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Klatsch und Tratsch beim Wort genommen

Süße Bonbons, scharfe Schwerter, giftige Pfeile

 Süße Bonbons, scharfe Schwerter, giftige Pfeile  TED-026
30. Juni 2023

Gehässiges Gerede hinter jemandes Rücken ist wohl leider so alt wie die Menschheit. Man sitzt vor dem Zelt oder trifft sich am Brunnen, spricht über dies und das, tauscht Neuigkeiten aus, gern auch über Leute, die gerade nicht anwesend sind. So wird bereits im Buch Numeri (12,1) berichtet, dass Mirjam und Aaron gegen die kuschitische Frau des Mose – beide sind nicht anwesend – wettern. In Zeiten des Alten Testaments folgt die Strafe sofort: Mirjam wird »weiß wie Schnee vor Aussatz« (12,10).

Eine Art Mord

Der heilige Franz von Sales beschreibt das unbedingt zu vermeidende Verhalten der Verleumder in seiner Philothea: »Üble Nachrede ist eine Art Mord ... Doch begeht der Verleumder mit einem einzigen Streich seiner Zunge gleich drei Morde, denn er tötet seine eigene Seele und die seines Zuhörers durch einen geistlichen Mord; und zusätzlich zerstört er das bürgerliche Leben dessen, den er verleumdet. […] Die giftigsten Verleumder von allen sind die, welche ihrer üblen Nachrede Ehrenbeteuerungen vorausschicken oder zwischendurch etwas Nettes oder Witziges sagen. ›Ich mag ihn wirklich‹, sagen sie, ›und in jeder anderen Hinsicht ist er ein guter Mensch, aber der Wahrheit zuliebe will ich erzählen, dass …‹ Erkennst du den Trick? War mit dem Bogen schießt, der zieht den Pfeil zunächst so nah an sich heran, wie er nur kann; aber nur, um ihn danach mit mehr Kraft abzuschießen […] damit er tiefer in die Herzen der Zuhörer eindringt« (Teil III, 29. Kapitel). »Streich der Zunge«, wie ein Schwerthieb, »Worte wie Pfeile«: Das hört sich nach Krieg an und kommt auch schon in den Psalmen vor: »Sie [gemeint ist die Schar der Bösen, die Unrecht tun] schärfen ihre Zunge wie ein Schwert, schießen giftige Worte wie Pfeile« (Ps 64). Diese Sprachbilder sollen veranschaulichen, was geschieht. Sie sind Teil der poetischen Ausdrucksweise der Psalmentexte, die im Übrigen auch über die Psalmen ins Deutsche gekommen ist. Der bedeutendste Übersetzer vor Luther, der St. Galler Benediktinermönch Notker der Deutsche, übertrug um das Jahr 1000 mit künstlerischem Feingefühl alle 150 Psalmen ins Althochdeutsche und kommentierte sie. So kam der Ausdruck »die Zunge wetzen« in die deutsche Literatursprache, althochdeutsch: »sīe iro zunga wazton«. Das ist natürlich nicht wörtlich zu verstehen, als hätte jemand seine eigene Zunge irgendwie angespitzt. Das »Spitze« verweist auf das Verletzende, das den von der »Zunge« gesprochenen Worten anhaftet.

In den Psalterillustrationen allerdings wurden die Metaphern häufig wörtlich in reale Bilder umgesetzt, eine Methode, die sich wahrscheinlich aus der Palastschule Karls des Großen in Aachen herleiten lässt. Der Kaiser versammelte hier Gelehrte aus ganz Europa, es begann eine kulturelle Blütezeit in Sprache und Literatur, Bauwesen und Buchkunst.

Der um 830 im Pariser Raum im Umfeld Hilduins von Saint-Denis entstandene Stuttgarter Bilderpsalter enthält mit über 300 in den Psaltertext eingestreuten Miniaturen den umfangreichsten Bildzyklus aus dem 9. Jahrhundert. Die Illustration zu Psalm 64 stellt vor allem das Opfer in den Mittelpunkt, das heißt denjenigen, über den geredet wird: Er sieht aus wie ein heiliger Sebastian, getroffen von den »giftigen Pfeilen« des Geredes.

