Liebe Freunde!
Ich heiße euch alle, die ihr in Rom zu eurer jährlichen Begegnung versammelt seid, herzlich willkommen. Eure Begegnung ruft Fachleute der Welt der Technologie zusammen – Wissenschaftler, Ingenieure, Unternehmensleiter, Juristen und Philosophen – gemeinsam mit Vertretern der Kirche –
Beamten der Kurie, Theologen und Moral-theologen- –, mit dem Ziel, ein größeres Bewusstsein zu fördern und über den gesellschaftlichen und kulturellen Einfluss der digitalen Technologien, insbesondere der künstlichen Intelligenz, nachzudenken. Ich schätze diesen Weg des Dialogs sehr, der es in den letzten Jahren gestattet hat, Beiträge und Erkenntnisse miteinander zu teilen und sich die Weisheit der anderen zunutze zu machen. Eure Anwesenheit bezeugt das Bemühen, eine ernsthafte und inklusive Auseinandersetzung auf globaler Ebene über den verantwortungsbewussten Einsatz dieser Technologien zu gewährleisten, eine Auseinandersetzung, die offen ist für die religiösen Werte. Ich bin überzeugt, dass der Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen über die grundlegenden Fragen der Ethik, der Wissenschaft und der Kunst sowie über die Suche nach dem Sinn des Lebens ein Weg zum Aufbau des Friedens und für die ganzheitliche menschliche Entwicklung ist.
Die Technologie ist eine große Hilfe für die Menschheit. Denken wir an die zahllosen Fortschritte in den Bereichen der Medizin, der Ingenieurwissenschaft und des Kommunikationswesens (vgl. Enzyklika Laudato si’, 102). Und während wir den Nutzen von Wissenschaft und Technik anerkennen, sehen wir in ihnen einen Beweis der Kreativität des Menschen und auch der Tatsache, wie edel seine Berufung ist, verantwortlich am schöpferischen Wirken Gottes teilzunehmen (vgl. ebd., 131).
Entwicklung der
künstlichen Intelligenz
Aus dieser Perspektive heraus meine ich, dass die Entwicklung der künstlichen Intelligenz und des automatischen Lernens das Potential besitzt, einen nützlichen Beitrag zur Zukunft der Menschheit zu leisten; wir können ihn nicht beiseiteschieben. Ich bin mir jedoch sicher, dass dieses Potential nur
dann verwirklicht werden wird, wenn auf Seiten jener, die die Technologien in diesen Bereichen entwickeln, der konsequente Wille
herrscht, ethisch und verantwortlich zu handeln. Tröstlich ist in diesem Sinne der Einsatz vieler Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, um zu garantieren, dass die Technologie den Menschen in den Mittelpunkt und die Planung auf ethische Grundlagen stellt und auf das Gute ausgerichtet ist. Ich freue mich, dass ein Konsens darüber entstanden ist, dass die Entwicklungsprozesse Werte wie Inklusion, Transparenz, Sicherheit, Gerechtigkeit, Vertraulichkeit und Zuverlässigkeit achten. Gerne befürworte ich auch die Anstrengungen der internationalen Organisationen, diese Technologien zu reglementieren, damit sie einen echten Fortschritt fördern, also dazu beitragen, eine bessere Welt und eine im Ganzen höhere Lebensqualität zu hinterlassen (vgl. ebd., 194).
Es wird nicht leicht sein, in diesen Bereichen eine Einigung zu finden. Denn »das enorme technologische Wachstum ging nicht mit einer Entwicklung des Menschen in Verantwortlichkeit, Werten und Gewissen einher« (ebd., 105). Außerdem ist die heutige Welt gekennzeichnet von einer großen Pluralität der politischen Systeme, Kulturen, Traditionen, philosophischen und ethischen Konzepte und religiösen Glaubensformen. Die Diskussionen sind immer mehr polarisiert, und in Abwesenheit von Vertrauen und einer gemeinsamen Sichtweise darüber, was das Leben lebenswert macht, drohen die öffentlichen Debatten polemisch und fruchtlos zu sein.
Nur ein inklusiver Dialog, in dem die Menschen gemeinsam nach der Wahrheit suchen, kann einen wahren Konsens hervorbringen; und das kann geschehen, wenn man die Überzeugung teilt, dass es »in der Wirklichkeit des Menschen und der Gesellschaft selbst […] eine Reihe von Grundstrukturen [gibt], die ihre Entwicklung und ihr Überleben sichern« (Enzyklika Fratelli tutti, 212). Der Grundwert, den wir anerkennen und fördern müssen, ist die Würde des Menschen (vgl. ebd., 213). Ich lade euch daher ein,
bei euren Entscheidungen die jedem Mann und jeder Frau innewohnende Würde zum Schlüsselkriterium in der Bewertung der aufkommenden Technologie zu machen, die ihre ethische Positivität in dem Maße offenbaren, in dem sie dazu beitragen, diese Würde aufzuzeigen und ihren Ausdruck zu steigern, auf allen Ebenen des menschlichen Lebens.
