Einer der bewegendsten Momente der Afrikareise von Papst Franziskus war zweifellos die Begegnung mit den Opfern der Gewalt im Osten der Demokratischen Republik Kongo, die am Nachmittag des 1. Februar in der Eingangshalle der Apostolischen Nuntiatur in Kinshasa stattfand. Nach einigen dramatischen Zeugnissen (siehe unten) hielt der Papst die Ansprache, die wir im Folgenden veröffentlichen.
Liebe Brüder und Schwestern!
Vielen Dank! Danke für den Mut dieser Zeugnisse. Angesichts der unmenschlichen Gewalt, die ihr mit eigenen Augen gesehen und an eurer eigenen Haut erfahren habt, ist man entsetzt; es bleibt nur das Weinen, ohne Worte, und das Schweigen. Bunia, Beni-Butembo, Goma, Masisi, Rutshuru, Bukavu, Uvira, Orte, die in den internationalen Medien kaum Erwähnung finden: Hier und anderswo werden viele unserer Brüder und Schwestern, Kinder derselben Menschheit, von der Willkür der Stärkeren in Geiselhaft genommen, von denen, die die stärksten Waffen in Händen halten, Waffen, die weiterhin im Umlauf sind. Mein Herz ist heute im Osten dieses riesigen Landes, das keinen Frieden finden wird, bevor er nicht dort, in seinem östlichen Teil, erreicht ist.
Euch, liebe Bewohner des Ostens, möchte ich sagen: Ich bin euch nahe. Eure Tränen sind meine Tränen, euer Schmerz ist mein Schmerz. Jeder wegen niedergebrannter Dörfer und anderer Kriegsverbrechen trauernden oder vertriebenen Familie, den Überlebenden sexueller Gewalt, jedem verletzten Kind und Erwachsenen sage ich: Ich bin bei euch, ich möchte euch die liebevolle Nähe Gottes bringen. Sein zärtlicher und mitfühlender Blick ruht auf euch. Während die Gewalttätigen euch wie Objekte behandeln, sieht der Vater im Himmel eure Würde und sagt zu einem jeden von euch: »Du bist in meinen Augen teuer und wertvoll und ich liebe dich« (vgl. Jes 43,4). Brüder und Schwestern, die Kirche ist und wird immer auf eurer Seite sein. Gott liebt, er hat euch nicht vergessen, aber auch die Menschen sollen sich an euch erinnern!
In seinem Namen verurteile ich gemeinsam mit den Opfern und denjenigen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Ge-schwisterlichkeit einsetzen, die bewaffnete Gewalt, die Massaker, die Vergewaltigungen, die Zerstörung und Besetzung von Dörfern, die Plünderung von Feldern und Viehbeständen, die in der Demokratischen Republik Kongo weiterhin verübt werden. Und auch die blutige, illegale Ausbeutung des Reichtums dieses Landes sowie die Versuche, es zu zerstückeln, um es zu kontrollieren. Es erfüllt einen mit Empörung, wenn man weiß, dass die Unsicherheit, die Gewalt und der Krieg, von denen so viele Menschen auf tragische Weise betroffen sind, nicht nur von äußeren Kräften auf schändliche Weise geschürt werden, sondern auch von innen, um daraus Nutzen und Vorteile zu ziehen. Ich wende mich an den Vater im Himmel, der will, dass wir alle auf der Erde Brüder und Schwestern sind: Ich beuge demütig mein Haupt und bitte ihn mit Trauer im Herzen um Vergebung für die Gewalt des Menschen gegen den Menschen. Vater, hab Erbarmen mit uns. Tröste die Opfer und diejenigen, die leiden. Bekehre die Herzen derer, die unmenschliche Gräueltaten begehen, die Schande über die ganze Menschheit bringen! Und öffne denen die Augen, die sie vor diesen Gräueln verschließen oder sich davon abwenden.
Es sind Konflikte, die Millionen von Menschen zwingen, ihre Häuser zu verlassen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen verursachen, das sozioökonomische Gefüge zerstören und Wunden verursachen, die nur schwer zu heilen sind. Es sind Parteikämpfe, in denen sich ethnische, territoriale und gruppenbezogene Dynamiken miteinander verflechten; Konflikte, die mit Landbesitz zu tun haben, mit dem Fehlen oder der Schwäche von Institutionen, Hass, in den sich die Gotteslästerung der Gewalt im Namen eines falschen Gottes einschleicht. Aber es ist vor allem ein Krieg, der durch eine unersättliche Gier nach Rohstoffen und Geld entfesselt wird, die eine Kriegswirtschaft antreibt, die nach Instabilität und Korruption verlangt. Was für ein Skandal und was für eine Heuchelei: Menschen werden vergewaltigt und getötet, während die Geschäfte, die Gewalt und Tod verursachen, weiter gedeihen!
