· Vatikanstadt ·

Audienz für die Mitglieder der Stiftung »Centesimus Annus Pro Pontifice« und der »Strategic Alliance of Catholic Research Universities«

Die Gesellschaft braucht die Stärke und die Kreativität der Frauen

 Die Gesellschaft braucht die Stärke  und die Kreativität der Frauen  TED-012
24. März 2023

Liebe Freunde,

guten Tag und willkommen!

Ich danke Frau Prof. Tarantola und Rektor Anelli für ihre Worte und begrüße euch alle, die Mitglieder der Stiftung »Centesimus Annus Pro Pontifice« und des Netzwerks katholischer Universitäten SACRU.

Wir sind zusammengekommen aus Anlass der Vorstellung des Buches Mehr weibliche Führung für eine bessere Welt. Die Sorge für-einander als Antriebskraft für unser gemeinsames Haus. Es behandelt ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt: die Wichtigkeit, für-einander Sorge zu tragen. Es war eine der ersten Botschaften, die ich seit Beginn des Pontifikats an die Kirche richten wollte, verbunden mit dem Hinweis auf das Vorbild des heiligen Josef, den zärtlichen Hüter des Erlösers.1 Ein zärtlicher Hüter, der Sorge trägt.

Bevor ich in aller Kürze näher auf einige besondere Aspekte des Buches eingehe, möchte ich einen allgemeineren Aspekt unterstreichen. Wie bereits gesagt wurde, ist es die Frucht einer bemerkenswerten Verschiedenheit von Beiträgen, gesammelt und erstellt durch die in dieser Weise bisher unbekannte Zusammenarbeit von einigen katholischen Universitäten weltweit und einer aus Laien bestehenden Vatikanstiftung. Es handelt sich um eine neue und bedeutsame Methode, in der die Fülle der Inhalte hervorgeht aus dem Beitrag von unterschiedlichen und komplementären Erfahrungen, Kompetenzen, Empfindungs- und Herangehensweisen. Es ist ein Beispiel für Multidisziplinarität, Multikulturalität und den Austausch unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen: das sind wichtige Werte nicht nur für ein Buch, sondern auch für eine bessere Welt.

In diesem Sinne möchte ich drei Aspekte des Sorgetragens unterstreichen, und zwar als Beitrag der Frauen zu einer größeren Inklusivität, zu mehr Achtung des anderen und um neue Herausforderungen auf neue Weise zu bewältigen.

Erstens, der Beitrag zu größerer Inklusivität. Im Buch wird das Problem der Diskriminierung angesprochen, die oft Frauen und schwache Gruppen der Gesellschaft trifft. Wieder und wieder habe ich entschieden betont, dass Diversität nie in Ungleichheit münden darf, sondern vielmehr zu einer dankbaren gegenseitigen Annahme führen muss. Wahre Weisheit mit ihren Tausend Facetten lernt und lebt man, wenn man gemeinsam auf dem Weg ist, und nur so bringt sie Frieden hervor. Diese eure Studie ist daher – durch die Frauen und zugunsten der Frauen – eine Aufforderung, nicht zu diskriminieren, sondern alle zu integrieren, besonders diejenigen, die in wirtschaftlicher, kultureller, ethnischer und geschlechtsspezifischer Hinsicht am schwächs-ten sind. Niemand darf ausgeschlossen werden: das ist ein sakrosanktes Prinzip. Denn der Plan Gottes, des Schöpfers, ist »im Kern inklusiv« – immer – und stellt gerade »die Bewohner der existenziellen Peripherien in die Mitte«2. Es ist ein Plan, bei dem es so ist wie bei einer Mutter, die auf ihre Kinder blickt wie auf die verschiedenen Finger ihrer eigenen Hand: inklusiv, immer.

Der zweite Beitrag: für mehr Achtung des anderen. Jeder Mensch muss in seiner Würde und in seinen Grundrechten geachtet werden: Bildung, Arbeit, Meinungsfreiheit und so weiter. Das gilt insbesondere für die Frauen, die leichter Opfer von Gewalt und Miss-brauch werden. Einmal habe ich einen Historiker gehört, der erklärt hat, wie der Schmuck entstanden ist, den die Frauen tragen. Frauen tragen gerne Schmuck, aber jetzt auch die Männer. Es gab eine Zivilisation, wo es üblich war, dass der Ehemann, der viele Frauen hatte, wenn er nach Hause kam, zu einer, die ihm nicht gefiel, sagte: »Geh weg, raus mit dir!« Und die Frau musste gehen, mit dem, was sie am Leib trug. Sie konnte nicht hineingehen und ihre Sachen holen. Nein. »Du gehst jetzt.« Und deshalb haben die Frauen jener Geschichte zufolge begonnen, Gold zu tragen. Das soll der Ursprung des Schmucks sein. Das ist eine Legende, vielleicht, aber es ist interessant. Seit langem ist die Frau das erste Ausschussmaterial. Das ist schrecklich. Jeder Mensch muss mit seinen Rechten geachtet werden.

