Audienz für Mitglieder der Vereinigung ARIS (Vereinigung von Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitswesen in kirchlicher Trägerschaft)

Jeder Mensch hat ein Recht auf medizinische Behandlung

 Jeder Mensch hat ein Recht auf medizinische Behandlung  TED-017
28. April 2023

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag!

Ich danke dem Präsidenten, Pater Virginio Bebber, für seine Worte und heiße euch alle herzlich willkommen. Ich begrüße den Direktor des Büros der Italienischen Bischofskonferenz für die Pastoral im Gesundheitswesen.

Ich freue mich über die Begegnung mit eurer Vereinigung, die sich in der Führung der christlich inspirierten Gesundheitseinrichtungen engagiert, die vergleichbar sind mit der Herberge des barmherzigen Samariters (vgl. Lk 10,25-37), wo die Kranken »das Öl des Trostes und den Wein der Hoffnung«1 empfangen können. Ich möchte meiner dankbaren Wertschätzung Ausdruck verleihen für all das Gute, das in so vielen Einrichtungen des Gesundheitswesens getan wurde, die es in Italien gibt, und ich ermutige dazu, sie mit der Beharrlichkeit und der Phantasie der Nächstenliebe voranzubringen, die die vielen Gründer, die sie ins Leben gerufen haben, auszeichnete.

Das Gesundheitswesen in Italien hat eine schöne und jahrhundertealte Geschichte. Die Kirche hat durch das Gesundheitswesen sehr viel getan, um den armen, schwachen und im Stich gelassenen Schichten der Gesellschaft Gehör und Aufmerksamkeit zu schenken. In diesem Bereich hat es nicht an maßgeblichen Zeugen gefehlt, die es verstanden haben, den kranken, leidenden Christus zu erkennen und ihm zu dienen bis zur vollkommenen Selbsthingabe, auch mit dem Opfer des Lebens. Denken wir an den heiligen Kamillus von Lellis, die heilige Giuseppina Vannini, den heiligen Giuseppe Moscati, die heilige Agostina Pietrantoni und viele andere. Dankbar für die Vergangenheit, fühlen wir uns also gerufen, die Gegenwart mit tatkräftigem Einsatz und prophetischem Geist zu bewohnen. Im Gesundheitswesen kann die Wegwerfkultur mehr als andernorts und zuweilen ganz deutlich ihre schmerzhaften Auswirkungen zeigen. Denn wenn ein Kranker nicht als Person in den Mittelpunkt gestellt und in seiner Würde anerkannt wird, entstehen Haltungen, die sogar dazu führen könne, aus dem Unglück anderer Profit zu schlagen2, und das muss uns wachsam sein lassen.

Fragen wir uns insbesondere: Was ist die Aufgabe der christlich inspirierten Gesundheitseinrichtungen in einem Kontext wie dem italienischen, wo es ein nationales Gesundheitswesen gibt, das seinem Wesen nach universal sein soll und daher aufgerufen ist, für die Behandlung aller Sorge zu tragen? Um auf diese Frage zu antworten, ist es notwendig, das Gründungscharisma des katholischen Gesundheitswesens zurückzugewinnen, um es auf diese neue historische Situation anzuwenden, auch in dem Bewusstsein, dass es heute aus verschiedenen Gründen immer schwieriger wird, die bestehenden Strukturen aufrecht zu erhalten. Man muss den Weg der Unterscheidung gehen und mutige Entscheidungen treffen, bei denen wir daran denken, dass es unsere Berufung ist, an der vordersten Linie der Not zu stehen. Das ist unsere Berufung: an der vordersten Linie der Not. Als Kirche sind wir aufgerufen, vor allem auf die Gesundheitsbedürfnisse der Ärmsten, der Ausgegrenzten und all jener zu antworten, deren Bedürfnisse aus finanziellen oder kulturellen Gründen nicht beachtet werden. Das sind die Wichtigsten für uns, die in der Warteschlange an erster Stelle stehen: diese Menschen.

Der Mangel an Gesundheitsfürsorge nimmt in Italien wieder größere Ausmaße an, vor allem in Regionen, in denen eine schwierigere sozio-ökonomische Situation herrscht. Es gibt Menschen, die sich wegen fehlender Mittel nicht behandeln lassen können, für die auch die Leistung von Zuzahlungen ein Problem darstellt. Und es gibt Menschen, die aufgrund sehr langer Wartelisten Schwierigkeiten beim Zugang zu den Gesundheitsdiensten haben, auch im Fall von dringend notwendigen Untersuchungen! Dann gibt es immer größeren Bedarf an Zwischenpflege angesichts der wachsenden Tendenz der Krankenhäuser, die Kranken nach kurzer Zeit zu entlassen und so die Behandlung der akuten Phasen der Krankheit gegenüber der Behandlung chronischer Erkrankungen den Vorzug geben. Diese werden folglich vor allem für
alte Menschen auch unter finanziellem Gesichtspunkt zu einem gravierenden Problem, verbunden mit der Gefahr, ein Vorgehen zu fördern, das die Menschenwürde geringachtet. Ein alter Mensch muss zum Beispiel ein Medikament nehmen, und wenn man aus diesem oder jenem Grund oder um zu sparen, ihm dieses Medikament nicht gibt, dann ist das eine versteckte und schleichende Euthanasie. Das müssen wir sagen. Jeder Mensch hat ein Recht auf die Versorgung mit Medikamenten. Und wie oft – ich denke an andere Länder, in Italien weiß ich davon nicht so viel, aber in anderen Ländern, da weiß ich es – müssen alte Menschen vier oder fünf Medikamente nehmen und schaffen es nur, zwei zu bekommen: das ist eine schrittweise Euthanasie, weil man ihnen nicht das gibt, was sie brauchen, um sich zu kurieren.

