Die Kirche hält den Traum vom Frieden am Leben

 Die Kirche hält den Traum vom Frieden am Leben  TED-009
03. März 2023

Erzbischof Paul Richard Gallagher, der Sekretär der zweiten Sektion des Staatssekretariats für die Beziehungen mit den Staaten und den internationalen Organisationen, bezeichnet den Ukraine-Krieg als »grausam«. In folgendem Interview mit Svitlana Dukhovych, Redakteurin der ukrainischen Redaktion von Vatican News, spricht er über die diplomatischen Bemühungen des Heiligen Stuhls angesichts des Krieges, der vor einem Jahr ausgebrochen ist.

Exzellenz, am 24. Februar letzten Jahres begann die groß angelegte Invasion der Ukraine durch die russische Armee. Der Krieg scheint kein Ende zu nehmen. Was tut die Diplomatie des Heiligen Stuhls, um zu einem Ende dieses Krieges und zur Schaffung von Frieden beizutragen?

Die Diplomatie des Heiligen Stuhls wird vor allem durch die Initiative des Heiligen Vaters geleitet und angeregt: Er ist es, der in seinen Gebeten und Ansprachen – sowohl bei den Generalaudienzen als auch beim sonntäglichen Angelusgebet – immer wieder zum Frieden in der Ukraine aufruft – und wir orientieren uns an ihm. Wir versuchen immer, wie so viele andere auch, die Grausamkeit dieses Krieges im Hinterkopf zu behalten, der so viele Opfer fordert, so viele Tote, so viele Verwundete und vermisste Familien. Das versuchen wir zu tun. Zugleich signalisieren wir immer eine gewisse Bereitschaft gegenüber den Akteuren, was mögliche Verhandlungen um ein Ende dieses schrecklichen Krieges betrifft. Ich glaube, das ist unsere Rolle. Auch wenn es für die Ukraine selbst und für viele andere schwierig ist, von Dialog und Frieden, von Versöhnung zu sprechen, ist dies doch etwas, was die Kirche, der Heilige Stuhl und der Heilige Vater tun können und müssen, und das ist von grundlegender Bedeutung: den Traum vom Frieden präsent zu halten. Wir verstehen, dass es vielen in dieser Zeit des Leidens schwerfällt, jetzt an Frieden zu denken, aber irgendjemand muss es tun, denn irgendwann einmal wird es ein Ende dieses schrecklichen Krieges geben, und wir hoffen, dass dieses Ende schon bald kommt.

Welches sind aus Sicht der Diplomatie des Heiligen Stuhls die besonderen Aspekte dieses Krieges in der Ukraine im Vergleich zu anderen Kriegen?

Zunächst einmal müssen wir sagen, dass es sich um einen Krieg in Europa handelt. Wir Europäer dachten nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, dass es nie wieder Krieg geben würde, und jetzt erleben wir die Wirklichkeit. Das ist wichtig. Dann ist es ein Krieg zwischen zwei Ländern, die eine lange Geschichte, viele kulturelle Aspekte und nicht zuletzt die religiöse Dimension gemein haben. Das macht diesen Krieg besonders problematisch. Alle Kriege sind schrecklich, aber dieser Krieg konfrontiert uns mit einer Situation, die für alle sehr schwierig ist, denn obwohl wir sehen, wie schwerwiegend es ist, was Russland da tut, behalten wir doch gleichzeitig im Auge, dass Russland ein sehr wichtiges Land ist, ein Land mit einer langen Geschichte, und wir müssen irgendwann in der Zukunft wieder einen Frieden, eine Beziehung zu diesem Russland aufbauen. Und das macht auch die Kriegsführung besonders schwierig.

Im Mai letzten Jahres haben Sie die Ukraine besucht. Welche Bedeutung hatte dieser Besuch für Sie?

Er hat mich innerlich zutiefst bewegt. Wenn man das Leid eines Volkes mit Händen greifen kann, wenn man, wie ich es in Butscha und an anderen Orten gesehen habe, die Tatsachen, die Wahrheit des Krieges, das Leid der Menschen sieht, dann kann das nicht umhin, einen tiefen Eindruck zu hinterlassen. Wenn man die Wunden dieses Volkes berührt, dann verändert einen das für immer, es ist nichts Theoretisches, etwas aus den Nachrichten: Es ist eine Wahrheit, das Leiden eines Volkes. Das ist es, was ich erlebt habe. Die Erfahrung, dort gewesen zu sein, hat mich zutiefst verändert, denn ich habe das Leid gesehen, aber auch den Mut der Menschen und die Komplexität der Lage.

Exzellenz, vom ersten Tag des Krieges an war der Apostolische Nuntius in der Ukraine, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, einer von drei Diplomaten, die weiterhin in Kiew gearbeitet haben. Wie kam es zu dieser Entscheidung, und welche Bedeutung hatte es für den Heiligen Stuhl, dass er, der Nuntius, dortblieb?

Eigentlich wurde nie eine ausdrückliche Entscheidung getroffen – es hat sich spontan ergeben. Wir sind alle sehr stolz auf Erzbischof Visvaldas, der diese Mission zusammen mit seinen Mitarbeitern mit großem Mut, mit großer Entschlossenheit durchführt. Dies ist Teil der Tradition unserer Diplomatie. Denken Sie zum Beispiel an Kardinal Zenari in Damaskus, in Syrien: Auch er ist nun schon mehr als zehn Jahre, ich glaube seit fast 12 Jahren, dortgeblieben, trotz des Krieges in Syrien. Das gehört zu unserer Tradition, denn unser Engagement ist kein – sagen wir mal – politisches Engagement im rein diplomatischen Sinne, es ist ein Engagement für ein Volk, für eine Kirche. Und wenn manchmal, in historischer Sicht, die Nuntien ausgewiesen worden sind, so beispielsweise während des Zweiten Weltkriegs und auch in der jüngeren Vergangenheit, so tun wir diese Dinge nicht aus freiem Antrieb, das ist etwas, das vorkommt. Wir können sagen, dass die Idee, zu bleiben und das Leiden eines Volkes zu teilen, Teil unserer Diplomatie ist. Der Papst will den Menschen keine Opfer und kein Leid auferlegen, aber er möchte, dass dieser Geist der Solidarität, diese seine eigene Nähe durch seine Vertreter zum Ausdruck kommt.

Wie kann das ukrainische Volk Ihrer Meinung nach angesichts der anhaltenden Aggression den Frieden anstreben, den Papst Franziskus unablässig beschwört?

Ich bezweifle nicht, dass alle Ukrainer vom Frieden träumen, das ist ganz normal. Wenn Familienväter und -mütter auf ihre Kinder schauen, hoffen sie, dass sie in einem friedlichen Land aufwachsen können. Sie sollen sich diesen Traum bewahren – trotz des Leids, trotz der Schwierigkeiten, trotz der offensichtlich derzeit sehr schmerzlichen Beziehungen zu Russland und den Russen. Sie sollten aber auch – vielleicht sogar in Erinnerung an die Jahre der Freiheit, an die Jahre des Friedens, die dieses Land nach seiner Unabhängigkeit erlebt hat – mit einem gewissen Optimismus in die Zukunft blicken und versuchen, jetzt schon an den Wiederaufbau dieses Landes zu denken. Es wird in diesem Land viel wiederaufzubauen und zu versöhnen geben.

Danke, Exzellenz.

Danke Ihnen.