»Siehe, jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist er da, der Tag der Rettung«
(2 Kor 6,2). Mit dieser Aussage hilft uns der Apostel Paulus, in den Geist der Fastenzeit einzutreten. Die Fastenzeit ist in der Tat eine günstige Zeit, um sich auf das Wesentliche zu besinnen, um uns von dem zu befreien, was uns belastet, um uns mit Gott zu versöhnen, um das Feuer des Heiligen Geistes neu zu entfachen, das verborgen unter der Asche unseres schwachen Menschseins liegt. Sich auf das Wesentliche besinnen. Es ist eine Zeit der Gnade, um in die Tat umzusetzen, was der Herr im ersten Vers des Wortes, das wir gehört haben, von uns verlangt: »Kehrt um zu mir von ganzem Herzen« (Joël 2,12). Sich auf das Wesentliche besinnen, das ist der Herr.
Zurück zur grundlegenden Wahrheit des Lebens
Gerade der Ritus der Auflegung des Aschenkreuzes führt uns in diesen Weg der Umkehr ein und richtet zwei Aufforderungen an uns: zur Wahrheit über uns selbst zurückzukehren und zu Gott und unseren Brüdern und Schwestern zurückzukehren.
An erster Stelle: zur Wahrheit über uns selbst zurückkehren. Die Asche erinnert uns daran, wer wir sind und woher wir kommen, sie führt uns zurück zur grundlegenden Wahrheit des Lebens: Nur der Herr ist Gott, und wir sind das Werk seiner Hände. Das ist unsere Wahrheit. Wir haben das Leben, während er das Leben ist. Er ist der Schöpfer, während wir zerbrechlicher Ton sind, der von seinen Händen geformt wird. Wir kommen von der Erde und brauchen den Himmel, Ihn; mit Gott erheben wir uns aus unserer Asche, ohne ihn aber sind wir Staub. Und wenn wir das Haupt in Demut neigen, um die Asche zu empfangen, wollen wir uns diese Wahrheit im Herzen einprägen: Wir sind des Herrn, wir gehören zu ihm. Denn er formte »den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebens-atem« (Gen 2,7): Wir exis-tieren also, weil er uns den Lebensatem eingehaucht hat. Und als liebevoller und barmherziger Vater lebt auch er die Fastenzeit, weil er sich nach uns sehnt, auf uns wartet, unsere Rückkehr erwartet. Und er ermutigt uns immer wieder, nicht zu verzweifeln, auch wenn wir in den Staub unserer Zerbrechlichkeit und Sünde fallen, »denn er weiß, was wir für Gebilde sind, er bedenkt, dass wir Staub sind« (Ps 103,14). Hören wir das noch einmal: Er bedenkt, dass wir Staub sind. Gott weiß es; wir hingegen vergessen es oft, weil wir denken, dass wir uns selbst genügen, dass wir stark und unbesiegbar ohne ihn sind; wir verwenden Schminke, damit wir uns für besser halten als wir sind: Wir sind Staub.
Die Fastenzeit ist also eine Zeit, in der wir uns daran erinnern, wer der Schöpfer und wer das Geschöpf ist, in der wir verkünden, dass Gott allein der Herr ist, in der wir uns von der Anmaßung befreien, uns selbst zu genügen, und von dem Drang, uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen, die Klassenbesten zu sein, zu glauben, dass wir allein mit unseren Fähigkeiten Hauptakteure des Lebens sein und die Welt um uns herum verändern können. Dies ist eine günstige Zeit, um umzukehren, um vor allem den Blick auf uns selbst zu verändern, um in unser Inneres zu schauen: Wie viel Zerstreuung und Oberflächlichkeit lenken uns von dem ab, was wichtig ist, wie oft konzentrieren wir uns auf das, worauf wir Lust haben, oder auf das, was uns fehlt, und entfernen uns so von der Mitte unseres Herzens. Dabei vergessen wir, den Sinn unseres Daseins auf der Welt zu erfassen. Die Fas-tenzeit ist eine Zeit der Wahrheit, damit wir die Masken fallen lassen, die wir jeden Tag tragen, um in den Augen der Welt vollkommen zu erscheinen; um, wie Jesus im Evangelium sagt, gegen Falschheit und Heuchelei zu kämpfen: nicht die der anderen, sondern unsere eigene: Ihnen ins Gesicht sehen und kämpfen.
Es gibt jedoch noch einen zweiten Schritt: Die Asche lädt uns auch dazu ein, zu Gott und zu unseren Brüdern und Schwestern zurückzukehren. Wenn wir nämlich zur Wahrheit dessen, was wir sind, zurückkehren und erkennen, dass unser Ich sich selbst nicht genügt, dann entdecken wir, dass wir nur dank unserer Beziehungen existieren: der Urbeziehung zum Herrn und der lebenswichtigen Beziehungen zu den Anderen. Die Asche, die heute Abend auf unser Haupt gestreut wird, sagt uns also, dass jede Anmaßung der Selbstgenügsamkeit falsch ist und dass die Vergötterung des eigenen Ichs zerstörerisch ist und uns in den Käfig der Einsamkeit sperrt: Sich im Spiegel zu betrachten und sich vorzustellen perfekt zu sein, sich vorzustellen, der Mittelpunkt der Welt zu sein.