Sorge bereitet mir die Tatsache, dass die bisher gesammelten Daten zu zeigen scheinen, dass die digitalen Technologien dazu gedient haben, die Ungleichheiten in der Welt zu vergrößern. Nicht nur die Unterschiede im materiellen Reichtum, wenngleich auch diese wichtig sind, sondern auch jene im Zugang zu politischem und gesellschaftlichem Einfluss. Wir fragen uns: Sind unsere nationalen und internationalen Einrichtungen in der Lage, die technologischen Unternehmen für den gesellschaftlichen und kulturellen Einfluss ihrer Produkte verantwortlich zu machen? Besteht die Gefahr, dass die Zunahme der Ungleichheit unserem menschlichen
und gesellschaftlichen Solidaritätsbewusstsein Schaden zufügen könnte? Könnten wir unser Bewusstsein für die gemeinsame Bestimmung verlieren? In Wirklichkeit besteht unser Ziel darin, dass das Wachstum der wissenschaftlichen und technologischen Erneuerung von größerer sozialer Gleichheit und Inklusion begleitet sein möge (vgl. Videobotschaft an die TED-Konferenz in Vancouver, 26. April 2017).
Inklusive Formen
des Dialogs
Dieses Problem der Ungleichheit kann erschwert werden von einem falschen Verständnis vom Leistungsprinzip, das den Begriff der Würde des Menschen unterminiert. Die Anerkennung und Entlohnung der Leis-tung und der menschlichen Anstrengung haben eine Grundlage, aber es besteht die Gefahr, den wirtschaftlichen Vorteil einiger weniger als wohlverdient aufzufassen, während die Armut vieler gewissermaßen als selbstverschuldet betrachtet wird. Dieser Ansatz unterbewertet die Ungleichheit der Ausgangslage zwischen Menschen im Hinblick auf Reichtum, Bildungschancen und soziale Bindungen und stellt Privilegien und Vorteile als persönliche Errungenschaften dar. Wenn also – schematisch betrachtet – die Armut die Schuld der Armen ist, dann sind die Reichen davon entbunden, etwas zu tun (vgl. Ansprache an die Welt der Arbeit, Genua, 27. Mai 2017).
Das Konzept der Würde des Menschen – das ist der Kernpunkt – zwingt uns, die Tatsache, dass der grundlegende Wert eines Menschen nicht von einem Datenkomplex gemessen werden kann, anzuerkennen und zu achten. In den sozialen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen müssen wir vorsichtig sein, die Urteile Algorithmen anzuvertrauen, die gesammelte Daten über Individuen und ihre Eigenschaften und ihr Verhalten in der Vergangenheit – oft heimlich – auswerten. Diese Daten können von gesellschaftlichen Vorurteilen und vorgefassten Meinungen kontaminiert sein, vor allem weil das Verhalten eines Individuums in der Vergangenheit nicht benutzt werden darf, um ihm die Chance zu verwehren, sich zu ändern, zu wachsen und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Wir dürfen nicht erlauben, dass Algorithmen die Achtung der Menschenwürde beschränken oder beeinflussen, und auch nicht, dass sie Mitleid, Barmherzigkeit, Vergebung und vor allem die Offenheit für die Hoffnung auf eine Veränderung der Person ausschließen.
Liebe Freunde, ich möchte abschließend noch einmal die Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass nur wirklich inklusive Formen des Dialogs es erlauben können, mit Weisheit zu erkennen, wie man die künstliche Intelligenz und die digitalen Technologien in den Dienst der Menschheitsfamilie stellen kann. Die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel (vgl. Gen 11) ist oft verwendet worden, um vor übertriebenem Ehrgeiz von Wissenschaft und Technologie zu warnen. In der Tat warnt uns die Heilige Schrift vor dem Stolz, »bis in den Himmel« (V. 4) zu gelangen, also den Wertehorizont, der unsere Menschenwürde ausmacht und garantiert, an uns zu reißen und in Besitz zu nehmen. Im Mythos vom Turmbau zu Babel ist es schwierig, einen Backstein herzustellen: Lehm stechen, Stroh herstellen, vermischen, dann brennen… Wenn ein Backstein herunterfiel, war es ein großer Verlust, sie klagten sehr: »Wir haben einen Backstein verloren.« Wenn ein Arbeiter herunterfiel, sagte niemand etwas. Das muss uns zum Nachdenken bringen: Was ist wichtiger? Der Backstein oder der Mann oder die Frau, die arbeiten?
Das ist eine Unterscheidung, die uns zum Nachdenken bringen muss. Und nach dem Turmbau zu Babel wird die darauffolgende Schaffung verschiedener Sprachen wie jedes Eingreifen Gottes zu einer neuen Möglichkeit. Sie lädt uns ein, Unterschiede und Vielfalt als einen Reichtum zu betrachten, denn Einförmigkeit lässt uns nicht wachsen, Einförmigkeit erlegt etwas auf. Nur eine gewisse disziplinäre Einförmigkeit ist gut – das kann sein –, aber die auferlegte hat keinen Wert. Ein Mangel an Vielfalt ist Mangel an Reichtum, denn die Vielfalt erlegt es uns auf, gemeinsam voneinander zu lernen und mit Demut den echten Sinn und die Tragweite unserer Menschenwürde neu zu entdecken. Vergessen wir nicht, dass die Unterschiede die Kreativität anregen, »sie erzeugen Spannungen und in der Auflösung einer Spannung liegt der Fortschritt der Menschheit« (Enzyklika Fratelli tutti, 203), wenn die Spannungen auf einer höheren Ebene aufgelöst werden, die die Spannungspole nicht zerstört, sondern reifen lässt.
Ich wünsche alles Gute für eure Dialoge, und ich danke euch für euer Bemühen zuzuhören und im Verständnis des Beitrags eines jeden zu wachsen. Ich segne euch, und ich bitte euch, für mich zu beten. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 27.3.2023)