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Einführung des neuen Rektors Konrad Bestle am Campo Santo Teutonico

Josef als Vorbild: Mit offenem Ohr und stützendem Stab

 Josef als Vorbild: Mit offenem Ohr und stützendem Stab  TED-012
24. März 2023

Papst Franziskus ist überzeugt: »Die Heiligen helfen allen Gläubigen bei ihrem ›Streben nach Heiligkeit und ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit‹. Ihr Leben ist ein konkreter Beweis dafür, dass es möglich ist, das Evangelium zu leben.«1 So spricht er uns an, Papst Franziskus, der heute vor 10 Jahren in sein oberstes Hirtenamt eingeführt wurde, und Josef, den der Papst so sehr verehrt, dass er ihm ein eigenes Jahr gewidmet hat. Ich verweise auf ein Motiv, wie die Kunst Josef darstellt: Josef als großer Resonanzkörper. Er hält nicht nur eine Hand an sein Ohr, er ist ganz Ohr. In der anderen Hand hat er einen Stab. Diese Gesten drücken Josefs Charakter aus. Er ist ein Mensch, der sich aufmacht – und dies im doppelten Sinn: Er macht sich auf, indem er offen ist für die Botschaft, die ihm zugesprochen wird, und für den Ruf, den er leben soll. Zugleich macht Josef sich in einem anderen Sinn auf: Er bleibt nicht stehen, er macht sich auf den Weg, er ist mit uns unterwegs als Pilger. Ich lade ein, dieses Josefsbild zum Sprechen zu bringen. Josef soll uns die Predigt halten. Er ist wie ein Spiegel. In Josefs Persönlichkeit entdecken wir uns selbst. Vor allem soll sich unser neuer Rektor darin entdecken: Konrad Bestle. Wir sind froh, dass er Ja gesagt hat zu seiner Berufung: ehrenvoll und herausfordernd.

Kultur der Herzlichkeit

1. Josef macht sich auf. Er ist ein offener Mensch. Wenn er eine Botschaft Gottes hörte, dann geschah das oft im Traum. Daher ist es kein Zufall, dass die Künstler Josef gern schlafend dargestellt haben. An Josef lesen wir ab, was das Hohelied sagt: »Ich schlief, aber mein Herz wachte« (Hld 5,2). Die Sinne ruhen, aber der Grund der Seele ist offen. Der Resonanzkörper des Herzens wird zum Ohr für die Botschaft Gottes. Von innen her will Gott mit jedem und jeder von uns in Kontakt treten, er ist uns nahe: im Innern des Herzens, in der Stimme des Gewissens. In der hebräischen Sprache gibt es für Herz und Gewissen nur ein Wort. Anders gesagt: Wer ein Herz hat, hört auch auf sein Gewissen. Und wer sein Gewissen zu Wort kommen lässt, hat auch ein Herz. Woran mag es liegen, dass unsere Zeit so herzlos scheint? Herzinfarkten können wir beikommen, doch wir leiden unter einer Herzschwäche ganz anderer Art. Ich wünsche dem Kolleg, der Erzbruderschaft und allen Gästen eine Kultur der Herzlichkeit. Dazu kann der Rektor viel beitragen. Lieber Herr Rektor, kann es ein größeres Kompliment geben, als wenn über jemanden gesagt wird: Er ist ein Mensch mit Herz?

Oft ist unser Herz so mit Mauern umbaut, so voll gestellt mit Gerümpel, dass die leisen, feinen Töne nicht mehr recht durchdringen. Unsere Wahrnehmung wird oberflächlich, unsere Arbeitswelt technisch-organisiert, auch die Kirche ähnelt immer mehr einem Betrieb. Das Wort Betriebsamkeit verrät uns! Ich kann mir vorstellen, dass auch eine Einrichtung wie diese – exponiert auf dem Territorium des Vatikan – von solchen Tendenzen nicht ausgenommen ist. Jeder hat seine eigene Agenda, jeder seine eigenen Aufgaben, jeder ist sich selbst der nächste. Mühen wir uns im Tiefgang: als Menschen, als Studierende, als Wissenschaftler, als Männer und Frauen, die tiefer bohren und hören, was nicht gesagt wird; erlauschen, was zwischen den Zeilen mitschwingt; die leisen Zwischentöne wahrnehmen, die aus dem Herzen kommen und Gefühle berühren wie Angst oder Hoffnung, Ärger oder Freude, Trauer und Wut, aber auch Zuversicht und Gelassenheit. Hören ist keine Kür, sondern Pflicht.

