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Gedanken zum Sonntag - 11. Juni: Zehnter Sonntag im Jahreskreis

Begegnung auf Augenhöhe

 Begegnung auf Augenhöhe  TED-023
09. Juni 2023

Wer einmal Caravaggios großartiges Gemälde von der Berufung des Matthäus in der römischen Kirche San Luigi dei Francesi gesehen hat, wird es wohl immer vor Augen haben, wenn in der Liturgie der Kirche die entsprechende Schriftstelle verkündet wird: Jesus tritt im wahrsten Sinn des Wortes in die Welt dieses Zöllners. In eine Szene, die voller Zwielicht und entsprechender Gestalten ist, dringt der Lichtstrahl der Zuwendung und der Aufmerksamkeit. Eindrücklich wird die ganze heilbringende Dimension des schlichten »Jesus sah« aus dem Evangelium ins Bild gesetzt. Dafür wird Gott Mensch, wird das Wort Fleisch, um uns auf Augenhöhe zu begegnen. Dafür macht Gott sich gering, damit niemand mehr Angst haben muss, übersehen zu werden, auch wenn er vielleicht sich selbst schon länger aus den Augen verloren hat.

Im Evangelium finden wir zu dieser unmittelbaren Begegnung zwischen dem Erlöser und dem Zöllner auch ein Gegenbild: Kritik wird an Jesus nur indirekt, über die Jünger, herangetragen, und sie entlarvt sich damit selber als nicht aufrichtig und konstruktiv. Der Meister zerstreut auch diese Zwielichtigkeit und begegnet seinen Kritikern auf Augenhöhe. War die Botschaft für Matthäus: »Folge mir nach!«, so bekommen sie: »Geht und lernt!« aufgetragen. Indem Matthäus sein Haus geöffnet und andere Zöllner und Sünder zum Mahl geladen hatte, zeigte er, was Nachfolge bedeutet: Von innen her in allen die Schwester und den Bruder zu sehen und nie jemanden lediglich von außen her festzulegen und so an ihm vorbeizuschauen.

Vielleicht konnte der große Künstler Caravaggio die Berufung des Matthäus auch deshalb so sprechend darstellen, weil er selber einer war, der aus dem Zwielicht und Suchen seiner eigenen Existenz heraus die Sehnsucht nach jemanden hatte, in dessen aufrichtigem Blick er sich selbst finden konnte. In der Lesung aus dem Römerbrief macht Paulus uns Mut, darauf zu vertrauen, »dass Gott die Macht besitzt, auch zu tun, was er verheißen hat«. Wieviel an heilsamer Verheißung liegt doch ausnahmslos in jedem Leben, wieviel an göttlicher Verheißung liegt auch in meinem Leben? Deshalb gibt es auch keinen Tag, an dem der Herr nicht in mein Leben tritt, mich sieht, mich ruft, bei mir zu Gast sein möchte, damit in mir und durch mich seine Verheißung lebendig wird.

Michael Max,

Rektor des Päpstlichen Instituts

Santa Maria dell’Anima in Rom