Matteo Bruni: Guten Tag, Eure Heiligkeit, ich danke Ihnen für Ihre Worte in diesen Tagen bei den vielen Begegnungen mit verschiedenen Teilen der ungarischen Gesellschaft, gewissermaßen in Kontinuität mit den Treffen, die im September 2021 stattgefunden haben; und ich danke Ihnen auch für diese Gelegenheit, mit Ihnen das Gespräch über die Reise fortsetzen zu können. Vielen Dank.
Papst Franziskus: Guten Abend und vielen Dank für eure Arbeit, eure Begleitung. Es waren intensive, aber gute drei Tage. Jetzt habt ihr das Wort.
Matteo Bruni: Also, die erste Frage kommt von einem ungarischen Journalisten, Antal Hubai vom ungarischen Fernsehen:
Antal Hubai – RTL KLUB: Guten Tag, wir wissen, dass Sie, Heiliger Vater, im Laufe Ihres Lebens mehrere persönliche Erfahrungen mit den Ungarn gemacht haben. Hat sich Ihre Sichtweise nach Ihren jetzigen Begegnungen in Ungarn verändert, und wenn ja, wie?
Papst Franziskus: Ja, ich habe tatsächlich in den sechziger Jahren Erfahrungen gemacht, als ich in Chile studierte; viele ungarische Jesuiten mussten dorthin kommen, weil sie aus Ungarn vertrieben worden waren. Dann bin ich sehr mit den ungarischen Maria-Ward-Schwestern befreundet geblieben, die 20 km von Buenos Aires entfernt eine Schule hatten. Ich besuchte sie zweimal im Monat und habe ein wenig als außerordentlicher Spiritual gewirkt. Auch eine Vereinigung ungarischer Laien aus Buenos Aires, die im ungarischen Kolleg arbeiteten, ich kannte sie recht gut. Ich verstand die Sprache nicht, aber zwei Wörter habe ich verstanden: Gulasch und Tokaj! Es war eine schöne Erfahrung und ich war berührt von ihrem Schmerz, Flüchtlinge zu sein, nicht nach Hause gehen zu können; und die Schwestern von Maria Ward, die dort geblieben sind, waren in Wohnungen versteckt, damit das Re-gime sie nicht wegbrachte. Später habe ich mehr über die ganze Angelegenheit erfahren, den guten Kardinal Mindszenty zu überzeugen, nach Rom zu kommen. Und ich habe auch die Begeisterung von ‘56 und die an-schließende Enttäuschung miterlebt. Mehr oder weniger dies.
Matteo Bruni: … ob sich Ihre Meinung über die Ungarn nach diesen beiden kurzen Reisen geändert hat…
Papst Franziskus: Nein, sie hat sich nicht verändert. Vielleicht ist sie bereichert worden, bereichert in dem Sinne, dass die Ungarn, die ich kennengelernt habe, über eine große Kultur verfügen, eine große Kultur; auch diejenigen, die nicht einer höheren sozialen Schicht angehörten, auch die einfachen Leute verfügten über eine sehr gehobene Grundkultur. Normalerweise haben sie Deutsch oder Englisch gesprochen, denn Ungarisch wird außerhalb Ungarns nicht gesprochen… Nur im Paradies wird es gesprochen, weil man sagt, dass es ewig dauert, sie zu lernen, die ungarische Sprache! Sie hat sich nicht verändert, im Gegenteil: Ich habe den Stil gesehen, den ich kannte.
Matteo Bruni: Die zweite Frage stellt Eliana Ruggiero von Agi.
Eliana Ruggiero – AGI: Heiliger Vater, Sie haben dazu aufgerufen, die Türen unseres Egoismus für die Armen, für die Migranten, für diejenigen, die den Vorschriften nicht entsprechen, zu öffnen – wieder zu öffnen. Haben Sie bei Ihrem Treffen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Orbán diesen gebeten, die Grenzen der Balkanroute wieder zu öffnen, die er geschlossen hat? Dann haben Sie in den letzten Tagen auch Metropolit Hilarion getroffen: Können Hilarion und Orbán zu Kanälen der Öffnung gegenüber Moskau werden, um einen Frie-densprozess für die Ukraine zu beschleunigen oder ein Treffen zwischen Ihnen und Präsident Putin zu ermöglichen? Danke.