Wir dürfen angesichts dieser Geißel unserer Zeit nicht schweigen. Die Frau wird ausgenutzt. Ja, hier, in einer Stadt! Sie zahlen dir weniger: Tja, du bist eine Frau. Dann, wehe dir, wenn du mit einem Bauch ankommst, denn wenn sie sehen, dass du schwanger bist, geben sie dir keine Arbeit. Ja, wenn sie auf der Arbeit sehen, dass es anfängt, dann schicken sie dich nach Hause. Das ist eine Methode, die man heute in den großen Städten anwendet: die Frauen ausgrenzen, zum Beispiel bei der Mutterschaft. Es ist wichtig, diese Realität zu sehen, es ist ein Übel. Lassen wir nicht zu, dass Frauen keine Stimme haben, die Opfer von Missbrauch, Ausbeutung, Ausgrenzung und unzulässigem Druck sind, wie diese mit der Arbeit, über die ich gesprochen habe. Wir wollen ihrem Leid eine Stimme geben und mit Entschiedenheit die Ungerechtigkeiten anprangern, denen sie unterworfen sind, häufig in einem Kontext, der ihnen jede Möglichkeit zur Verteidigung und Befreiung nimmt. Aber geben wir auch ihrem Handeln Raum, das von Natur aus sehr sensibel und auf den Schutz des Lebens in jeder Phase ausgerichtet ist, in jedem Alter und in jeder Situation.

Kommen wir zum letzten Punkt: neue Herausforderungen auf neue Weise zu bewältigen. Die Kreativität. Der unersetzliche spezifische Beitrag der Frauen zum Gemeinwohl ist unbestreitbar. Das sehen wir bereits in der Heiligen Schrift, wo es oft die Frauen sind, die in entscheidenden Momenten der Heilsgeschichte eine wichtige Wende herbeiführen. Denken wir an Sara, Rebekka, Judit, Susanna, Rut bis zum Höhepunkt mit Maria und den Frauen, die Jesus bis unter das Kreuz gefolgt sind, wo, wie wir sehen, von den Männern nur Johannes geblieben war. Die anderen sind alle weggegangen. Die Mutigen sind dortgeblieben: die Frauen. In der Kirchengeschichte können wir dann an Gestalten wie Katharina von Siena, Josephine Bakhita, Edith Stein, Teresa von Kalkutta denken und auch an die Frauen »von nebenan«, die, wie wir wissen, mit großem Heroismus schwierige Ehen, Kinder mit Problemen voranbringen… Der Heroismus der Frauen. Jenseits der Stereotypen eines bestimmten hagiografischen Stils sind sie Personen, die durch ihre Entschlossenheit beeindrucken, durch Mut, Treue, Fähigkeit, zu leiden und Freude zu verbreiten, Ehrlichkeit, Demut, Beharrlichkeit.

Wenn ich in Buenos Aires den Bus nahm, der in den nord-westlichen Teil der Stadt fuhr, wo es viele Pfarreien gab, dann fuhr der Bus immer in der Nähe des Gefängnisses vorbei. Dort stand immer eine lange Schlange von Menschen, die an jenem Tag die Gefängnisinsassen besuchen wollten: 90 Prozent waren Frauen, Mütter, die Mütter, die ihre Kinder niemals im Stich lassen. Die Mütter. Und das ist die Stärke einer Frau: eine stille, aber alltägliche Stärke. Unsere Geschichte ist in wörtlichem Sinn übersät mit solchen Frauengestalten, sowohl bekannten als auch unbekannten – aber nicht bei Gott! –, die den Weg der Familien, der Gesellschaft und der Kirche voranbringen. Und das zuweilen mit problematischen, lasterhaften Ehemännern… Die Kinder kommen voran… Das bemerken wir auch hier im Vatikan, wo es mittlerweile gottlob viele Frauen auch in sehr verantwortungsvollen Positionen gibt, die »hart arbeiten«. Zum Beispiel funktionieren die Dinge viel besser hier, sehr viel besser, seitdem eine Frau im Governatorat an zweiter Stelle steht. Und andere Posten, wo es Frauen gibt, Sekretärinnen, der Wirtschaftsrat zum Beispiel, das waren sechs Kardinäle und sechs Laien, alles Männer. Jetzt ist er erneuert worden, vor zwei Jahren, und unter den Laien sind ein Mann und fünf Frauen, und es hat begonnen zu funktionieren, weil sie eine andersartige Fähigkeit haben, eine Möglichkeit zu handeln, und das auch mit Geduld.

