Heiligkeit!
Liebe Brüder in Christus!
»Das ist der Tag, den der Herr gemacht;
lasst uns frohlocken und seiner uns freuen!« Mit diesem Osterruf empfing vor 50 Jahren Papst Paul VI. Ihren verehrten Vorgänger Papst Schenouda III. in der Petersbasilika. Und mit demselben Ruf empfange ich heute Sie, geliebter Bruder und lieber Freund Tawadros. Ich danke Ihnen von Herzen, dass sie meine Einladung angenommen haben, gemeinsam das Jubiläum dieses historischen Ereignisses aus dem Jahr 1973 und auch den zehnten Jahrestag unserer ersten Begegnung 2013 zu begehen.
Auf dem Weg der Ökumene ist es wichtig, immer nach vorne zu schauen. Während wir im Herzen eine gesunde Ungeduld und eine brennende Sehnsucht nach der Einheit tragen, müssen wir uns wie der Apostel Paulus »nach der Zukunft ausstrecken« (vgl. Phil 3,13) und uns beständig fragen: »Quanta est nobis via?« – Wie weit ist der Weg noch für uns? Zugleich muss man aber auch Gedächtnis halten, besonders in Zeiten der Mutlosigkeit, um uns über den bereits zurückgelegten Weg zu freuen und aus dem Eifer der Pioniere zu schöpfen, die uns vorausgegangen sind. Nach vorne schauen und gedenken. Und doch ist es zweifellos noch mehr unsere Pflicht, dass wir nach oben schauen, um dem Herrn für die vollbrachten Schritte zu danken und ihn um das Geschenk der ersehnten Einheit zu bitten.
Danken und bitten. Das ist der Zweck unseres heutigen Gedenkens. Die Begegnung unserer Vorgänger vom 9. bis 13. Mai 1973 war ein historischer Meilenstein in den Beziehungen zwischen dem Stuhl des heiligen Petrus und dem Stuhl des heiligen Markus. Es war die erste Begegnung zwischen einem Papst der koptisch-orthodoxen Kirche und einem Bischof von Rom. Mit ihr verbunden war auch die Beendigung einer auf das Konzil von Chalkedon zurückgehenden theologischen Streitfrage durch die Unterzeichnung einer denkwürdigen gemeinsamen christologischen Erklärung am 10. Mai 1973, die in der Folgezeit als Inspiration für ähnliche Übereinkünfte mit anderen orientalisch-orthodoxen Kirchen diente.
Die Begegnung führte zur Errichtung der Internationalen Gemeinsamen Kommission zwischen der katholischen Kirche und der koptisch-orthodoxen Kirche, die 1979 die wegweisenden »Prinzipien für die Suche der Einheit zwischen der katholischen Kirche und der koptisch-orthodoxen Kirche« angenommen hat, unterzeichnet von Papst Johannes Paul II. und Papst Schenouda III., in denen mit prophetischen Worten bestätigt wird, dass »die Einheit, die wir uns vorstellen, keineswegs bedeutet, dass der eine vom anderen absorbiert wird oder dass der eine den anderen beherrscht. Sie steht im Dienst eines jeden, um ihm zu helfen, die eigenen Gaben, die er von Gottes Geist empfangen hat, besser zu leben.«
Diese Gemeinsame Kommission hat dann den Weg geebnet zu einem fruchtbaren theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der gesamten Familie der orientalisch-orthodoxen Kirchen, deren ers-tes Treffen 2004 in Kairo stattfand, mit Seiner Heiligkeit Schenouda als Gastgeber. Ich danke der koptisch-orthodoxen Kirche für ihr Engagement in diesem theologischen Dialog. Ich bin auch Eurer Heiligkeit dankbar für die brüderliche Aufmerksamkeit, die Sie weiterhin der koptisch-katholischen Kirche zuwenden, mit einer Nähe, die ihren lobenswerten Ausdruck in
der Einrichtung des Nationalen Rates der Christlichen Kirchen in Ägypten gefunden hat.
Wie man sieht, hat die Begegnung unserer illustren Vorgänger nie aufgehört, Früchte zu tragen auf dem Weg unserer Kirchen zur vol-len Einheit. Es war auch im Gedenken an die Begegnung von 1973, dass Eure Heiligkeit hier am 10. Mai 2013 zum ersten Mal zu mir kam, wenige Monate nach Ihrer Inthronisierung und wenige Wochen nach dem Beginn meines Pontifikats. Bei jenem Anlass haben Sie vorgeschlagen, an jedem 10. Mai den »Tag der Freundschaft zwischen Kopten und Katholiken« zu begehen, der seitdem von unseren Kirchen regelmäßig gefeiert wird.
Wenn von Freundschaft die Rede ist, dann kommt mir die berühmte koptische Ikone aus dem 8. Jahrhundert in den Sinn, auf der der Herr dargestellt ist, wie er die Hand auf die Schulter seines Freundes, des heiligen Mönchs Menas von Ägypten, legt. Diese Ikone wird zuweilen als »Ikone der Freundschaft« bezeichnet, weil es scheint, als wolle der Herr seinen Freund begleiten und den Weg mit ihm gemeinsam gehen. Desgleichen wurzeln die Bande der Freundschaft zwischen unseren Kirchen in der Freundschaft Jesu Christi zu allen seinen Jüngern, die er »Freunde« nennt (vgl. Joh 15,15) und die er auf ihrem Weg begleitet, wie er es bei den Pilgern von Emmaus getan hat.
Auf diesem Weg der Freundschaft begleiten uns die Märtyrer, die bezeugen, dass es »keine größere Liebe gibt, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt« (Joh 15,13). Mir fehlen die Worte, um meiner Dankbarkeit für das kostbare Geschenk einer Reliquie der koptischen Märtyrer zum Ausdruck zu bringen, die am 15. Februar 2015 in Libyen getötet wurden. Diese Märtyrer wurden nicht nur im Wasser und im Geist getauft, sondern auch im Blut, einem Blut, das der Same der Einheit für alle ist, die Christus nachfolgen. Ich freue mich, heute verkünden zu können, dass diese 21 Märtyrer mit der Zustimmung Eurer Heiligkeit in das Römische Martyrologium aufgenommen werden sollen, als Zeichen der geistlichen Gemeinschaft, die unsere beiden Kirchen verbindet.
Möge das Gebet der koptischen Märtyrer verbunden mit dem Gebet der Theotokos die Freundschaft zwischen unseren Kirchen weiter wachsen lassen, bis zu jenem gesegneten Tag, an dem wir gemeinsam am selben Altar feiern und denselben Leib und dasselbe Blut des Erlösers empfangen können, »damit die Welt glaubt« (Joh 17,21)!
(Orig. ital. in O.R. 11.5.2023)