Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am fünften Fastensonntag, 26. März

Komm heraus aus dem Dunkel ans Licht

 Komm heraus aus dem Dunkel ans Licht  TED-013
31. März 2023

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag!

Heute, am fünften Fastensonntag, unterbreitet uns das Evangelium die Auferweckung des Lazarus (vgl. Joh 11,1-45). Es ist das letzte Wunder Jesu, von dem vor Ostern berichtet wird: die Auferweckung seines Freundes Lazarus. Lazarus ist ein guter Freund Jesu, der weiß, dass er bald sterben wird. Er macht sich auf den Weg, kommt aber erst vier Tage nach der Bestattung in seinem Haus an, als mittlerweile alle Hoffnung verloren ist. Seine Anwesenheit lässt aber in den Herzen der Schwestern Marta und Maria eine gewisse Zuversicht aufkeimen (vgl. V. 22.27). Sie halten trotz ihrer Trauer an diesem Licht, an dieser kleinen Hoffnung fest. Und Jesus fordert sie auf, Vertrauen zu haben, und bittet sie, das Grab zu öffnen. Dann betet er zum Vater und ruft Lazarus zu: »Komm heraus!« (V. 43). Und dieser wird wieder lebendig und kommt heraus. Das ist das Wunder, genau so, schlicht und einfach.

Die Botschaft ist klar: Jesus schenkt das Leben, auch wenn es keine Hoffnung mehr zu geben scheint. Es kommt mitunter vor, dass man sich hoffnungslos fühlt – das ist jedem schon passiert – oder dass man Menschen begegnet, die die Hoffnung aufgegeben haben, die verbittert sind, weil sie Schlimmes erlebt haben; ein verwundetes Herz kann nicht hoffen. Wegen eines schmerzlichen Verlustes, einer Krankheit, einer bitteren Enttäuschung, wegen eines erlittenen Unrechts oder Verrats, wegen eines schweren Fehlers, den sie gemacht haben… haben sie aufgehört zu hoffen. Manchmal hören wir, wie jemand sagt: »Da ist nichts mehr zu machen!«, und so vor jeder Hoffnung die Tür verschließt. Das sind Augenblicke, in denen das Leben wie ein verschlossenes Grab erscheint: alles ist dunkel, ringsum sieht man nur Kummer und Verzweiflung. Das heutige Wunder sagt uns, dass dem nicht so ist, dass das nicht das Ende ist, dass wir in diesen Augenblicken nicht allein sind, sondern dass Jesus uns vielmehr gerade in diesen Augenblicken näher kommt denn je, um uns wieder zum Leben zu erwecken. Jesus weint: das Evangelium sagt, dass Jesus vor dem Grab des Lazarus geweint hat, und heute weint Jesus mit uns, wie er um Lazarus weinen konnte. Das Evangelium wiederholt zweimal, dass er erschüttert war (vgl. V. 33.38) und betont, dass er in Tränen ausbrach (vgl. V. 35). Zugleich fordert Jesus uns auf, nicht aufzuhören zu glauben und zu hoffen, uns nicht von negativen Gefühlen erdrücken zu lassen, die uns der Tränen berauben. Er nähert sich unseren Gräbern und sagt zu uns wie damals: »Nehmt den Stein weg« (V. 39). In diesen Momenten ist es, als hätten wir einen Stein in uns, und der Einzige, der ihn entfernen kann, ist Jesus mit seinem Wort: »Nehmt den Stein weg.«

Das sagt Jesus, auch zu uns. Nehmt den Stein weg: den Schmerz, die Fehler, auch die Misserfolge, versteckt sie nicht in eurem Inneren, in einem dunklen, einsamen, geschlossenen Raum. Nehmt den Stein weg: holt alles heraus, was darin ist. »Ah, es beschämt mich.« Werft es vertrauensvoll bei mir ab, sagt der Herr, ich werde nicht schockiert sein; werft es ohne Furcht bei mir ab, denn ich bin bei euch, ich liebe euch und will, dass ihr wieder zu leben beginnt. Und genau wie dem Lazarus wiederholt er auch einem jedem von uns: Komm heraus! Steh wieder auf, mach dich wieder auf den Weg, finde dein Vertrauen wieder! Wie oft haben wir uns im Leben schon in diesem Zustand, in dieser Situation befunden, keine Kraft zu haben, wieder aufzustehen. Und Jesus: »Geh, geh weiter! Ich bin bei dir.« Ich nehme dich bei der Hand, sagt Jesus, wie damals, als du als Kind die ersten Schritte gelernt hast. Lieber Bruder, liebe Schwester, lös die Binden, die dich fesseln (vgl. V. 44); gib nicht dem Pessimismus nach, der dich deprimiert, gib nicht der Angst nach, die dich isoliert, gib nicht der Entmutigung nach, die sich aus der Erinnerung an schlechte Erfahrungen speist, gib nicht der Angst nach, die dich lähmt. Jesus sagt uns: »Ich will, dass du frei bist, ich will, dass du lebst, ich werde dich nicht im Stich lassen und bin bei dir! Alles ist finster, doch ich bin bei dir! Lass dich nicht vom Schmerz gefangen nehmen, lass die Hoffnung nicht sterben. Bruder, Schwester, kommt zurück ins Leben!« – »Und wie stelle ich das an?« – »Nimm mich an der Hand!« Und Er nimmt uns an der Hand. Lass dich herausziehen, und Er kann es tun. In diesen schlimmen Zeiten, die uns allen widerfahren.

Liebe Brüder und Schwestern, dieser Abschnitt aus dem 11. Kapitel des Johannes-evangeliums, der so gut zu lesen ist, ist ein Hymnus auf das Leben, und er wird verkündet, wenn Ostern naht. Vielleicht tragen auch wir in diesem Augenblick eine Last oder
ein Leid in unserem Herzen, die uns zu er-drücken scheinen; etwas Hässliches, eine alte Sünde, die wir nicht loswerden können, ein Fehler aus der Jugend, man weiß ja nie. Diese schlimmen Dinge müssen herauskommen. Und Jesus sagt: »Komm heraus!« Dann ist der Augenblick gekommen, den Stein zu entfernen und herauszukommen, um Jesus entgegenzugehen, der nahe ist. Bringen wir es fertig, ihm unser Herz zu öffnen und ihm unsere Sorgen anzuvertrauen? Tun wir das? Bringen wir es fertig, das Grab der Sorgen öffnen, sind wir dazu fähig, und schaffen wir es, über die Schwelle hinauszusehen, seinem Licht entgegen, oder haben wir Angst davor? Und bringen wir es unsererseits fertig, als kleine Spiegel der Liebe Gottes die Umgebung, in der wir leben, mit Worten und Gesten des Lebens zu erhellen? Geben wir Zeugnis von der Hoffnung und der Freude Jesu? Wir, die Sünder, wir alle? Und ich möchte auch ein Wort an die Beichtväter richten: Liebe Brüder, ver-gesst nicht, dass auch ihr Sünder seid, und ihr seid nicht im Beichtstuhl, um zu foltern, sondern um zu vergeben, und zwar alles, wie der Herr alles vergibt. Maria, Mutter der Hoffnung, erneuere in uns die Freude, uns nicht allein zu fühlen, und den Ruf, Licht in die Dunkelheit zu bringen, die uns umgibt.

Grüße an die Pilger siehe Seite 3