Die biblischen Texte der Osterzeit, die uns die Liturgie der Kirche in diesen fünfzig festlichen Tagen schenkt, sind eine Einladung, zwei Wege zu gehen: In den Lesungen aus der Apostelgeschichte gehen wir den Weg der Jünger hinaus zu den Menschen. Die Offenheit für das Wirken des Geistes Gottes und das Weiterschenken dieses Geistes an alle Menschen, die dafür bereit sind, sind dabei der große Kompass. Erste Strukturen werden sichtbar. Das Wort Gottes in der Glaubwürdigkeit der apostolischen Zeugen und sprechende Zeichen und Riten, in denen diese Verlässlichkeit spürbar wird, machen die Begegnung mit den Menschen zum Ereignis der Gegenwart des Auferstandenen.
Der zweite Weg in dieser österlichen Zeit erschließt uns das Geheimnis jenes Ortes, der der Saal des letzten Abendmahles ist. Das ist der Ort der Fußwaschung und der vorweggenommenen Lebenshingabe Jesu in Brot und Wein der Eucharistie. In den Evangelien der Ostersonntage führt uns Johannes Schritt für Schritt tiefer ein in die Bedeutung dieses Tuns des Herrn an seinen Jüngern: In Christus gibt sich Gott ganz hinein in unser Menschsein, um in Christus uns Menschen ganz in seine Liebe heimzuführen. Jene Gemeinschaft, die der dreifaltige Gott selbst liebend und ewig ist, steht offen für den Menschen, der nicht sich selbst genügen kann, sondern sich nach einer ewigen Heimat sehnt, die ihn noch einmal bergend hält und sein Dasein begründet. »Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und
ich bin bei euch«, bringt es Jesus selber im Abendmahlssaal auf den Punkt. Als seine Abschiedsrede werden diese Worte gewöhnlich bezeichnet.
Mehr als das sind diese Sätze aus dem Johannesevangelium aber eher eine »Bleiberede«. Der Herr verlässt die seinen nicht. Wenn sie ihn mit den Augen nicht mehr wahrnehmen können, dann nicht, weil er fortgegangen ist, sondern weil er ihnen ganz nahegekommen ist. Was den ersten Jüngern geschenkt wird, trägt die Kirche bis heute. Je tiefer sie in das Geheimnis der Hingabe ihres Herrn hinabsteigt, um so weiter kann sie den Menschen auf den Wegen dieser Welt entgegengehen und ihnen begegnen. Je inniger sie den Saal des letzten Abendmahles als ihre eigentliche Heimat erkennt, um so glaubwürdiger kann sie hinausgehen bis an die Ränder der menschlichen Existenz. Nur so können wir dem Auftrag aus dem ersten Petrusbrief gerecht werden: »Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt« (1 Petr 3,15).
Michael Max,
Rektor des Päpstlichen Instituts
Santa Maria dell’Anima in Rom