Leitartikel von Andrea Tornielli, Vatican News

Wo bleiben die schöpferischen Anstrengungen für den Frieden?

 Wo bleiben die schöpferischen Anstrengungen für den Frieden?  TED-018
05. Mai 2023

Europa scheint sich der Logik der Aufrüs-tung und des Krieges hinzugeben und zeigt Apathie, was die Suche nach Frieden betrifft, so Andrea Tornielli. In diesem Kontext sei die in Ungarn gestellte Frage des Papstes eine wichtige Mahnung.

Es ist eine dramatische Frage, die Franziskus mitten im Herzen Europas stellt, in Ungarn, das an die Ukraine grenzt, die Opfer des russischen Angriffskrieges ist. Es ist eine Frage, die in erster Linie die Führer der betroffenen Nationen sowie die Regierungschefs Europas und der ganzen Welt herausfordert. Sie spricht auch das Gewissen jedes einzelnen von uns an.

Der Papst machte sich die Worte zu eigen, die 1950 von einem der Gründerväter Europas, Robert Schuman, gesprochen wurden: »Der Beitrag, den ein organisiertes und vitales Europa zur Zivilisation leisten kann, ist für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen unverzichtbar«, denn »der Weltfrieden kann nur durch schöpferische Anstrengungen gesichert werden, die im Verhältnis zu den Gefahren stehen, die ihn bedrohen«. »Denkwürdige« Worte nannte sie Franziskus, der dann fragte: »In dieser historischen Phase sind die Gefahren zahlreich; aber ich frage mich, auch wenn ich an die gequälte Ukraine denke: wo sind die schöpferischen Anstrengungen für den Frieden?«

Es ist bezeichnend, dass der italienische Staatspräsident, Sergio Mattarella, bereits vor einem Jahr in einer Rede vor dem Europarat diesen Satz Schumans zitiert hat. Ja, wo sind diese kreativen Bemühungen? Wo bleibt die Diplomatie mit ihrer Fähigkeit, neue und mutige Wege zu einer Verhandlung zur Beendigung des Konflikts zu beschreiten? Wo sind die »Muster des Friedens«, die ins Spiel gebracht werden müssen, um die drohenden »Muster des Krieges« zu überwinden?

Die Frage des Papstes ist sowohl dramatisch als auch realistisch. Dramatisch, weil sie uns mit der mangelnden Initiative eines Europas konfrontiert, das sich der Logik der Aufrüstung und des Krieges hinzugeben scheint, während es in Bezug
auf den Frieden eher apathisch wirkt. Realistisch, weil er uns davor warnt, uns an einen »Kriegsinfantilismus« zu gewöhnen, an einen tragischen Konflikt, der jeden Moment ausarten kann, mit katastrophalen Folgen für die gesamte Menschheit.

Doch die Worte des Papstes, sein Hinweis auf die europäische Einheit, die »große Hoffnung« zusammen mit den Vereinten Nationen, um weitere Kriege nach dem verheerenden, 1945 zu Ende gegangenen Krieg zu verhindern, enthalten bereits eine Antwort. Sie liegt in der Aufforderung, die »europäische Seele«, den Enthusiasmus und den Traum der Gründerväter wiederzuentdecken, Staatsmännern, die über ihre Grenzen hinauszublicken wussten, die nicht den Sirenen des Nationalismus erlagen und die fähig waren, wiederherzustellen statt zu zerreißen. Millionen von Menschen, die heute die großen Hoffnungen, die durch das Ende des Kalten Krieges geweckt wurden, enttäuscht sehen und die Alpträume der atomaren Bedrohung wiederkehren sehen, warten auf eine Antwort: Wo bleiben die schöpferischen Friedensbemühungen?