Lieber Herr Kardinal,
verehrte Rektoren und Professoren,
liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag und herzlich willkommen!
Ich danke Prof. Navarro für seine Worte und euch allen für eure Anwesenheit. Wie die Apostolische Konstitution Veritatis gau-dium in Erinnerung ruft (vgl. Proemio, 1), gehört ihr einem ausgedehnten und vielgestaltigen System kirchlicher Studieninstitute an, das sich im Laufe der Jahrhunderte dank der Weisheit des Got-tesvolkes entfaltet hat, verbreitet in der ganzen Welt und eng mit dem Evangelisierungsauftrag der ganzen Kirche verbunden. Ihr seid Teil eines Reichtums, der unter der Führung des Heiligen Geistes in der Forschung, im Dialog, in der Unterscheidung der Zeichen der Zeit und im Hören auf viele verschiedene kulturelle Ausdrucksformen gewachsen ist. Darin zeichnet ihr euch durch eure besondere – auch geographische – Nähe zum Nachfolger Petri und seinem Dienst der freudigen Verkündigung der Wahrheit Christi aus.
Ihr seid Frauen und Männer, die sich dem Studium verschrieben haben, manche für einige Jahre, andere ein Leben lang, mit unterschiedlichen Hintergründen und Verantwortungen. Deshalb möchte ich euch zuallererst mit den Worten des heiligen Bischofs und Märtyrers Ignatius von Antiochien sagen: Bemüht euch, »einen Chor zu bilden«.1 Bildet einen Chor! Die Universität ist in der Tat die Schule der Übereinstimmung und des Gleichklangs der verschiedenen Stimmen und Instrumente. Sie ist nicht die Schule der Uniformität: nein, sie ist die Schule der Über-einstimmung und des Gleichklangs zwischen verschiedenen Stimmen und Instrumenten. Der heilige John Henry Newman beschreibt sie als den Ort, an dem unterschiedliche Kenntnisse und Perspektiven in Harmonie zum Ausdruck kommen, sich gegenseitig ergänzen, korrigieren und ausgleichen.2
Diese Harmonie gilt es vor allem in euch selbst zu kultivieren, zwischen den drei Intelligenzformen, die in der menschlichen Seele mitschwingen: der des Verstandes, der des Herzens und der der Hände, jede mit ihrer eigenen Klangfarbe und ihrem eigenen Charakter, und alle gleich notwendig. Die Sprache des Verstandes, die sich mit der des Herzens und der der Hände verbindet: was man denkt, was man fühlt, was man tut.
Insbesondere möchte ich mich kurz mit der letzten der drei Komponenten befassen: der Intelligenz der Hände. Sie ist die sinnlichste, aber keineswegs die unwichtigste. Man kann sogar sagen, dass sie so etwas wie der Funke des Denkens und der Erkenntnis ist und in gewisser Weise auch deren reifstes Ergebnis. Als ich das erste Mal als Papst auf den Petersplatz ging, näherte ich mich einer Gruppe blinder Kinder. Und eines sagte zu mir: »Kann ich Sie sehen? Darf ich Sie anschauen?« Ich habe das nicht verstanden. »Ja« – sagte ich ihm. Und es suchte mit seinen Händen – es sah mich, indem es mich mit seinen Händen berührte. Das hat mich sehr beeindruckt und mir die Intelligenz der Hände bewusst gemacht. Aristoteles zum Beispiel sagte, dass die Hände »wie die Seele« sind, weil sie dank ihrer Sensibilität die Fähigkeit haben, zu unterscheiden und zu erforschen.3 Und Kant zögerte nicht, sie als »das äußere Gehirn des Menschen« zu bezeichnen.4
Die italienische Sprache hebt wie auch andere neulateinische Sprachen dasselbe Konzept hervor, indem sie das Verb »prendere/greifen«, das eine typisch manuelle Handlung
bezeichnet, zur Wurzel von
Wörtern wie »comprendere/begreifen«, »apprendere« und »sorprendere« macht, die dagegen Denk-vorgänge bezeichnen. Während die Hände etwas greifen, begreift der Geist, lernt und lässt sich überraschen. Doch dazu braucht es sensible Hände. Der Verstand wird nichts begreifen können, wenn die Hände durch Geiz verschlossen sind, oder wenn es »löchrige Hände« sind, die Zeit, Gesundheit und Talente verschwenden, oder wenn sie sich weigern, den Frieden zu reichen, zu grüßen und die Hand zu drücken. Er wird nicht lernen können, wenn seine Hände unbarmherzig mit den Fingern auf seine irrenden Brüder und Schwestern zeigen. Und er wird sich über nichts wundern, wenn dieselben Hände nicht wissen, wie sie sich im Gebet falten und zum Himmel erheben können.
