Der Tod von Benedikt XVI., die Kritik, die in einigen Büchern der letzten Zeit geäußert wurde, die Homosexualität, die »kein Verbrechen ist«, seine »gute Gesundheit« trotz des Alters, die Beziehungen zu China, der Weg der deutschen Synode, die Missbrauchsaffäre des Jesuiten Marko Rupnik. In dem am 25. Januar veröffentlichten Interview mit der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) spricht der Papst viele aktuelle Themen an. Das Interview fand am 24. Januar im Gästehaus Santa Marta statt. Die Fragen stellte die Rom-Korrespondentin Nicole Winfield (AP).
Der Papst nennt Benedikt XVI. einen »Gentleman« und versichert, dass er mit seinem Tod »einen Vater verloren« habe: »Für mich war er eine Sicherheit. Wenn ich einen Zweifel hatte, forderte ich den Wagen an, ließ mich zum Kloster fahren und stellte ihm meine Fragen.« Erneut auf seinen möglichen Rücktritt angesprochen, sagt Franziskus, dass er in diesem Fall »emeritierter Bischof von Rom« sein und »im Priesterhaus in Rom leben« würde. Er fügt hinzu: »Die Erfahrung Benedikts bewirkt, dass ein neuer Papst zurücktreten kann, um sich mit größerer Freiheit integrieren zu können.« Franziskus erklärt, dass sein Vorgänger noch an eine andere Vorstellung vom Papsttum gebunden war: »Darin war er nicht ganz frei, denn vielleicht er hätte in seine Heimat nach Deutschland zurückkehren wollen, um sich dort weiter der Theologie zu widmen. Aber er tat alles in seiner Macht Stehende für eine möglichst große Nähe. Und das war ein guter Kompromiss, eine gute Lösung.«
Kritik
Der Papst denkt in dem Interview auch über sein eigenes Pontifikat nach, dessen 10. Jahrestag am kommenden 13. März ansteht. Zunächst, so erklärt er, sei die Nachricht von einem südamerikanischen Papst von vielen innerhalb und außerhalb der Kirche mit Überraschung zur Kenntnis genommen worden. Dann, so Franziskus, »sahen sie meine Schwächen und sie gefielen ihnen nicht«. Eine Frage galt der sich in letzter Zeit häufenden Kritik, zum Ausdruck gebracht in Form von Büchern oder von unter Pseudonymen verfassten Dokumenten, die unter den Kardinälen zirkulieren. Franziskus meinte dazu, dass es für ihn – wie für alle anderen – stets besser wäre, nicht kritisiert zu werden, »um den Seelenfrieden zu wahren«: »Kritik ist wie ein Juckreiz, ein bisschen läs-tig, aber ich bevorzuge es, weil das bedeutet, dass es Redefreiheit gibt.«
Wichtig sei, dass sie uns »ins Gesicht gesagt wird, denn so wachsen wir alle, nicht wahr?« Schlimmer sei es, »wenn es hinten herum geschehe«. Mit einigen Kritikern habe er persönlich gesprochen: »Einige sind gekommen, und ja, ich habe darüber diskutiert. Ganz normal, wie man sich zwischen erwachsenen Menschen unterhält. Ich habe mit niemandem gestritten, aber ich habe meine Meinung geäußert, und sie haben ihre geäußert. Andernfalls schafft man eine Diktatur der Distanz, wie ich es nenne, wo der Kaiser dort ist und ihm niemand etwas sagen kann. Nein, man soll es sagen, weil die Begleitung, die Kritik, dazu beiträgt, dass man wächst und dass die Dinge gut laufen.«
Homosexualität
Im Interview wurde Papst Franziskus dann zu Homosexualität – die, wie er betont, »kein Verbrechen«, sondern eine »menschliche Verfasstheit« ist – und den Rechten der LGBTQ-Gemeinschaft befragt: »Wir sind alle Kinder Gottes, und Gott will uns so, wie wir sind, und mit der Kraft, dass jeder von uns für seine Würde kämpft. Homosexuell zu sein ist kein Verbrechen«, sagte er.