Neubelebung unserer
Beziehung zu Gott
Unser Leben ist hingegen in erster Linie eine Beziehung: Wir haben es von Gott und von unseren Eltern erhalten und können es dank des Herrn und der Menschen, die er uns zur Seite stellt, immer wieder erneuern und regenerieren. Die Fastenzeit ist eine günstige Zeit, um unsere Beziehungen zu Gott und zu den anderen neu zu beleben: um uns in der Stille dem Gebet zu öffnen und aus der Fes-tung unseres verschlossenen Ichs herauszutreten, um die Ketten des Individualismus und der Vereinsamung zu sprengen und durch Begegnung und Zuhören diejenigen wiederzuentdecken, die jeden Tag neben uns gehen, und um zu lernen, sie wieder als Brüder und Schwestern zu lieben.
Brüder und Schwestern, wie können wir all dies umsetzen? Um diesen Weg zu bewältigen – zurückzukehren zur Wahrheit über uns selbst, zurückzukehren zu Gott und zu den Anderen – sind wir eingeladen, drei bedeutende Straßen zu beschreiten: Almosen, Gebet und Fasten. Das sind die klassischen Wege: Auf dieser Straße bedarf es keiner Neuigkeiten. Jesus hat es gesagt, es ist klar: Almosen, Gebet und Fasten. Und dies sind keine äußerlichen Riten, sondern Gesten, die Ausdruck einer Erneuerung des Herzens sein müssen. Das Almosen ist keine schnelle Tat, um das Gewissen zu beruhigen, um das innere Ungleichgewicht ein wenig auszugleichen, sondern es bedeutet, mit den eigenen Händen und den eigenen Tränen mit dem Leid der Armen in Berührung zu kommen; das Gebet ist kein Ritual, sondern ein Dialog der Wahrheit und der Liebe mit dem Vater; und das Fasten ist nicht ein einfacher Verzicht, sondern eine starke Geste, die unser Herz an das erinnert, was zählt und was vergeht. Es ist Jesu »Mahnung, die auch für uns ihre heilsame Gültigkeit behält: Den äußeren Gesten muss immer die Aufrichtigkeit des Herzens und die Folgerichtigkeit der Werke entsprechen. Was nützt es denn, […] die Kleider zu zerreißen, wenn das Herz fern vom Herrn ist, das heißt
vom Guten und von der Gerechtigkeit?« (Benedikt XVI., Predigt am Aschermittwoch,
1. März 2006). Doch allzu oft berühren unsere Gesten und Rituale das Leben nicht, sie sind unwahr; vielleicht führen wir sie nur aus, um von anderen bewundert zu werden, um Beifall zu erhalten, um Anerkennung zu bekommen. Denken wir daran: Im persönlichen Leben wie im Leben der Kirche zählen nicht Äußerlichkeiten, menschliche Urteile und das Wohlgefallen der Welt, sondern allein der Blick Gottes, der die Liebe und die Wahrheit darin erkennt.
Wenn wir uns demütig unter seinen Blick stellen, dann bleiben Almosen, Gebet und Fas-ten nicht äußerliche Gesten, sondern drücken aus, wer wir wirklich sind: Kinder Gottes und Geschwister untereinander. Das Almosen, die Nächstenliebe, wird unser Mitgefühl für die Bedürftigen bekunden und uns helfen, zu den Anderen zurückzukehren; das Gebet wird unserem innigen Verlangen nach der Begegnung mit dem Vater Ausdruck verleihen und uns zu ihm zurückkehren lassen; das Fasten wird die geistliche Übungsstätte sein, um freudig auf das zu verzichten, was überflüssig ist und uns belastet, um innerlich freier zu werden und zur Wahrheit unser selbst zurückzukehren. Begegnung mit dem Vater, innere Freiheit, Mitgefühl.
Liebe Brüder und Schwestern, neigen wir unser Haupt, empfangen wir die Asche, erleichtern wir unsere Herzen. Machen wir uns auf den Weg der Nächstenliebe: Uns sind vierzig günstige Tage geschenkt, um uns daran zu erinnern, dass die Welt nicht in den engen Grenzen unserer persönlichen Bedürfnisse eingeschlossen werden darf, und um die Freude nicht im Anhäufen von Dingen, sondern in der Fürsorge für die Bedürftigen und Bedrängten wiederzuentdecken. Machen wir uns im Gebet auf den Weg: Uns sind vierzig günstige Tage geschenkt, um Gott wieder den Vorrang in unserem Leben zu geben, um mit ihm wieder in Dialog zu treten – von ganzem Herzen und nicht nur in der Zeit, die uns gerade übrigbleibt. Machen wir uns auf den Weg des Fastens: Uns sind vierzig günstige Tage geschenkt, um uns selbst neu zu entdecken, um die Diktatur der immer vollen Terminkalender, der der Erledigungen, der Ansprüche eines immer oberflächlicheren und sperrigeren Egos zu bremsen und das zu wählen, was zählt.
Brüder und Schwestern, lassen wir uns die Gnade dieser heiligen Zeit nicht entgehen: Schauen wir auf den Gekreuzigten und gehen wir diesen Weg, antworten wir großherzig auf die starken Aufrufe der Fastenzeit. Und am Ende des Weges werden wir mit größerer Freude dem Herrn des Lebens begegnen, wir werden Ihm begegnen, dem Einzigen, der uns aus unserer Asche auferstehen lassen wird.