Ich richte einen eindringlichen Appell an alle Menschen, an alle internen und externen Kräfte, die die Fäden des Krieges in der Demokratischen Republik Kongo ziehen und das Land ausplündern, geißeln und destabilisieren. Ihr bereichert euch durch die illegale Ausbeutung der Güter dieses Landes und die blutige Opferung von unschuldigen Menschen. Hört auf den Schrei ihres Blutes (vgl. Gen 4,10), achtet auf die Stimme Gottes, der euch zur Umkehr aufruft, und auf die eures Gewissens: Bringt die Waffen zum Schweigen, bereitet dem Krieg ein Ende. Es reicht! Keine Bereicherung mehr zum Schaden der Schwächsten, keine Bereicherung mehr mit Ressourcen und Geld, die mit Blut besudelt sind!
Liebe Brüder und Schwestern, und wir, was können wir tun? Wo sollen wir anfangen? Wie können wir handeln, um den Frieden zu fördern? In Demut möchte ich euch vorschlagen, dass wir von zwei »Neins« und von zwei »Jas« ausgehen.
Vor allem Nein zur Gewalt, immer und in jedem Fall, ohne »wenn« und »aber«. Nein zur Gewalt! Das eigene Volk zu lieben, bedeutet nicht, anderen gegenüber Hass zu hegen. Im Gegenteil, sein Land zu lieben bedeutet, sich nicht von denen anstecken zu lassen, die zur Gewaltanwendung auffordern. Es ist eine tragische Täuschung: Hass und Gewalt sind niemals akzeptabel, niemals zu rechtfertigen, niemals zu tolerieren, erst recht nicht für die, die Christen sind. Hass erzeugt nur weiteren Hass und Gewalt weitere Gewalt. Ein klares und starkes »Nein« muss dann zu denen gesagt werden, die diese Gewalt, diesen Hass im Namen Gottes verbreiten. Liebe Kongolesen, lasst euch nicht von Menschen oder Gruppen verführen, die in seinem Namen zu Gewalt aufrufen. Gott ist ein Gott des Friedens und nicht des Krieges. Hass zu predigen ist eine Gotteslästerung und der Hass zersetzt immer das Herz des Menschen. Tatsächlich lebt derjenige niemals gut, der von Gewalt lebt: Er denkt, dass er sein Leben rettet und wird stattdessen von einem Strudel des Bösen verschlungen, der ihn in seinem Inneren tötet, indem er ihn dazu treibt, seine Brüder und Schwestern zu bekämpfen, mit denen er aufgewachsen ist und jahrelang zusammengelebt hat.
Um aber wirklich »Nein« zur Gewalt zu sagen, reicht es nicht aus, gewalttätige Handlungen zu vermeiden; es müssen die Wurzeln der Gewalt ausgerissen werden: Ich denke da an die Gier, an den Neid und vor allem an den Groll. Während ich mich mit Respekt vor dem Leid verneige, das viele ertragen haben, möchte ich alle bitten, sich so zu verhalten, wie ihr es vorgeschlagen habt, ihr mutigen Zeugen, die ihr den Mut habt, das Herz zu entwaffnen. Ich bitte euch alle im Namen Jesu, der denen vergeben hat, die seine Handgelenke und Füße mit Nägeln durchbohrt und ihn an ein Kreuz geschlagen haben: Ich bitte euch, das Herz zu entwaffnen. Das bedeutet nicht, aufzuhören, sich angesichts des Bösen zu empören oder es nicht anzuprangern, das ist eine Pflicht! Es bedeutet auch keine Straffreiheit und keinen Straferlass für Gräueltaten, indem man so weitermacht, als ob nichts wäre. Was im Namen des Friedens, im Namen des Gottes des Friedens, von uns verlangt wird, ist das Herz zu entmilitarisieren: Das Gift zu entfernen, den Groll abzulegen, die Gier zu entschärfen, das Ressentiment auszulöschen; zu all dem »Nein« zu sagen, scheint schwach zu machen, aber in Wirklichkeit macht es frei, weil es Frieden gibt. Ja, Friede kommt aus den Herzen, aus Herzen, die frei von Groll sind.