Lieber Herr Rektor, das Kolleg am Campo Santo ist eine echte Hörschule. Etwas gewagt, doch treffend will ich es so formulieren: Werden Sie ein »synodaler Rektor«, der unterschiedliche Stimmen aufmerksam hört, da-rüber nachdenkt und betet, um dann verantwortlich zu entscheiden. Bei Ihnen laufen viele Fäden zusammen, manchen Knoten wird es geben, den Sie allein nicht lösen können. Ich wünsche Ihnen, dass Sie ein gut beratener Rektor sind; und wenn ein Knoten zu fest wird, dann wenden Sie sich an die Mutter vom Guten Rat oder an die Knotenlöserin, deren Original ja in Ihrem Heimatbistum Augsburg hängt.

Josef hat das Ohr des Herzens auf Empfang eingestellt. Er war ein Meister des Lauschens. Auf diese Weise hat er eine Ebene berührt, die ihm ungeahnte Tiefen erschloss. Weil er das Herz aufmachte, kam er dem Geheimnis näher. Möge der neue Rektor Mut und Zeit finden, um sich auf das Geheimnis Mensch einzulassen. Wer dem Menschen auf der Spur bleiben will, muss sich aufmachen und bereit sein zum Hören, gerade auf die Stimmen junger Leute.

2. Damit kommt die zweite Bedeutung von »aufmachen« in den Blick. Bis jetzt haben wir Josefs Offenheit für das Geheimnis betrachtet. Aus dem Hören wird Gehorsam. Das Aufmachen bedeutet auch Aufbrechen, Mobilität. Josef ist beweglich um Gottes willen. Indem er sich aufs Geheimnis einlässt, wird er zum Geheimnisträger. Was Maria für ihr Leben sagt, hat Konsequenzen für ihn als Bräutigam: »Ich bin die Magd des Herrn«
(Lk 1,38). Ich bin dein Knecht. Ich bin bereit, ich stehe zur Verfügung. – Zugleich wirft dieses Wort einen Schatten auf das, was der auferstandene Christus nach Ostern dem Petrus auf den Kopf hin zusagt: »Du wirst geführt werden, wohin du nicht willst« (Joh 21,10).

Josef muss Wege gehen, die er sich nicht erträumt hat. Es beginnt mit dem ersten Paukenschlag, als der Engel ihm das Geheimnis der Schwangerschaft seiner Verlobten eröffnet, menschlich gesehen ein Alptraum für einen Mann, der sich mit einer jungen Frau zusammentut und vom Glück gemeinsamer Kinder träumt. Die Botschaft des Engels zieht Josef hinein in das Abenteuer Gottes mit den Menschen, in die Nähe des brennenden Dornbuschs, in die unmittelbare Nähe zum Geheimnis, das er mittragen soll. Was das bedeutet, zeigt sich sofort: Die Geburt kann nicht in Nazareth erfolgen, wo Josef Haus und Werkstatt hat. Er muss aufbrechen nach Bethlehem, in die Stadt Davids, die ihm, Maria und dem Kind aber keine Bleibe bietet: »Die Seinen nahmen ihn nicht auf«
(Joh 1,11). Schon hier kündigt sich das Geheimnis des Kreuzes an: Vor den Toren der Stadt wird Jesus geboren in einer Krippe, vor den Toren der Stadt wird er später sterben am Kreuz. Bald nach der Geburt des Kindes erfolgt der nächste Aufbruch: die Flucht nach Ägypten. Und dann kommt jenes schwere Erlebnis, die drei Tage der Abwesenheit Jesu (vgl. Lk 3,46), die schon in gewisser Weise das Geheimnis der drei österlichen Tage zwischen Kreuz und Auferstehung vorwegnehmen. Als die Eltern Jesus auf einer Wallfahrt nach drei Tagen im Tempel wiederfinden, wird besonders dem Josef eine schroffe Lektion erteilt: »Ich musste im Eigentum meines Vaters sein« (vgl. Lk 2,19). Das heißt im Klartext: Der zwölfjährige Jesus schenkt dem Josef reinen Wein ein: »Du bist nicht mein eigentlicher Vater. Mein richtiger Vater ist im Himmel. Du bist nur mein Pflegevater, Hüter, Treuhänder«. Auch das Los eines Rektors bedeutet nicht, immer Everybody’s Darling zu sein. Auch der neue Rektor wird anecken, er wird zwischen verschiedenen Stühlen sitzen, er kann es nicht allen recht machen. Da kommt ein Titel ins Spiel, auf den Josef stolz sein kann: Josef war gerecht. Sie, lieber Herr Rektor, waren einst engagiert als Schiedsrichter. Sie wissen: Auf dem Fußballplatz muss es einen geben, der gerecht ist – der Unparteiische, der nach bestem Wissen und Gewissen das Spiel leitet, damit es nicht kippt. Ich prophezeie Ihnen: Auch hier in Rom, in Bonn, im Inneren dieser historischen Stätte wie auch in ihrer Wirkung nach außen werden Sie manche Partie bestehen müssen. Bleiben Sie gerecht – den einzelnen und Gruppen gegen-über, die an Ihnen zerren! Bewahren Sie die Mitte, werden Sie niemals mittelmäßig! Denn mit Mittelmaß kommen wir nicht weiter.

