Geschichte
Und es entstand
»Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.« Diese Worte aus dem Matthäusevangelium (25,36) fassen den Sinn einer Mission mit langer Laufzeit zusammen. Mit schwankender Effizienz, aber entschlossen hat die Kirche eine Tätigkeit fortgeführt, die der Sanftmut und der Barmherzigkeit gewidmet ist, wobei sie sich sehr wohl der Tatsache bewusst war, dass die Kerker seit der Zeit der Antike schreckliche Orte waren, wo die Angeklagten zusammengepfercht waren in Erwartung ihres Urteils: Leben oder Tod.
Tatsächlich kam eine sehr lange Zeit niemand auf die Idee, das Gefängnis könnte ein Ort der Versöhnung werden. Die christliche Lehre hat seit der Neuzeit, und zwar in stetig zunehmendem Maße, versucht, die Haftstrafe mit dem zu verbinden, was wir - wie der französische Anthropologe Arnold van Gennep, einer der bekanntesten Gelehrten des 20. Jahrhunderts, sagt – als einen Übergangsritus bezeichnen könnten: als eine Erfahrung der Läuterung, die in einer Zeit und an einem Ort des Übergangs durchlebt wird, nach der der Büßer erfrischt ist, auch dank einer inneren Übung im Dialog und der Annäherung an Gott, vergleichbar dem, was im Verlauf einer Pilgerfahrt geschah, bzw. wie man sich vorstellte, was man im Purgatorium täte bzw. was man im Verlauf des ganzen Lebens tat.
Ohne Härten und Grausamkeiten vermeiden zu können, begann die Kirche im 16./17. Jahrhundert, anhand konkreter Beispiele das Bild von Gefängnissen mit einer dignitas zu vermitteln. In diesem Sinne wurde 1655 zwischen den Pontifikaten Innozenz’ X. und Alexanders VII. in Rom der Bau fertiggestellt, der schon von seinem Namen her für eine Revolution des Gefängniswesens stand. Der Carcere Novo (»Neuer Kerker«) sah getrennte Räumlichkeiten für Männer und Frauen vor, größere und sauberere Räume mit einer Anbindung an das Abwassersystem. Die eingesperrten Frauen waren der Fürsorge der Schwestern der Vorsehung und der Schwestern der Unbefleckten Empfängnis anvertraut. Das Gefängnis überwand die Logik der Enklave und unterhielt dank der Aktivitäten der Bruderschaften – darunter jene der Pietà dei Carcerati, der Assunta al Gesù sowie jene von San Giovanni della Pigna - eine Verbindung zur Zivilgesellschaft. Die örtliche Erzbruderschaft des Heiligen Hieronymus von der Nächstenliebe hatte unter anderem die Aufgabe, »vor Gericht die Fälle armer Schüler und Witwen zu vertreten, unverheiratete Frauen mit einer Mitgift auszustatten und Almosen zu verteilen, insbesondere an verurteilte Frauen.« Von da an wurde ein wenig in ganz Europa damit begonnen, Gefängnisse zu bauen, die dem römischen Modell folgten.
Auch der erste englische Reformer der englischen Gefängnisse, der englische Philanthrop John Howard, der auf den Routen der Grand Tour viele Reisen zu Studienzwecken unternahm, hatte Gelegenheit, den Carcere Novo zu rühmen. Er befand, das Gefängnis sei gut gewartet, ordentlich belüftet, gut ausgestattet, mit einer sorgfältigen Trennung von Männern und Frauen.
Im 18. Jahrhundert reifte, unterstützt durch die Überlegungen des Rechtsgelehrten Cesare Beccaria, einem der bedeutendsten Vertreter der italienischen Aufklärung, auch in den angelsächsischen Ländern die Erkenntnis heran, dass es nicht notwendig sei, der Freiheitsberaubung auch noch weitere Qualen hinzuzufügen. Er bezog sich damit auf die Nutzlosigkeit der Zwangsarbeit. Die Unterdrückung machte nach und nach Platz für die Erziehung. Das pädagogische Prinzip, das der Hafterfahrung zugrunde liegt, wird zu einem Eckpfeiler der demokratischen Staaten, als im Zeitalter der großen Revolutionen die Rechte der ersten Generation feierlich festgelegt werden, d.h. die Rechte auf individuelle Freiheit, Gedankenfreiheit, Religionsfreiheit, das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und ein faires Verfahren.