Dann ist noch ein zweites »Nein« zu sagen: Nein zur Resignation. Der Friede verlangt es, Entmutigung, Mutlosigkeit und Miss-trauen zu bekämpfen, die dazu führen, dass man glaubt, es sei besser, allen zu miss-trauen, getrennt und distanziert zu leben, statt sich die Hand zu reichen und gemeinsam unterwegs zu sein. Im Namen Gottes erneuere ich noch einmal meinen Aufruf an all diejenigen, die in der Demokratischen Republik Kongo leben, ihre Arme nicht sinken zu lassen, sondern sich für den Aufbau einer besseren Zukunft einzusetzen. Eine Zukunft in Frieden wird nicht vom Himmel fallen, aber sie kann kommen, wenn man resignierten Fatalismus und die Angst, sich auf andere einzulassen, aus den Herzen verbannt. Eine andere Zukunft wird es geben, wenn sie allen gehört und nicht nur einigen, wenn sie für alle und nicht gegen einige ist. Es wird eine neue Zukunft geben, wenn der andere, egal ob Tutsi oder Hutu, nicht länger Gegner oder Feind ist, sondern ein Bruder und eine Schwester, denen man zutrauen muss, dass in ihrem Herzen, wenn auch versteckt, derselbe Wunsch nach Frieden vorhanden ist. Auch im Osten ist Friede möglich! Glauben wir daran! Lasst uns daran arbeiten, ohne den Wandel zu delegieren!
Man kann die Zukunft nicht aufbauen, wenn man in den eigenen Partikularinteressen verharrt, sich in die eigenen Gruppierungen, Ethnien und Clans zurückzieht. Ein Suaheli-Sprichwort lehrt: »jirani ni ndugu« [der Nachbar ist ein Bruder]; deshalb, Bruder, Schwester, sind alle deine Nachbarn deine Geschwister, egal ob sie Burundier, Ugander oder Ruander sind. Wir sind alle Geschwis-ter, weil wir Kinder desselben Vaters sind: Das lehrt uns der christliche Glaube, zu dem sich ein großer Teil der Bevölkerung bekennt. Deshalb soll sich der Blick zum Himmel erheben und dürfen wir nicht Gefangene der Angst bleiben: Das Böse, das ein jeder erlitten hat, muss in Gutes für alle verwandelt werden; die lähmende Entmutigung muss einem neuen Eifer weichen, einem unbeugsamen Kampf für den Frieden, mutigen Plänen der Geschwisterlichkeit und dem schönen gemeinsamen Ruf: Nie wieder: Nie wieder Gewalt, nie wieder Groll, nie wieder Resignation!
Und jetzt kommen wir endlich zu den beiden »Jas« für den Frieden. Zunächst einmal: Ja zur Versöhnung. Liebe Freunde, es ist wunderbar, was ihr vorhabt. Ihr wollt euch dazu verpflichten, euch gegenseitig zu verzeihen und Kriege und Konflikte abzulehnen, um Entfernungen und Unterschiede zu überwinden. Und ihr wollt das tun, indem ihr nachher gemeinsam um den Kreuzesbaum versammelt betet, zu dessen Füßen ihr mit großem Mut die Zeichen der Gewalt ablegen wollt, die ihr gesehen und erlitten habt: Uniformen, Macheten, Hämmer, Äxte, Messer… Auch das Kreuz war ein Instrument des Leidens und des Todes, das schrecklichste zur Zeit Jesu, aber durchdrungen von seiner Liebe ist es zu einem universalen Mittel der Versöhnung geworden, zu einem Lebensbaum.
Ich möchte euch sagen: Seid auch ihr Lebensbäume. Macht es wie die Bäume, die Schadstoffe absorbieren und Sauerstoff zurückgeben. Oder wie ein Sprichwort sagt: »Sei im Leben wie die Palme: Sie bekommt Steine und gibt Datteln zurück.« Das ist christliche Prophetie: Auf das Böse mit Gu-tem antworten, auf den Hass mit Liebe, auf die Spaltung mit Versöhnung. Der Glaube bringt eine neue Vorstellung von Gerechtigkeit mit sich, die sich nicht mit Bestrafung begnügt und auf Rache verzichtet, sondern versöhnen, neue Konflikte entschärfen, Groll auslöschen und vergeben will. Und all dies ist mächtiger als das Böse. Wisst ihr, warum? Weil es die Wirklichkeit von innen heraus verändert, anstatt sie von außen zu zerstören. Nur so wird das Böse besiegt, so wie es Jesus am Kreuzesbaum tat, indem er ihn auf sich nahm und mit seiner Liebe verwandelte. So hat sich der Schmerz in Hoffnung verwandelt. Freunde, nur die Vergebung öffnet die Tür zum Morgen, weil sie die Türen zu einer neuen Gerechtigkeit öffnet, die den Teufelskreis der Rache durchbricht, ohne zu vergessen. Sich zu versöhnen bedeutet, das Morgen zu schaffen: Es bedeutet, an die Zukunft zu glauben, statt in der Vergangenheit verankert zu bleiben; es bedeutet, auf den Frieden zu setzen, statt sich mit dem Krieg abzufinden; es bedeutet, aus dem Gefängnis der eigenen Logik auszubrechen, um sich für andere zu öffnen und gemeinsam die Freiheit zu kosten.
