Neue Räume in der Gedenkstätte für die Märtyrer des 20. und 21. Jahrhunderts auf der Tiberinsel

Stärkung für das Herz der Kirche

 Stärkung für das Herz der Kirche  TED-021
26. Mai 2023

Die »Märtyrerinsel« liegt keineswegs irgendwo im Pazifik. Vielmehr ist es der römische Tiber, der ihre Ufer umspült. Hier, in der Ewigen Stadt, haben die römischen Protomäryterer sowie die heiligen Bartholomäus und Adalbert von Prag, die schon seit Jahrhunderten in der römischen Basilika St. Bartholomäus auf der Tiberinsel verehrt werden, sozusagen Gesellschaft aus allen Kontinenten und allen Konfessionen bekommen. Ein geistlicher Schatz auf einer Insel: es lohnt sich, ihn zu entdecken.

»Auch das 21. Jahrhundert hat im Zeichen des Martyriums begonnen. Wenn die Christen wirklich Sauerteig, Licht und Salz der Erde sind, werden auch sie […] Gegenstand von Verfolgungen. […] Das brüderliche Zusammenleben, die Liebe, der Glaube, die Entscheidungen zugunsten der Schwächs-ten und der Armen, die das Leben der christlichen Gemeinschaft kennzeichnen, rufen manchmal gewalttätige Feindseligkeit hervor. Wie hilfreich ist es dann, auf das leuchtende Zeugnis dessen zu blicken, der uns vorausgegangen ist im Zeichen einer heroischen Treue bis zum Martyrium!« Mit diesen Worten nannte Papst Benedikt XVI. am 7. April 2008 bei seinem Besuch der Gedenkstätte der Märtyrer des 20. und 21. Jahrhunderts einen Grund für »Verfolgungen« und »gewalttätige Feindseligkeit«.

Die Zeugnisse der Märtyrer sollten nicht vergessen werden: Die Geschichte des Gedenk-ortes begann im Jubiläumsjahr 2000 und geht auf einen ausdrücklichen Wunsch von Papst Johannes Paul II. zurück. Bei der Gedächtnisfeier für die Zeugen des Glaubens im 20. Jahrhundert, die am 7. Mai 2000 im Kolosseum stattfand, sprach er als Augenzeuge: »Die Generation, der ich angehöre, hat den Schrecken des Krieges, die Konzentrationslager und die Verfolgung kennengelernt. In meiner Heimat wurden während des Zweiten Weltkriegs Priester und Christen in Vernichtungslager deportiert. Allein in Dachau waren etwa dreitausend Priester interniert. […] Ich selbst bin in meiner Jugendzeit Zeuge für großen Schmerz und viele Prüfungen geworden. […] Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der darauffolgenden Jahre hat mich dazu geführt, mit dankbarer Aufmerksamkeit das leuchtende Beispiel all jener zu betrachten, die seit den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts bis zu seinem Ausgang Verfolgung, Gewalt und Tod auf sich nahmen um ihres Glaubens willen und wegen ihres Verhaltens, das von der Wahrheit Christi beseelt war. Es sind so viele! Ihr Gedächtnis darf nicht vergessen werden. Mehr noch: Es muss dokumentiert und wiedergewonnen werden.«

Mit diesem Ziel wurde zur Vorbereitung des Jubiläumsjahres die Kommission »Neue Märtyrer« eingesetzt, die etwa 13.000 Dossiers anlegte. Als konkreter Ort des Gedenkens wurde die Basilika St. Bartholomäus auf der Tiberinsel gewählt, die der Gemeinschaft Sant’Egidio anvertraut worden war. Reliquien, Gegenstände, die den Märtyrern gehört hatten, wurden auf den Seitenaltären in der Kirche ausgestellt. Seit Ende März dieses Jahres kamen weitere Räume unter der Kirche hinzu, deren Mauern eine lange Geschichte haben.

