dieser Liebe verkündet, wie können wir dann vor der Welt Zeugnis für Jesus geben? Abkapselung und Egoismus muss der Stil Gottes entgegengesetzt werden, der Dienen und Selbstverzicht ist, wie Christus es uns mit seinem Beispiel gelehrt hat. Wir können sicher sein, dass die Christen, wenn sie diesen Stil verkörpern, in der gegenseitigen Gemeinschaft wachsen und der von Spaltung und Zwietracht geprägten Welt helfen werden.
Liebe Mitglieder der Delegation, ich versichere euch des Gedenkens im Gebet für euch und für die Kirche, die ihr heute hier repräsentiert. Ich bitte den Herrn, dass diese unsere Begegnung auf die Fürsprache der heiligen Petrus und Paulus und des heiligen Andreas, Bruder des Petrus, ein weiterer Schritt auf dem Weg zur sichtbaren Einheit im Glauben und in der Liebe sein möge. Brüderlich bitte ich euch, für mich und meinen Dienst zu beten. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 30.6.2023)