Hochwürdiger Abt,
liebe Brüder und Schwestern!
Ich freue mich, Sie, die Sie den Humanistischen Buddhismus in Taiwan vertreten, und den Delegaten der katholischen Kirche willkommen zu heißen. Ihre heutige Anwesenheit ist ein Zeugnis für den Geist der Freundschaft und der Zusammenarbeit, den Sie als Gläubige pflegen, fest verwurzelt in Ihren jeweiligen religiösen Wegen. Unsere Begegnung findet kurz nach dem Tod des ehrwürdigen Meisters Hsing Yun, Gründungspatriarch des Klosters Fo Guang Shan, statt. Aufgrund seines Beitrags zum Humanistischen Buddhismus hat er weltweite Bekanntheit erlangt und war auch ein Meister der interreligiösen Gastfreundschaft.
Ihr Besuch, den Sie als Bildungspilgerreise bezeichnet haben, ist eine gute Gelegenheit, damit die Kultur der Begegnung Fortschritte machen kann, in der wir das Risiko auf uns nehmen, uns den anderen zu öffnen im Vertrauen darauf, in ihnen Freunde, Brüder und Schwestern zu entdecken, und so lernen und entdecken wir mehr über uns selbst. Denn wenn wir die anderen in ihrer Unterschiedlichkeit erleben, werden wir ermutigt, aus uns selbst herauszugehen und unsere Verschiedenheiten zu akzeptieren und anzunehmen.
Eine interreligiöse Bildungspilgerreise kann Quelle großer Bereicherung sein, da sie zahlreiche Möglichkeiten der Begegnung, des gegenseitigen Kennenlernens und der Wertschätzung unserer verschiedenen Erfahrungen bietet. Die Kultur der Begegnung baut Brücken und öffnet Fenster zu den heiligen Werten und Prinzipien, die Inspiration für die anderen sind. Sie reißt die Mauern ein, die die Menschen voneinander trennen und sie Gefangene ihrer vorgefassten Meinungen, Vorurteile oder der Gleichgültigkeit sein lassen.
Eine Bildungspilgerreise an die Heiligen Stätten einer Religion – wie Sie sie gerade durchführen – kann auch unsere Wertschätzung hinsichtlich der Besonderheit ihres Zugangs zum Göttlichen bereichern. Die Meis-terwerke sakraler Kunst, von denen wir hier im Vatikan und in ganz Rom umgeben sind, spiegeln die Überzeugung wider, dass Gott selbst in Jesus Christus zum »Pilger« in dieser Welt geworden ist, aus Liebe zu unserer Menschheitsfamilie. Für die Christen ist es so, dass Gott, der in der Menschennatur Jesu einer von uns geworden ist, uns weiterhin auf einem Pilgerweg der Heiligkeit führt, durch den wir unsere Ähnlichkeit mit ihm wiedergewinnen und in ihr wachsen, und
so erhalten wir nach den Worten des heiligen Petrus, »Anteil an der göttlichen Natur«
(2 Petr 1,4).
Im Lauf der Geschichte haben die Gläubigen Tempel und heilige Räume als Oasen der Begegnung geschaffen, wo Männer und Frauen die für ein weises und gutes Leben notwendige Inspiration finden können. Auf diese Weise tragen sie zu einer ganzheitlichen Bildung der menschlichen Person bei, indem sie »Kopf, Hände, Herz und Seele« einbeziehen und sie so dahin führen, die »Harmonie der menschlichen Integrität, das heißt die ganze Schönheit dieser Harmonie« zu erleben (Begegnung zum globalen Bildungspakt »Religionen und Bildung«, 5. Oktober 2021).
Derartige Oasen der Begegnung sind in unserer Zeit noch notwendiger, in der sich »die ständige Beschleunigung in den Veränderungen der Menschheit und des Planeten […] mit einer Intensivierung der Lebens- und Arbeitsrhythmen verbindet« (Enzyklika Laudato si’, 18). Diese Realität wirkt sich auch auf das Leben und die religiöse Kultur aus und erfordert eine angemessene Bildung und Erziehung der jungen Menschen zu den zeitlosen Wahrheiten und zu bewährten Methoden des Gebets und der Friedensstiftung. Hier ist es wichtig, nochmals zu unterstreichen: »Die Religionen hatten schon immer eine enge Verbindung mit der Bildung und begleiteten religiöse Aktivitäten mit erzieherischen, schulischen und akademischen Initiativen. Wie in der Vergangenheit, so wollen wir auch heute mit der Weisheit und Menschlichkeit unserer religiösen Traditionen ein Impuls für ein erneuertes erzieherisches Handeln sein, das die universelle Geschwisterlichkeit in der Welt wachsen lassen möge« (Begegnung zum globalen Bildungspakt, 5. Oktober 2021).
Liebe Freunde, mein Wunsch ist, dass diese Bildungspilgerreise Sie – geleitet vom Denken Ihres geistlichen Lehrmeisters Buddha – zu einer tieferen Begegnung mit sich selbst und den anderen führen möge, mit der christlichen Tradition und der Schönheit der Erde, die unser gemeinsames Haus ist. Möge Ihr Besuch in Rom reich sein an Momenten au-thentischer Begegnung, die ihrerseits zu wertvollen Gelegenheiten für ein Wachsen in Kenntnis, Weisheit, Dialog und Verständnis werden können.
Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und rufe auf Sie den himmlischen Segen herab. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 16.3.2023)