Papst Franziskus: Ich glaube, dass Friede immer durch das Öffnen von Kanälen geschaffen wird, mit Verschlossenheit kann man niemals Frieden schaffen. Ich lade alle ein, Beziehungen zu öffnen, Kanäle der Freundschaft. Dies ist nicht einfach. Das Gleiche, was ich im Allgemeinen gesagt habe, habe ich auch Orbán gesagt und ich habe es ein wenig überall gesagt.
Zur Migration: Ich glaube, dass das ein Problem ist, das Europa in die Hand nehmen muss, denn es gibt fünf Länder, die am meis-ten darunter leiden: Zypern, Griechenland, Malta, Italien und Spanien, weil sie die Mittelmeerländer sind und die meisten dort anlanden. Und wenn Europa sich nicht darum kümmert, um eine gerechte Verteilung der Migranten, dann werden nur diese Länder das Problem haben. Ich glaube, dass Europa auch angesichts dessen erkennen lassen muss, dass es eine »Europäische Union« ist.
Es gibt noch ein weiteres Problem, das mit der Migration zusammenhängt, nämlich die Geburtenrate. Es gibt Länder wie Italien und Spanien, in denen wenige Kinder geboren werden. Im vergangenen Jahr habe ich bei einem Familientreffen darüber gesprochen und in letzter Zeit habe ich gesehen, dass auch die [italienische] Regierung und andere Regierungen darüber sprechen. Das Durchschnitts-alter in Italien liegt bei 46 Jahren, in Spanien ist es noch höher und es gibt kleine Dörfer, die verlassen sind. Ein Migrationsprogramm, aber gut durchgeführt nach dem Modell, das einige Länder mit der Migration verfolgt haben – ich denke zum Beispiel an Schweden zur Zeit der lateinamerikanischen Diktaturen –, kann auch diesen Ländern helfen, die eine niedrige Geburtenrate haben.
Und dann, schließlich, Hilarion. Hilarion ist eine Person, die ich sehr respektiere, wir haben immer ein gutes Verhältnis zueinander gehabt. Und er war so freundlich, mich zu besuchen, dann war er in der Messe und ich habe ihn auch hier am Flughafen gesehen. Hilarion ist ein intelligenter Mensch, mit dem man reden kann, und diese Beziehungen müssen gepflegt werden, denn, wenn wir über die Ökumene reden, dann sagen wir: »Dies gefällt mir, jenes gefällt mir nicht«… Wir müssen jedem die Hand reichen und auch die Hand des anderen annehmen. Ich habe seit Kriegsbeginn nur ein einziges Mal mit Patriarch Kyrill gesprochen, 40 Minuten lang über Zoom, und dann über Antonij, der jetzt Hilarions Platz einnimmt und der mich jetzt besuchen wird: Er ist ein Bischof, der Pfarrer in Rom war und das Umfeld gut kennt, und über ihn bin ich in Kontakt mit Kyrill. Das Treffen, das wir im Juli oder Juni letzten Jahres in Jerusalem haben sollten, steht noch aus, aber es wurde wegen des Krieges verschoben: Es sollte stattfinden. Und dann habe ich mit den Russen eine gute Beziehung über den Botschafter, der jetzt geht. Er war seit sieben Jahren Botschafter im Vatikan und ist ein guter Mann, ein Mann comme il faut. Eine ernsthafte, gebildete und sehr ausgeglichene Person. Die Beziehung zu den Russen besteht hauptsächlich mit diesem Botschafter. Ich weiß nicht, ob ich alles gesagt habe ...