Der Jesuitenpater Alfred Delp hat sich auch seine Gedanken über Josef gemacht: »Er ist der Mann am Rande, im Schatten. Der Mann der schweigenden Hilfestellung und Hilfeleis-tung. Der Mann, in dessen Leben Gott dauernd eingreift mit neuen Weisungen und Sendungen. Die eigenen Pläne werden stillschweigend überholt. Immer neue Weisung und neue Sendung, neuer Aufbruch und neue Ausfahrt. Er ist der Mann, der sich eine bergende Häuslichkeit im stillen Glanze des angebeteten Herrgotts bereiten wollte, und der geschickt wurde in die Ungeborgenheit des Zweifels, des belasteten Gemütes, des gequälten Gewissens, der zugigen und windoffenen Straßen, des unhäuslichen Stalles, des unwirtlichen fremden Landes. Und er ist der Mann, der ging. Das ist sein Gesetz: die dienstwillige Folgsamkeit: der Mann, der dient. Dass ein Wort Gottes bindet und sendet, war ihm selbstverständlich, weil er ein Mann war, der bereitet, zugerüstet war zu Anrufen Gottes und der bereit war. Die dienstwillige Bereitschaft, das ist sein Geheimnis« (Gesammelte Schriften, hrsg. v. Roman Bleistein, Bd. IV Frankfurt 2. Auflage 1985, Aus dem Gefängnis, Dezember 1944, 199f.). Josef macht sich also auf im doppelten Sinn: Er öffnet sich dem Geheimnis, und er bricht auf um Jesu und dessen Mutter willen.

Abenteuer des Glaubens

3. Werfen wir noch einen Blick auf das »Outfit« des Josef. Er schaut aus wie ein Wanderer. Sein Weg steht im Zeichen Abrahams, zu dem Gott sagte: »Zieh fort aus deinem Land in das Land, das ich dir zeigen werde« (Gen 12,1). Das Neue Testament greift diese Existenzweise auf: Wir Christen sind Fremdlinge, Pilger und Gäste (vgl. 1 Petr 1,1.17; 2,11; Hebr 13,14). Denn »unsere Heimat ist im Himmel« (Phil 3,20). Wir hören das nicht mehr so gern, dass unsere Heimat im Himmel sei. Doch es ist so: Das Ziel unserer Reise ist der Himmel. Aber das heißt nicht, den Himmel erstürmen zu wollen, die Rollen zu vertauschen und uns als Geschöpfe zum Schöpfer aufzuschwingen. Der Mensch darf nicht alles, was er kann. So rate ich Ihnen, Herr Rektor: Bleiben Sie immer bescheiden! Sehen Sie Ihr Amt als Dienst! Josef war ein Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Wer sich auf eine Gratwanderung einlässt, braucht einen großen Glauben. Den hatte Josef: Glauben an die Kraft des Heiligen Geistes. Für den, der glaubt, ist keine Erklärung nötig. Für den, der nicht glaubt, ist keine Erklärung möglich. Geheimnis des Lebens – Abenteuer des Glaubens! Stehen Sie diesem Haus vor als geistlicher Mensch, als wirklich geistlich-Geistlicher (Johann Michael Sailer). Die Bewohner, die Mitglieder der Erzbruderschaft und die Gäste sollen Sie auch erleben als betenden Priester.

Wieviel er von dem Ganzen je verstand,

weil weiß,

was er gesprochen,

schien den Schreibern nicht der

Rede wert.

Zur Not weiß man grad eben seinen

Namen:

Josef.

Doch was er tat,

das Wesentliche,

hat man uns freilich aufgeschrieben,

weil’s dazugehört,

weil auch dem scheinbar

Unbedeutenden um

SEINETWILLEN und für diesmal höhere

Bedeutung zukam.

Was er tat?

Das Nötige.

Auch wenn sie nicht von ihm

empfangen hatte,

die MUTTER,

er verstieß sie nicht.

Auch wenn er nicht sein

Vater war,

er zog es dennoch auf,

das Kind.

Wieviel er von dem

Ganzen je verstand,

wer weiß

dass ER und sie ihn brauchten, das

verstand er wohl und

tat das Seine.

Linus David

Fußnote

1 Franziskus: Patris corde (8. Dez. 2020), Schluss.