Wenn sich furchtbare Tragödien ereignen wie jene des Erdbebens in der Türkei und in Syrien, dann klammern sich die Menschen, dann halten sie sich verzweifelt an der Hoffnung fest. Die Hoffnung hat gerade dann einen Sinn, wenn die Lage aussichtslos erscheint. Gerade das ist auch der Sinn des Gebets: »Fast alle Dinge, um die die Menschen im Gebet bitten«, so merkt C. S. Lewis an, »sind unvorhersehbar: Der Ausgang einer Schlacht oder einer Operation, der Verlust einer Arbeit oder eine Anstellung, eine erwiderte Liebe. Wir beten sicher nicht um Sonnenfinsternisse.« Die Sonnenfinsternis ist unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit das genaue Gegenteil des Erdbebens: sie ist ein großartiges »Schauspiel«, über das man bereits im Voraus alles weiß. Unter diesem Gesichtspunkt repräsentiert sie hervorragend die Atmosphäre - wie man heute sagt, den mood - der technologisch fortschrittlichen westlichen Welt, in der alles zum Spektakel wird und wo es keinen Platz für gibt für Unvorhergesehenes, Unprogrammiertes, Ungeplantes; auch die Reisen, die emblematisch für Abenteuer stehen, sind »organisiert«. Und es ist offensichtlich, dass irgendetwas immer entgleitet. Wie ein Erdbeben. Und hier kommen die beiden in unablässiger Konkurrenz stehenden Schwestern ins Spiel: Die Angst und die Hoffnung.
Die Bilder, die wir dieser Tage sehen, sprechen Bände und vermitteln diese beiden Dimensionen: die der Angst und jene der Hoffnung. Die Freude, die unversehens ausbricht, wenn ein Vater oder eine Mutter ihr am Leben gebliebenes Kind wiederfinden, das aus den Trümmern in Sicherheit gebracht wurde, und der sprachlose und untröstliche Schmerz, der sich Bahn bricht, wenn dieses »Wunder« nicht stattfindet. Gestern hat diese Zeitung auf ihrer Titelseite das Foto zweier Hände veröffentlicht, jener eines Vaters, der die Hand seiner mittlerweile toten Tochter drückte und versuchte, ihr irgendwie wieder Leben einzuflößen. Wieviel Leben steckt doch in diesem Tod, und wie viel Tod ist in unserem Leben, auch wenn wir tunlichst vermeiden, ihn anzuschauen bzw. an ihn zu denken.
Später kam die Nachricht eines Wunders, das sich ereignet hatte: ein soeben unter den Trümmern geborenes kleines Mädchen, das lebendig gefunden wurde, das noch an der Nabelschnur der bereits verstorbenen Mutter hing. Es gibt keine größere Liebe als jene, Leben zu schenken. Die Mütter tun das seit jeher, unter allen Umständen, auch den extremsten, wie diese Mutter aus Dschindires in Syrien. Dieses kleine Kind gleicht dem Licht eines Sterns, der in Unkenntnis über den Tod seiner Ursprungsquelle nach einer langen Sternenreise hartnäckig auf der Erde landet, um über die Geschicke der Menschen zu leuchten und sie zu ermutigen.
Diese kleine, ungeheure Geschichte des neugeborenen kleinen Mädchens unter den Trümmern ähnelt aber auch etwas anderem: dem Ostergeheimnis. In Dschindires war gestern Karsamstag. Jesus ist tot und begraben, genau wie jene Mama ist auch er von Stein bedeckt, hört dort aber keineswegs auf, Leben für alle zu erzeugen. Jesus, der gestorben ist, indem er sein Leben aus Liebe hingegeben hat, ist diese Nabelschnur, die uns vom Abgrund des Todes aus stützt, nährt, ermutigt und unseren Weg beleuchtet. Diesen unseren so ungewissen, unvorhersehbaren, wunderbaren und dramatischen Weg, den wir Leben nennen.
Von Andrea Monda