Eliana Ruggiero: Ob Hilarion und auch Orbán den Friedensprozess in der Ukraine irgendwie beschleunigen und auch ein Treffen zwischen Ihnen und Putin möglich machen können, ob sie – in Anführungszeichen – als Vermittler auftreten können?
Papst Franziskus: Sie können sich vorstellen, dass wir bei diesem Treffen nicht nur über Rotkäppchen gesprochen haben, sondern über all diese Dinge. Man spricht darüber, weil alle am Weg zum Frieden interessiert sind. Ich bin bereit, ich bin bereit, alles zu tun, was getan werden muss. Auch jetzt gibt es eine Mission, aber sie ist noch nicht öffentlich, schauen wir… Wenn sie öffentlich sein wird, werde ich darüber sprechen.
Matteo Bruni: Die dritte Frage kommt von Aura Maria Vistas Miguel, die hier zu Ihrer Linken sitzt.
Aura Maria Vistas Miguel – Rádio Renascença (Portugal): Eure Heiligkeit, die nächste Station ist Lissabon, also zwei Fragen. Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Wir waren überrascht, als Sie ins Krankenhaus kamen, einige sagten, Sie seien ohnmächtig geworden. Fühlen Sie sich also stark genug, um in jenen Augusttagen Tausende von jungen Menschen in Lissabon zu treffen? Und würden Sie zum Weltjugendtag gerne einen jungen Menschen aus der Ukraine und einen aus Russland einladen, als Zeichen des Friedens auch für die jüngeren Generationen?
Papst Franziskus: Zunächst einmal zur Gesundheit. Mir war am Ende der Mitt-wochsaudienz sehr unwohl. Mir war nicht nach Mittagessen zumute, ich habe mich ein wenig hingelegt. Ich habe nicht das Bewusstsein verloren, aber ich hatte hohes Fieber, und um drei Uhr nachmittags hat mich der Arzt sofort ins Krankenhaus gebracht: akute und schwere Lungenentzündung, im unteren Teil der Lunge. Gott sei Dank kann ich davon erzählen, denn der Organismus, der Körper, hat gut auf die Behandlung reagiert. Gott sei Dank. Das war es, was ich hatte.
Dann Lissabon: Am Tag vor meiner Abreise habe ich mit Bischof Américo [Américo Aguiar, Weihbischof von Lissabon und Präsident der Stiftung WJT 2023] gesprochen, der sich nach dem Stand der Dinge erkundigte ... Ja, ich werde hingehen, ich werde hingehen, und ich hoffe, dass ich es schaffen werde. Ihr seht, es ist nicht dasselbe wie vor zwei Jahren, aber mit dem Stock... Jetzt geht es besser, im Moment ist die Reise nicht abgesagt. Dann ist da noch die Reise nach Marseille, dann die Reise in die Mongolei und dann noch eine letzte, ich erinnere mich jetzt nicht, wohin... Aber das Programm hält mich in Bewegung, schauen wir!
Aura Maria Vistas Miguel: Und das Treffen mit den beiden jungen Leuten, vielleicht aus Russland und der Ukraine?
Papst Franziskus: Américo hat etwas im Sinn, er bereitet etwas vor, hat er mir gesagt… Er bereitet es gut vor.
Matteo Bruni: Die vierte Frage kommt von Nicole Winfield, Eure Heiligkeit, und dann schauen wir, ob wir es mit der Zeit schaffen…
Nicole Winfield – Associated Press: Heiliger Vater, ich möchte Ihnen eine etwas andere Frage stellen. Sie haben kürzlich eine sehr starke ökumenische Geste vorgenommen, als Sie Griechenland die drei Fragmente der Parthenon-Skulpturen aus den Vatikanischen Museen geschenkt haben. Diese Geste hat auch außerhalb der orthodoxen Welt ein Echo gefunden, denn viele Museen im Westen diskutieren gerade über die Rückgabe von Objekten, die während der Kolonialzeit erworben wurden, als einen Akt der Gerechtigkeit gegenüber diesen Menschen. Ich wollte Sie fragen, ob Sie für weitere Rückgabeaktionen offen wären. Ich denke zum Beispiel an die indigenen Völker und Gruppen in Kanada, die im Rahmen der Wiedergutmachung für die während der Kolonialzeit erlittenen Schäden die Rückgabe von Objekten aus den Sammlungen des Vatikans erbeten haben.