Das christlich inspirierte Gesundheitswesen hat die Pflicht, das Recht auf Behandlung vor allem der schwächsten Gesellschaftsschichten zu verteidigen, indem es die Orte bevorzugt, wo die Menschen mehr leiden und weniger versorgt sind, auch wenn das die Umstellung bestehender Einrichtungen auf neue Wirklichkeiten erfordern kann. Jeder kranke Mensch ist per definitionem schwach, arm, hilfsbedürftig, und manchmal ist der Reiche einsamer und im Stich gelassener als der Arme. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Möglichkeit des Zugangs zur Behandlung heute für Vermögende anders ist als für Bedürftigere. Wenn wir an die vielen Ordenskongregationen denken, die in unterschiedlichen historischen Epochen mit mutigen Charismen entstanden sind, wollen wir uns fragen: Was würden diese Gründer und Gründerinnen heute tun?

Ordenskrankenhäuser haben vor allem den Auftrag, sich um diejenigen zu kümmern, die von der Gesundheitswirtschaft und einer bestimmten zeitgenössischen Kultur ausgegrenzt werden. Dies war die Prophetie so vieler christlich inspirierter Gesundheits-einrichtungen, angefangen bei der Entstehung der Hospitäler, die genau dafür geschaffen wurden: sich um diejenigen zu kümmern, die niemand berühren wollte. Das möge auch heute euer Zeugnis sein, getragen von einer kompetenten und transparenten Führung, die in der Lage ist, Forschung, Innovation, Hingabe an die Geringsten und eine umfassende Sichtweise miteinander zu verbinden.

Die Realität ist komplex, und ihr könnt sie nur dann angemessen bewältigen, wenn die religiös inspirierten Gesundheitseinrichtungen den Mut haben, sich zusammenzutun und ein Netzwerk zu bilden, indem sie das Konkurrenzdenken vermeiden sowie Kompetenzen und Ressourcen vereinen, vielleicht auch durch die Errichtung neuer juristischer Personen, durch die vor allem den kleineren Einrichtungen geholfen werden kann. Habt keine Angst, neue Wege einzuschlagen – riskiert etwas, riskiert etwas –, um zu vermeiden, dass unsere Krankenhäuser aus rein wirtschaftlichen Gründen entfremdet werden – das ist eine Gefahr und auch aktuell: hier in Rom, ich kann euch die Liste schicken –, denn damit würde ein lange bewahrtes und durch viele Opfer bereichertes Erbe zunichte gemacht. Gerade zur Verwirklichung dieser beiden dringenden Ziele und auf Wunsch der katholisch inspirierten Gesundheitseinrichtungen wurde im Dezember 2015 die Päpstliche Kommission für die Aktivitäten der kirchlichen juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Gesundheitssektor eingerichtet, mit der eine effektive und konstruktive Zusammenarbeit bestehen soll.

Schließlich möchte ich euch ans Herz legen, die Menschen, die ihr in euren Einrichtungen aufnehmt, mit einer ganzheitlichen Pflege zu begleiten, die die geistliche und religiöse Unterstützung der Kranken, ihrer Familien und der Mitarbeiter im Gesundheitswesen nicht vernachlässigen soll. Auch darin sollten die christlich inspirierten Gesundheitseinrichtungen vorbildlich sein. Dabei geht es nicht nur darum, eine Sakramentenpastoral anzubieten, sondern es geht um volle Aufmerksamkeit für die Person. Niemand, niemand darf sich in der Krankheit alleingelassen fühlen! Ganz im Gegenteil, jeder soll bei seinen Sinnfragen unterstützt werden und ihm soll geholfen werden, den zuweilen langen, mühsamen Weg der Krankheit mit christlicher Hoffnung zu gehen.

Liebe Brüder und Schwestern, haltet das Charisma eurer Gründer wach, nicht so sehr, um deren Taten nachzuahmen, sondern vielmehr um deren Geist zu empfangen; nicht so sehr, um die Vergangenheit zu verteidigen, sondern vielmehr um eine Gegenwart und eine Zukunft aufzubauen, in der ihr durch eure Präsenz die Nähe Gottes zu den Kranken verkündet, besonders zu den am meisten Benachteiligten und den aufgrund der Logik des Profits Ausgegrenzten. Die Muttergottes möge euch begleiten. Von Herzen segne ich euch, und ich segne eure Arbeit. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke.

Fußnoten

1 Vgl. Römisches Messbuch, italienische
3. Aufl.: Wochentagspräfation VIII.

2 Vgl. Ansprache an die Bischofskommission für den Dienst der Nächstenliebe und im Gesundheitswesen der Italienischen Bischofskonferenz, 10. Februar 2017.

(Orig. ital. in O.R. 13.4.2023)