Bei den archäologischen Ausgrabungen in den Jahren 2006 bis 2007 konnten die Wissenschaftler neue Erkenntnisse gewinnen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. befand sich auf der Tiberinsel der Äskulaptempel, eine der wichtigs-ten heiligen Stätten des republikanischen und kaiserlichen Roms, von der jede Spur verloren gegangen zu sein schien. Bei den Ausgrabungen konnten jedoch zwei Reihen großer Tuffsteinblöcke freigelegt werden. Bei ihnen handelt es sich um die einzigen identifizierbaren Spuren eines ehemaligen Tempelhofs. Diese Mauern aus Tuffsteinblöcken dienten als Fundament für den Bau einer frühen Kirche, die wahrscheinlich mit »Salvator de Insula« identifiziert werden kann. Ein kleines christliches Gräberfeld wurde daneben ausgegraben und ist heute noch sichtbar.

Kostbare
Reliquien

Kaiser Otto III. (980-1002) beschloss, diese bereits bestehende Kirche durch den Anbau von Seitenschiffen zu erweitern, wobei die alten Reihen von Tuffsteinblöcken als Fundamente für die neuen Kolonnaden verwendet wurden. Bei den Ausgrabungen wurde eine Art großes rechteckiges Becken aus Mauerwerk unterhalb des Bodens entdeckt. Das »Becken« befindet sich genau in der Mitte des Presbyteriums der ottonischen Basilika, umstanden von sechs Säulen, zum Teil mit Adlerkapitellen im byzantinischen Stil. Dort wurden die Reliquien aufbewahrt, die die Basilika besaß, darunter den kostbaren Leib des Apostels und Märtyrers Bartholomäus sowie Reliquien des Märtyrerbischofs Adalbert von Prag, Das Becken, das die Reliquienschatullen vom Boden trennte, hatte die Aufgabe, die für die Konservierung der Reliquien gefährliche Ansammlung von Feuchtigkeit zu verhindern, indem es die Luftzirkulation sicherstellte. Nach einem teilweisen Einsturz bei einer Überschwemmung wurde die Kirche im 12. Jahrhundert wieder aufgebaut und das alte Presbyterium in eine Krypta umgewandelt.

Diese Krypta ist nun wieder zugänglich. Der Eingang befindet sich auf der rechten Seite der Kirche. Der Tiber, der seitlich vorbei-fließt wirkt hier etwas wilder, unten ist es zehn Grad kühler als draußen, die Räume sind hell ausgeleuchtet. Es ist kein unangenehmer Raum, man hört den Tiber und Spatzengezwitscher.

Ein kurzer Film am Anfang erzählt die Geschichte des Ortes. In der Krypta gibt es Erläuterungstafeln (Englisch und Italienisch), detaillierte Karten, Zahlen und Fakten, Kurzvideos mit Originalaufnahmen stellen Märtyrer vor. Insgesamt handelt es sich um sieben Räume, fünf von ihnen sind geographischen Regionen gewidmet – Afrika, Amerika, Asien und Ozeanien, Europa, Naher Osten – und zwei den Ideologien des 20. Jahrhunderts, unter denen Christen besonderer Verfolgung ausgesetzt waren: Kommunismus und Nationalsozialismus.

Dem Kommunismus zum Beispiel sind den Angaben in der Ausstellung zufolge in 94 Jahren bis zu einer Million orthodoxe Gläubige zum Opfer gefallen, 300 Bischöfe, 50.000 Priester. Es werden auch einige Plakate kommunistischer Propaganda gezeigt. Eines stammt aus Moskau (1965): Die Kirche ist als geldscheffelndes Monster dargestellt, das die Menschen in seinem Netz einfängt, versehen mit der Aufforderung an »Erwachsene und Kinder«, diese Netze zu zerreißen.

In Vitrinen befinden Gegenstände, die von der Geschichte gelebten Evangeliums berichten. Darunter aus dem Nahen Osten eine Holztaube von der Ikonostase der griechisch-orthodoxen Marienkirche in Aleppo, Syrien, die Stola einiger Märtyrerpriester, Gebetbücher, Bibeln, Briefe.