In den Kontexten, in denen ihr dies möglich war, hat sich die Kirche stets darum bemüht, dass ihr die Erfüllung ihres karitativen Auftrags gestattet werde, um sich um die geistigen Bedürfnisse der Inhaftierten, und nicht nur diese, zu kümmern. Sie tat das schon sowohl bevor wie auch nachdem die Bedeutung psychologischer Hilfe für die Häftlinge erkannt wurde. Dass die Gefängnisse dann auf praktischer Ebene trotz aller Überzeugungsarbeit dem laizistischen Staat gegenüber damit endeten, zu Orten der Machtausübung, der Bedrohung, der Ausgrenzung und der Isolation zu werden, das hängt mit historischen und politischen Fragen zusammen. Der französische Soziologe Michel Foucault hat in Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses daran erinnert, dass das Gefängnis, wie wir es heute verstehen, auf eine relativ junge Geschichte zurückschaut, die sich in diesem Sinne klar von ihrer Vorgeschichte unterscheidet. In den mittelalterlichen hospitales endeten – den Bestimmungen des Corpus iuris civilis entgegen – Waisen, Kranke, Alte, Arme und fahrendes Volk; jene des 16./17. Jahrhunderts hatten die Aufgabe, die Bettler von den Straßen zu holen, so etwa das von Innozenz XII. gegründete Ospizio Generale dei Poveri (Allgemeines Armen-Hospiz) oder bereits zuvor die Hôpitals des Pauvres Enfermez (Hospitale der armen Kranken), die eingeweiht worden waren, nachdem in Paris 1611 das Bettelei-Verbot verkündet worden war. Frauen, die auf den Straßen der Stadt beim Betteln erwischt wurden, wurden öffentlich ausgepeitscht und kahlgeschoren.
Der französische Benediktiner Jean Mabillon, der dafür bekannt ist, der Begründer der Paläographie und Diplomatik (Handschriftenkunde und Urkundenlehre) zu sein, also der Wissenschaften, die dazu dienen, Dokumente aus der Vergangenheit zu untersuchen, setzte, als er das Binom Kirche-Gefängnisse historisch rekonstruierte, den Schwerpunkt auf die Praxis des Strafvollzugs. Während sich die weltliche Justiz sich darum kümmert, die Ordnung aufrechtzuerhalten, ist es Aufgabe der kirchlichen Justiz, sich um das Heil der Seelen zu kümmern, zur Buße anzuregen. Den alten Kanonisten zufolge wurde die Strafe verhängt, um den Sünder mit Gott zu versöhnen.
Der Abgrund zwischen edlen Absichten und harter Wirklichkeit blieb in den meisten Fällen unüberbrückbar. Eine der Prioritäten des neugeborenen Königreichs Italien war die Reform und Vereinheitlichung der Strafvollzugssysteme aus der Zeit vor der Vereinigung.
Das Königliche Dekret über die Strafanstalten des Jahres 1862 hebt eine rein weibliche Besonderheit hervor, die die Hafterfahrung der weiblichen Häftlinge von denen der männlichen unterschied. In beiden Fällen bestand der Strafvollzug aus dreierlei Einrichtungen: Zuchthäuser für Personen, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt wurden, Justizvollzugsanstalten für Personen mit kurzen Haftstrafen und Jugendstrafanstalten. Aber im Gegensatz zu den Männergefängnissen, die von Funktionären der Gefängnisdirektionen geleitet wurden, die dem Innenministerium unterstanden, waren die Frauengefängnisse der Fürsorge der Vinzentinerinnen, jener der Schwestern von der unbefleckten Empfängnis bzw. jener der Schwestern vom Guten Hirten anvertraut. Die Ordensfrauen, die in den Gefängnissen arbeiteten, unterstanden offensichtlich der Mutter Oberin, die die formelle Aufgabe hatte, dem Gefängnisdirektor Rechenschaft abzulegen.