Dann das letzte, entscheidende »Ja«: Das Ja zur Hoffnung. Wenn man die Versöhnung als einen Baum darstellen kann, wie eine Palme, die Früchte trägt, dann ist die Hoffnung das Wasser, das sie gedeihen lässt. Diese Hoffnung hat eine Quelle und diese Quelle hat einen Namen, den ich hier mit euch gemeinsam ausrufen möchte: Jesus!
Jesus: Mit ihm hat das Böse nicht mehr das letzte Wort über das Leben; mit ihm, der aus einem Grab, dem Endpunkt der menschlichen Reise, den Anfang einer neuen Geschichte gemacht hat, eröffnen sich immer neue Möglichkeiten. Mit ihm kann sich jedes Grab in eine Wiege und jeder Kalvarienberg in einen Ostergarten verwandeln. Mit Jesus wird die Hoffnung geboren und wiedergeboren: für die, die Böses erlitten haben und sogar für die, die es begangen haben. Brüder und Schwestern aus dem Osten des Landes, diese Hoffnung ist für euch bestimmt, ihr habt ein Recht darauf. Aber es ist auch ein Recht, das erkämpft werden muss. Wie? Indem man sie jeden Tag geduldig aussät. Ich kehre zum Bild der Palme zurück. Ein Sprichwort sagt: »Wenn du die Nuss isst, siehst du die Palme, aber der, der sie gepflanzt hat, ist längst zur Erde zurückgekehrt.« Mit anderen Worten: Um die gewünschten Früchte zu erzielen, muss man im gleichen Geist wie die Palmenpflanzer arbeiten, indem man an die zukünftigen Generationen denkt und nicht an die unmittelbaren Ergebnisse. Das Gute zu säen tut gut: Es befreit uns von der kurzsichtigen Logik des persönlichen Gewinns und verleiht jedem Tag einen Sinn. Es bringt den Atem der Unentgeltlichkeit in unser Leben und macht uns Gott ähnlicher, dem geduldigen Sämann, der Hoffnung streut, ohne jemals müde zu werden.
Heute danke ich allen Friedensstiftern, die im Land arbeiten, und segne sie: Die Menschen und Institutionen, die ihr Möglichstes tun, um den Opfern der Gewalt, der Ausbeutung und der Naturkatastrophen zu helfen und für sie zu kämpfen, die Frauen und Männer, die hierherkommen, beseelt von dem Wunsch, die Würde der Menschen zu fördern. Einige haben ihr Leben verloren, während sie dem Frieden dienten, wie Botschafter Luca Attanasio, der Carabiniere Vittorio Iacovacci und der Fahrer Mustapha Milambo, die vor zwei Jahren im Osten des Landes ermordet wurden. Sie waren Sämänner der Hoffnung und ihr Opfer wird nicht umsonst gewesen sein.
Brüder, Schwestern, Söhne und Töchter von Ituri, von Nord- und von Süd-Kivu, ich bin euch nahe, ich umarme euch und segne euch alle. Ich segne jedes Kind, jeden Erwachsenen, jeden älteren Menschen, jede Person, die durch Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo verwundet wurde, besonders jede Frau und jede Mutter. Und ich bete dafür, dass die Frau, jede Frau, respektiert, geschützt und wertgeschätzt wird: Gewalt einer Frau und einer Mutter gegenüber auszuüben, bedeutet, sie Gott selbst anzutun, der das Menschsein von einer Frau, von einer Mutter angenommen hat. Möge Jesus euch alle segnen und trösten, unser Bruder, der Gott der Versöhnung, der den Lebensbaum des Kreuzes mitten in die Dunkelheit der Sünde und des Leidens gepflanzt hat, Jesus, der Gott der Hoffnung, der an euch, an euer Land und an eure Zukunft glaubt; möge er seinen Frieden in eure Herzen, in eure Familien und über die gesamte Demokratische Republik Kongo ausgießen. Danke!