Schätze in der Vatikanischen Bibliothek

 Schätze in der Vatikanischen Bibliothek  TED-017
28. April 2023

Die erste christliche
Universalgeschichte von Adam
bis zur Spätantike
(Inc. II. 317)

Der Autor dieses viel zitierten Werkes, der Theologe und Geschichtsschreiber Paulus Orosius, wurde vermutlich um 385 in der nordportugiesischen Stadt Braga geboren. Von der Ausbildung und den Jugendjahren des jungen Priesters, der wegen der politischen Wirren um 414 seine hispanische Heimat verlassen musste und sich zu Augustinus, dem Bischof von Hippo, begab, ist wenig bekannt. Vermutlich wurde er von diesem mit einem Empfehlungsschreiben an Hieronymus ins Heilige Land geschickt, um den dortigen Verantwortlichen die auf der Synode von Karthago (411) gefassten Beschlüsse gegen den Häretiker Pelagius (360-420) zu überbringen, der im Orient viele Anhänger hatte. In seiner ersten, kurz nach der Ankunft in Nordafrika entstandenen Schrift setzte sich der junge Priester mit dieser Irrlehre auseinander.

Anlass zur Abfassung der berühmten Geschichte gegen die Heiden (Historiae adversum Paganos) war wahrscheinlich die Plünderung Roms (410) durch die Westgoten unter ihrem Führer Alarich I. (370-410) und der Vorwurf, die Christen wären schuld am Verfall des Römischen Reiches. Der Autor fand dazu auch Ideen in dem von Augus-tinus (dem er sein Opus auch widmete) verfass-ten berühmten Werk Vom Gottesstaat (De civitate Dei). Als Quellen dienten ihm neben den Schriften des Alten und Neuen Testaments und jenen des christlichen Schriftstellers Eusebius von Caesarea (264/5-339) auch klassische Autoren wie Livius, Cae-sar, Tacitus und Sueton. Vor allem letztere verwendete er zur chronologischen Darstellung der Katastrophen, die auch die Menschen der heidnischen Antike heimgesucht hatten. Als erster versuchte er das Weltgeschehen aus christlicher Sicht – einer von Gott geleiteten Menschheit – zu deuten. Orosius wollte damit auch die Anschuldigungen, die Christen wären für die Katastrophen der jüngsten Vergangenheit verantwortlich, zurückweisen. In seiner siebenbändigen Weltgeschichte behandelte er in chronologischer Reihenfolge die Ereignisse bis zum Einfall der barbarischen Völker in Spanien (418). Diese Verteidigungsschrift verbreitete sich in der damaligen Welt ausgesprochen rasch. Zahlreiche Manuskripte zeugen von der Bedeutung des Opus, darunter auch eine frühe Übersetzung des lateinischen Textes ins Englische. Im Mittelalter gehörte Orosius zu den am meisten gelesenen Geschichtsschreibern. Sein Hauptwerk wurde von vielen Autoren herangezogen, so von Isidor von Sevilla, Gregor von Tours, Beda Venerabilis, Adam von Bremen, Otto von Freising etc., und wurde sogar ins Arabische übersetzt und von Gelehrten wie Ibn Chaldun (1332-1406) als Quelle verwendet.

Die ersten Buchdrucker nahmen sich wegen der Popularität dieser chronologischen Beschreibung der wichtigsten Ereignisse von der Erschaffung des Menschen bis zum Untergang des Römischen Reiches des Textes an und veröffentlichten Frühdrucke der Universalgeschichte des Orosius. Die Vatikanische Bibliothek besitzt einige dieser Erstausgaben, darunter fünf Exemplare – zwei im Bestand der Inkunabeln, eines jeweils in der Bibliothek Chigi, Rossiana und Propaganda Fide – der in Venedig in der Werkstatt von Ottaviano Scotto 1483 publizierten Ausgabe.

Dr. Christine Grafinger