1890 verwalteten die kirchlichen Orden mit Ausnahme der Reformhäuser für Mädchen vierzehn Strafanstalten, sowohl Gefängnisse für kürzere Haftzeiten als auch Zuchthäuser für längere Haftstrafen. Auch in den Männergefängnissen für Kurzzeithaft waren die Aufgaben der Wartung und Instandhaltung von Kapelle, Apotheke, Krankenstation, Küche und Wäscherei den Ordensfrauen anvertraut.
Auch wenn in diesem Kontext den Gefangenen bereits das Recht garantiert wurde, frei ihre Religion zu bekennen, indem beispielsweise die Juden Samstags oder an Feiertagen von der Arbeit befreit waren, und die Nicht-Katholiken im Allgemeinen von religiösen Pflichten wie der Teilnahme am Gebet und an den Gottesdiensten befreit waren, und es theoretisch sogar möglich sein konnte, dass ein evangelischer Pfarrer oder ein Rabbiner eingeladen wurden, »um sich über Angelegenheiten seiner Religion zu unterhalten«, befand man sich doch in einem konfessionellen Staat. Das brachte mit sich, dass die Häftlinge dazu aufgefordert wurden, an geistlichen Aktivitäten teilzunehmen, die der Kaplan veranstaltete.
Es war vielleicht gerade dieses Bild, das die heftige Kritik von einem Teil der säkularen Welt auf sich zog, der nicht immer frei war von Engherzigkeit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konzentrierten sich in Italien zwei Journalistinnen und Publizistinnen, Zina Centa Tartarini und Maria Rygier, erstere ihres Zeichens Erzieherin und Gefängnisinspektorin, die andere im sozialen und politischen Kampf zu Beginn des Faschismus tätig, auf die Rolle, die die Ordensfrauen in den italienischen Frauengefängnissen spielten, ausgehend von der Untersuchung spezifischer Fälle – Rom, Perugia, Turin, beschränkten sich aber nicht nur auf diese. Tartarini, die sich des Pseudonyms »Rossana« bediente, prangerte in der Zeitschrift »Nuova Antologia« den oft baufälligen Zustand der Einrichtungen, das Fehlen von regulären Schulen und Bibliotheken, vor allem aber die Erniedrigung an, der diejenigen ausgesetzt waren, die gezwungen waren, eine farbige Sträflingsmütze zu tragen, deren Farbe einen Hinweis auf die Schwere der Verurteilung war (Schwarz stand für lebenslänglich!). Rygiers Artikel »Das Mönchstum in Frauengefängnissen«, das 1909 in der Wochenzeitschrift Il Grido del Popolo (»Der Schrei des Volkes«) erschien, konzentrierte sich hingegen auf das religiöse Personal.
Die Mutter Oberin der Turiner Haftanstalt, die unter Anklage geraten war, verteidigte sich, indem sie sich bedeutsamer Weise darauf beschränkte, die Ansicht zu vertreten, dass ihr Gefängnis »gut funktioniere«. Rygiers Antiklerikalismus ging über verständliche Prämissen hinaus, als sie Gebete und Kniebeugen mit dem »Fanatismus der Nonnen« gleichsetzte. Aber selbst die Marquise Tartarini konnte nicht umhin, die Arbeit der Nonnen zu loben, die gute Arbeit leisteten, wenn sie entsprechend ausgebildet wurden. So brachte beispielweise - gleichfalls 1909 - die Kommission für die Inspektion der Besserungsanstalt Buon Pastore (»Guter Hirte«) in Rom ihre aufrichtige Bewunderung für die Leitung dieses Instituts zum Ausdruck.
Von Giuseppe Perta
Dozent für Mittelalterliche Geschichte an der Universität »Suor Orsola Benincasa« in Neapel