Auch der Utrechter Psalter folgt dem Prinzip der Wortillustration. Scheinbar schnell hingeworfene Tuschezeichnungen vereinen mehrere Psalmverse in einem einzigen Bild. Die Handschrift entstand um 820 bis 835 im Benediktiner-Kloster Hautvillers in der Nähe der nordfranzösischen Stadt Reims. Sie hatte einen erheblichen Einfluss auf die angelsächsische Kunst, denn im 11. Jahrhundert befand sich der Utrechter Psalter in Canterbury. Viele angelsächsische Künstler wurden durch den lebendigen und ausdrucksstarken Stil der Linienzeichnung des Utrechter Psalters beeinflusst. Dies zeigt sich in einigen der schöns-ten Handschriften, die im spätmittelalterlichen England entstanden, darunter der Eadwine-Psalter aus dem 12. Jahrhundert, der hier eingehender betrachtet werden soll.

Die Schar der Bösen

Er ist nach seinem Schreiber benannt, einem Mönch der Kathedrale von Canterbury, der die Bilder aus dem karolinigischen Utrecht-Psalter kopiert hat. Neben dem Autorenbild zu Beginn stehen die stolzen Worte: »Ich, Eadwin, der Kopist, Erster der Kopis-ten. Von nun werden weder mein Ruhm noch mein Ansehen je vergehen. Die Buchstaben, die ich geschrieben habe, mögen verkünden, wer ich bin.« Insgesamt sind sechs Künstler an der Handschrift beteiligt. Die Illustration zu Psalm 64 (fol. 108v) setzt mehrere Verse bildlich um: Bogenschützen spannen ihre Bögen, um Pfeile abzuschießen, in seltsam vorgeneigter Haltung und mit ganzem Körpereinsatz (siehe Franz von Sales). Einer aus der Gruppe der »Schar der Bösen« zielt nach oben auf den Psalmisten. Am unteren Rand sind zwei Methoden dargestellt, um Schwerter zu schärfen. Entweder indem das Schwert in einen Rahmen gespannt und mit einem entsprechenden Werkzeug geschärft wird. Interessant ist die zweite dargestellte Methode mit der Hilfe einer Schleifscheibe, die mit einer Kurbel betrieben wird. Darunter befindet sich ein Wasserbecken, denn während des Schleifvorgangs muss der Stein nass gehalten werden. Durch die Reibung lösen sich einzelne Partikel und hinterlassen einen Schlamm auf dem Stein, der die Schärfung des Schwertes ermöglicht.

Der Psalm beginnt mit den Worten: »Höre, Gott, mein lautes Klagen, schütze mein Leben vor dem Schrecken des Feindes!« Dies ist am oberen Rand dargestellt: Bittend erhebt der Psalmist seine Hände und wird erhört: Ein Engel hält als Zeichen des Schutzes ein Tuch über seinen Kopf, die Hand Gottes ragt aus einer Wolke hervor, Zeichen seines machtvollen Eingreifens.

Üble Nachrede wird als bedrohlich empfunden, aber der Psalmist weiß auch, dass er selbst nicht immer unschuldig ist: »Stelle eine Wache vor meinen Mund, behüte das Tor meiner Lippen«, heißt es in Psalm 141,3-5. Auch das wird illustriert.

Um die Auswirkungen von Klatsch und Tratsch deutlich zu machen, verwendet auch der Papst immer wieder Bilder. So am 22. Oktober 2022 in seiner Ansprache an die Teilnehmerinnen der Generalkapitel von zwei Frauenorden, in der er das Lästern hinter dem Rücken anderer als Plage bezeichnet, vergleichbar einem Holz-wurm, »der nach und nach das Zusammenleben und die Kraft des Gemeinschaftslebens zerstört«. Er selbst kenne allerdings ein gutes Mittel gegen »Geschwätz« jeder Art, fügte Franziskus hinzu. »Auf die Zunge beißen, denn dann schwillt die Zunge an und man kann nicht mehr sprechen.« Das Bild des Holzwurms oder der Zerstörung, die er anrichtet, bleiben einem im Gedächtnis.

Auf die Zunge beißen

Beim Angelus am 16. Februar 2014 verweist er auf dasselbe Gegenmittel – auf die Zunge beißen – und führt aus, dass auch Worte töten können. »Daher darf man nicht nur nicht nach dem Leben des Nächsten trachten, sondern man darf ihn ebenso wenig mit dem Gift des Zornes überschütten und mit übler Nachrede treffen. Auch nicht schlecht über ihn reden. Kommen wir zum Geschwätz: Auch das Geschwätz kann töten, weil es den guten Ruf der Menschen tötet! Das Schwätzen ist so hässlich! Am Anfang mag es einem als angenehm und auch unterhaltsam erscheinen, als lutsche man eine Karamelle. Am Ende erfüllt es unser Herz mit Bitterkeit und vergiftet auch uns.« Wie Bonbonlutschen also, aber in Wirklichkeit ist es Gift…

Johanna Weißenberger