Einer der Briefe stammt von Franz Jägerstätter. Er hat ihn vor seiner Hinrichtung geschrieben. Das Doppelblatt ist eng beschrieben, in kleiner, vollkommen gleichmäßiger Schrift. Dass ein Mensch überhaupt in dieser Situation in Ruhe schreiben kann… In einer anderen Vitrine die Stola von Padre Pino Pu-glisi, wegen desselben Anfangsbuchstabens auch »Drei P« genannt: Er wurde an seinem 56. Geburtstag in Palermo von einem Auftragskiller der Mafia ermordet. Bevor man ihm in den Nacken schoss, sagte er mit einem Lächeln: »Ich habe euch erwartet…« In einer anderen Vitrine die Kelle, die Charles de Foucauld beim Bau seiner Eremitage benutzt hat.

Das Zeugnis der Märtyrer stärkt das Herz der Kirche, unterstreicht Kardinal Blaise Cupich, Erzbischof von Chicago und Titelkardinal von St. Bartholomäus, ein Herz, das in Rom, der »irgendwie gemeinsamen Heimat« der Christenheit, schlägt.

Auch Papst Franziskus hat die Gedenkstätte am 22. April 2017 besucht und gesagt: »Das lebendige Erbe der Märtyrer schenkt uns heute Frieden und Einheit. Sie lehren uns, dass man mit der Kraft der Liebe, mit der Sanftmut, gegen Anmaßung, Gewalt, Krieg kämpfen und mit Geduld den Frieden verwirklichen kann.« Und er unterstrich: »Es gibt auch sehr viele verborgene Märtyrer, jene Männer und jene Frauen, die der sanften Macht der Liebe, der Stimme des Heiligen Geistes treu sind, die sich im alltäglichen Leben bemühen, den Brüdern und Schwestern zu helfen und Gott vorbehaltlos zu lieben.«

In diesem Sinne kann man die Kirche auf der Insel im Fluss auch als eine Art Schlachtschiff sehen. Menschen, die mit den Waffen der Liebe – das Gute wollen für den anderen (Thomas von Aquin) – und des Mitgefühls für Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft gekämpft haben, für Gott, für Würde und Liebe, für Kranke und Arme, gegen die Mafia, Korruption und Profitgier…

Sinn
des Martyriums

Aber es scheint nur, als hätten die Märtyrer diese Schlacht verloren, so Benedikt XVI. am 7. April 2008: »Dem äußeren Anschein nach erweisen sich die Gewalttätigkeit, die Totalitarismen, die Verfolgung, die blinde Gewalt als stärker und bringen die Stimme der Glaubenszeugen zum Schweigen, die menschlich gesehen als Verlierer der Geschichte erscheinen können. Aber der auferstandene Jesus erleuchtet ihr Zeugnis, und so verstehen wir den Sinn des Martyriums. […]. In der Niederlage, in der Demütigung derer, die für das Evangelium leiden, ist eine Kraft am Werk, die die Welt nicht kennt: ›Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark‹ (2 Kor 12,10), ruft der Apostel Paulus aus. Es ist die Kraft der Liebe, wehrlos und siegreich auch in der scheinbaren Niederlage. Es ist die Kraft, die den Tod herausfordert und besiegt.«

Es gibt in der Krypta noch leere Vitrinen. Die Geschichte des Martyriums ist wohl noch nicht zu Ende.

Die Gedenkstätte der neuen Märtyrer neben der Wallfahrtskirche San Bartolomeo all’Isola ist geöffnet samstags von 9.30 bis 13.30 Uhr und von 15.30 bis 17.30 Uhr sowie nach Vereinbarung über ein Formular auf der Internetseite https://sanbartolomeo.org. Auf der Internetseite ist auch ein virtueller Rundgang möglich.

Von Johanna Weißenberger