Einmal hat eine Führungskraft aus der Arbeitswelt erzählt, ein Arbeiter, der an die Spitze der Gewerkschaft gekommen war, in jenem Moment, mit großer Autorität… Er hatte keinen Vater, nur die Mutter, und sie waren sehr arm. Sie machte Hausarbeit, sie wohnten in einem kleinen Häuschen: das Schlafzimmer der Mutter und ein kleines Esszimmer, und er schlief in diesem Raum, oft betrank er sich nachts, er war 22, 23 Jahre alt… Er erzählte, dass die Mutter, wenn sie morgens aus dem Haus zur Arbeit ging, um in anderen Häusern sauber zu machen, einen Moment stehenblieb und ihn ansah: Er war wach, aber er tat so, als wenn er es nicht sehen würde, als würde er noch schlafen. Sie blickte ihn an und ging dann weg. »Und diese Beharrlichkeit meiner Mutter, mich anzusehen, ohne mir Vorwürfe zu machen, und mich zu ertragen, das hat eines Tages mein Herz verwandelt, und so bin ich dort angekommen, wo ich angekommen bin.« Nur eine Frau vermag dies zu tun. Der Vater hätte ihn weggejagt. Wir müssen uns gut die Art und Weise ansehen, wie Frauen handeln: das ist etwas Großartiges.

Wir befinden uns in einer Zeit epochaler
Veränderungen, die angemessene und überzeugende Antworten verlangen. Im Kontext des Beitrags der Frau zu diesen Prozessen möchte ich kurz einen davon ansprechen: die fortschreitende Entwicklung und den zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz und das damit zusammenhängende heikle Problem des Entstehens neuer, unvorhersehbarer Machtdynamiken. Das ist ein uns noch weitgehend unbekanntes Szenarium, bei dem Prognosen nur Vermutungen und Schätzungen sein können. Dennoch haben die Frauen in diesem Bereich sehr viel zu sagen. Denn sie wissen auf einzigartige Weise in ihrer Handlungsweise drei Sprachen zusammenzufassen: die Sprache des Verstandes, die des Herzens und die der Hände. Aber als Sinfonie. Wenn die Frau eine Reife erreicht hat, dann denkt sie, was sie fühlt und tut; sie fühlt, was sie tut und denkt; sie tut, was sie fühlt und denkt: das ist eine Harmonie. Das ist die Genialität der Frau.

Und sie lehrt die Männer, dies zu tun, aber die Frau ist es, die zuerst diese Harmonie der Ausdrucksweise erreicht, auch des Denkens mit den drei Sprachen. Das ist eine Synthese, die nur dem Menschen zu eigen ist und die die Frau auf wunderbare Weise verkörpert – ich sage nicht ausschließlich, wunderbar und auch zuerst –, wie dies keine Maschine könnte, weil diese in ihrem Inneren nicht den Herzschlag eines Kindes hören kann, das sie in ihrem Schoß trägt; weil sie nicht neben dem Bettchen ihrer Kinder vor Müdigkeit umfällt, zufrieden und glücklich; weil sie nicht vor Schmerz und vor Freude weinen kann, wenn sie am Leid und an den Freuden der Menschen teilnimmt, die sie liebt. Der Ehemann arbeitet, schläft und … macht weiter. Dagegen tut eine Frau diese Dinge auf ganz natürliche Weise, und sie tut sie in einzigartiger Weise, gerade wegen der ihr gegebenen Fähigkeit des Sorgetragens. Wie es die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgedrückt haben, können wir daher sagen, dass »in einer Zeit, in welcher die Menschheit einen so tiefgreifenden Wandel erfährt«, die Frauen »der Menschheit tatkräftig dabei helfen können, dass sie nicht in Verfall gerät«3.

In dieser Überzeugung möchte ich nun unsere Begegnung abschließen und mir dabei die Worte des heiligen Johannes Paul II. aus Mulieris dignitatem zu eigen machen: »Die Kirche sagt also Dank für alle Frauen und für jede einzelne: für die Mütter, die Schwestern, die Ehefrauen; für die Frauen, die sich in der Jungfräulichkeit Gott geweiht haben; […] für die Frauen, die berufstätig sind […], für alle: […] in der ganzen Schönheit und im vollen Reichtum ihres Frauseins.«4

Danke, liebe Freunde! Ich gratuliere euch zu dieser wichtigen Forschung und wünsche euch alles Gute für eure Arbeit. Ich segne euch. Und ich bitte euch, für mich zu beten. Danke.

Fußnoten

1 Vgl. Predigt in der heiligen Messe zum Beginn des Petrusdienstes, 13. März 2013.

2 Vgl. Botschaft zum 108. Welttag des Migranten und Flüchtlings 2022, 9. Mai 2022.

3 Botschaft des Konzils an die Frauen,
8. Dezember 1965.

4 Hl. Johannes Paul II., Mulieris dignitatem, Nr. 31.

(Orig. ital. in O.R. 11.3.2023)