Schauen wir uns die Hände Christi an. Mit ihnen nimmt er das Brot, bricht es, nachdem er den Segen gesprochen hat, und gibt es den Jüngern mit den Worten: »Das ist mein Leib«. Dann nimmt er den Kelch und reicht ihn ihnen nach der Danksagung mit den Worten: »Das ist mein Blut« (vgl. Mk 14,23-24). Was sehen wir? Wir sehen Hände, die, während sie nehmen, Dank sagen. Die Hände Jesu berühren das Brot und den Wein, den Leib und das Blut, das Leben selbst, und sie danken, sie nehmen und danken, weil sie spüren, dass alles ein Geschenk des Vaters ist. Es ist kein Zufall, dass die Evangelisten zur Bezeichnung ihres Handelns das Verb lambano verwenden, das sowohl »nehmen« als auch »empfangen« bedeutet. Sorgen wir also für Harmonie in uns selbst, indem wir auch unsere Hände »eucharis-tisch« werden lassen wie die von Christus und die Be-rührung bei jedem Anfassen und Nehmen mit demütiger, freudiger und aufrichtiger Dankbarkeit begleiten.
Zur Wahrung der inneren Harmonie lade ich euch auch ein, unter den verschiedenen Mitgliedern eurer Gemeinschaften und unter den verschiedenen Institutionen, die ihr vertretet, einen »Chor zu bilden«. Im Laufe der Jahrhunderte haben die Großzügigkeit und der Weitblick vieler Orden, von ihren Charismen inspiriert, Rom mit einer bemerkenswerten Anzahl von Fakultäten und Universitäten bereichert. Heute besteht jedoch die Gefahr, dass diese Vielzahl von Studienzentren wertvolle Energie vergeudet, auch weil es weniger Studenten und Dozenten gibt. Anstatt die Weitergabe der evangeliumsgemäßen Freude am Studium, an der Lehre und an der Forschung zu fördern, droht sie manchmal, sie zu bremsen und zu ermüden. Wir müssen dies zur Kenntnis nehmen.
Vor allem nach der Covid-Pandemie ist es dringend notwendig, einen Prozess in Gang zu setzen, der zu einer wirksamen, stabilen und organischen Synergie zwischen den akademischen Einrichtungen führt, um die spezifischen Ziele jeder einzelnen besser zu würdigen und die universale Sendung der Kirche zu fördern.5 Und nicht, dass wir uns untereinander streiten, um einen Studenten, eine zusätzliche Stunde zu bekommen. Ich fordere euch daher auf, euch nicht mit kurzatmigen Lösungen zufriedenzugeben und diesen Wachstumsprozess nicht einfach als eine »defensive« Maßnahme zu betrachten, die da-rauf abzielt, mit den schwindenden wirtschaftlichen und menschlichen Ressourcen fertigzuwerden. Vielmehr sollte er als Impuls für die Zukunft gesehen werden, als Einladung, die Herausforderungen einer neuen Geschichtsepoche anzunehmen. Ihr besitzt ein sehr reiches Erbe, das neues Leben fördern, aber auch hemmen kann, wenn es zu sehr auf sich selbst bezogen bleibt, wenn es zu einem Museumsstück wird. Wenn ihr wollt, dass es eine fruchtbare Zukunft hat, darf sich seine Bewahrung nicht darauf beschränken, das Erhaltene zu verwalten, sondern muss offen sein für mutige und, wenn nötig, noch nie dagewesene Entwicklungen. Es ist wie ein Samenkorn, das, wenn es nicht in den Boden der konkreten Wirklichkeit gesät wird, allein bleibt und keine Frucht bringt (vgl. Joh 12,24). Ich ermutige euch daher, so bald wie möglich einen zuversichtlichen Prozess in dieser Richtung zu beginnen, mit Intelligenz, Klugheit und Kühnheit, immer mit dem Bewusstsein, dass die Wirklichkeit wichtiger ist als die Idee (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 222-225). Das Dikasterium für Kultur und Bildung wird euch mit meinem Auftrag auf diesem Weg begleiten.
Liebe Brüder und Schwestern, die Hoffnung ist eine mehrstimmige Realität! Schaut hinter mir auf die Skulptur des auferstandenen Chris-tus, das Werk des Künstlers Pericle Fazzini, das im Auftrag des heiligen Paul VI. dieses Podium und diesen Saal beherrscht. Achtet auf die Hände Christi: Sie sind wie die eines Chorleiters. Die rechte Hand ist offen: Sie leitet den gesamten Chor und scheint, nach oben gestreckt, ein Crescendo der Darbietung zu fordern. Die linke hingegen ist dem ganzen Chor zugewandt und zeigt mit dem Zeigefinger nach oben, als wolle sie einen Solisten auffordern: »Du bist dran!« Die Hände Christi beziehen den Chor und den Solisten gleichzeitig mit ein, so dass im Konzert die Rolle des einen mit der des anderen in einer konstruktiven Komplementarität harmonieren. Bitte: nie Solisten ohne Chor. »Du bist dran!« und gleichzeitig: »Du bist dran!« Das ist es, was die Hände des Auferstandenen sagen: zu euch allen und zu dir! Betrachten wir diese Gesten und erneuern wir unsere Verpflichtung, »einen Chor zu bilden«, in Harmonie und Einklang der Stimmen, fügsam gegenüber dem lebendigen Wirken des Geistes. Das erbitte ich im Gebet für jeden von euch und für alle. Von Herzen segne ich euch, und ich bitte euch: vergesst nicht, für mich zu beten.
Fußnoten
1 Vgl. Brief an die Epheser, 2-5.
2 The Idea of a University. Discourse 5.
3 De anima, III, 8.
4 Vgl. Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798). AA VI, 154 – 155.
5 Vgl. Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen, 9. Februar 2017.