Papst Franziskus: Das ist in erster Linie das siebte Gebot: Wenn du etwas gestohlen hast, musst du es zurückgeben! Aber dahinter liegt eine ganze Geschichte. Manchmal führen Kriege und Kolonisation zu diesen Entscheidungen, die Güter des anderen mitzunehmen. Das war eine richtige Geste, sie musste getan werden: der Parthenon, etwas zu geben. Und wenn die Ägypter morgen kommen und den Obelisken fordern, was werden wir dann tun? Da muss man auf jeden Fall eine Abwägung treffen. Und dann die Rückgabe von indigenen Objekten: Das ist im Gange, mit Kanada, zumindest waren wir uns einig, es zu tun. Jetzt werde ich nachfragen, wie es läuft. Aber die Erfahrung mit den Ureinwohnern in Kanada war sehr fruchtbar. Auch in den Vereinigten Staaten tun die Jesuiten etwas, mit jener Gruppe von Ureinwohnern in den Vereinigten Staaten, so sagte mir der Pater General neulich ... Aber kommen wir auf die Rückgabe zurück. In dem Maße, in dem man etwas zurückgeben kann, was eine notwendige Geste ist, ist es besser, dies zu tun. Manchmal kann man das nicht, es gibt keine politische oder reale, konkrete Möglichkeit. Aber in dem Maße, in dem etwas zurückgegeben werden kann, möge es bitte getan werden, das ist gut für alle. Damit man sich nicht daran gewöhnt, anderen in die Tasche zu greifen!
Matteo Bruni: Stellen wir noch eine letzte Frage: Eva Fernandez von Radio Cope, die hier ist…
Eva Fernandez von Radio Cope: Der ukrainische Ministerpräsident hat Sie um Hilfe gebeten, um die Kinder, die gewaltsam nach Russland verschleppt wurden, zurückzubringen. Glauben Sie, dass Sie ihm helfen können? Danke.
Papst Franziskus Ich denke schon, denn der Heilige Stuhl hat in einigen Fällen des Gefangenenaustauschs als Vermittler fungiert, und über die Botschaft ist es gut gelaufen. Ich denke, dass auch dies gut gehen kann. Es ist wichtig, zumindest ist der Heilige Stuhl bereit, dies zu tun, denn es ist richtig, es ist eine gerechte Sache, und wir müssen helfen, helfen, damit dies kein casus belli, sondern eine menschliche Angelegenheit wird. Es ist eine Frage der Menschlichkeit, noch bevor es ein Problem von Kriegsbeute oder von kriegsbedingtem »Umzug« ist. Alle menschlichen Gesten helfen, die
Gesten der Grausamkeit helfen hingegen nicht. Wir müssen alles tun, was menschenmöglich ist.
Ich denke auch, und das möchte ich sagen, an die Frauen, die in unsere Länder kommen: Italien, Spanien, Polen, Ungarn, so viele Frauen, die mit Kindern kommen, und deren Männer entweder tot sind oder im Krieg kämpfen. Es stimmt, es gibt Elan und im Moment wird ihnen geholfen; aber wir dürfen den Enthusiasmus dafür nicht verlieren, denn wenn der nachlässt, sind diese Frauen schutzlos und laufen Gefahr,
in die Hände von Halsabschneidern zu geraten, die immer auf der Suche sind… Geben wir acht, dass wir nicht diese Hilfsbereitschaft verlieren, die wir für die Flüchtlinge haben. Und das sollen wir alle tun. Danke.
Ich danke euch! Guten Appetit! Aber ich weiß nicht, ob es ein Abendessen ist oder bloß etwas, um den Magen zu täuschen. Vielen Dank für eure Arbeit.