Wie der Papst es häufig in seinen Predigten oder in Interviews tut, wenn er ein Gespräch zwischen zwei Menschen imitiert, wandte er ein, dass man sagen könne: »Es ist eine Sünde.« Franziskus stellt klar: »Wir müssen zunächst zwischen Sünde und Verbrechen unterscheiden. Es ist auch eine Sünde, es an Nächs-tenliebe fehlen zu lassen.« Dies ist das Stichwort für den Papst, um eine Kritik an Gesetzen zu äußern, die er als »ungerecht« bezeichnet und die Homosexualität kriminalisieren: »Ich glaube, es gibt mehr als 50 Länder, in denen sie gesetzlich verurteilt wird, und von diesen haben, glaube ich, mehr oder weniger zehn die Todesstrafe. Sie benennen es nicht direkt, aber sie sagen ›diejenigen, die ein unnatürliches Verhalten zeigen‹«. Sein Aufruf zu einem anderen Ansatz richtet sich auch an Bischöfe, die Homosexuelle und die LGBTQ-Gemeinschaft diskriminieren. In diesem Zusammenhang erinnert der Papst an den Katechismus der katholischen Kirche, in dem es heißt, dass »Menschen mit homosexuellen Tendenzen aufgenommen werden müssen und nicht zurückgesetzt werden dürfen, dass sie begleitet werden müssen, wenn man ihnen einen Platz gibt«. Niemand dürfe diskriminiert werden, betonte der Bischof von Rom. Und das betreffe nicht nur Homo-sexualität: »Selbst der größte Mörder, der größte Sünder darf nicht diskriminiert werden. Jeder Mann und jede Frau müssen ein Fenster in ihrem Leben haben, wohin sie ihre Hoffnung richten können und wo sie Gottes Würde sehen können.«
In dem Interview geht es ausführlich um das Thema Missbrauch durch Kleriker. Der Fall des Jesuiten Marko Rupnik kommt zur Sprache, ein bekannter Mosaikkünstler, der nun im Mittelpunkt von Anschuldigungen des sexuellen, psychologischen und des Gewissensmissbrauchs steht, erhoben von Ordensschwestern in Bezug auf Vorfälle vor etwa 30 Jahren in Slowenien und in jüngerer Zeit in Italien. Darauf angesprochen, sagte Papst Franziskus: »Für mich war das wirklich eine Überraschung. Ein Mensch und Künstler dieses Niveaus, das war für mich eine große Überraschung und ein Schmerz.«
Die Angelegenheit wurde von der Gesellschaft Jesu behandelt, während die Einleitung des Prozesses dem Rechtsbeauftragten der Dominikaner anvertraut wurde, erklärte der Papst. Er versicherte anschließend, dass er keine Rolle bei der Bearbeitung des Falles gespielt habe, sondern nur »in einen kleinen Prozess, mit dem die Kongregation für die Glaubenslehre in der Vergangenheit befasst war«, verfahrenstechnisch eingegriffen habe.
Missbrauchsverfahren
Franziskus erklärte, dass er veranlasst habe, dass die beiden Reihen von Anklagen von demselben Gericht behandelt werden sollten, das auch die ersten Anklagen geprüft hatte: »Es soll mit dem normalen Gericht weitergehen… Andernfalls werden die Verfahrenswege gespalten und alles gerät durcheinander.« Was die Tatsache anbelangt, dass der Vatikan in diesem Fall nicht auf die Verjährung verzichtet hat, stimmt der Papst zu, dass es richtig sei, in Fällen, in denen es um Minderjährige und »schutzbedürftige Erwachsene« geht, »immer« auf die Verjährung zu verzichten und stattdessen die traditionellen rechtlichen Garantien bei Fällen beizubehalten, in denen es um andere Erwachsene gehe, wie es bei Rupnik der Fall war. Der Papst ging dann auf die Arbeit der Kommission für den Schutz von Minderjährigen ein und erwähnte auch die diplomatische Tätigkeit des Heiligen Stuhls. In diesem Zusammenhang fand die Frage der Beziehungen zu China Erwähnung: »Wir müssen geduldig vorangehen.« Was mögliche Öffnungen angehe, würden »Maßnahmen ergriffen«. Die chinesischen Behörden »sind manchmal etwas verschlossen, manchmal nicht«. »Das Wichtigste ist, dass der Dialog nicht abgebrochen wird«, so der Papst abschließend. Über Kardinal Joseph Zen, den er am 6. Januar im Vatikan empfangen hat, sagt er, er sei »faszinierend«. Er übe seine Pastoral jetzt im Gefängnis aus. »Er ist den ganzen Tag im Gefängnis. Er ist mit den kommunistischen Aufsehern und den Gefangenen befreundet. Alle nehmen ihn gut auf. Er ist ein sehr freundlicher Mensch.« Er sei mutig, aber auch »eine zarte Seele«, denn wie ein Kind habe er vor der Statue der Muttergottes von Sheshan geweint, die er in der Wohnung in Santa Marta gesehen habe.
Synodaler Weg
In Bezug auf den deutschen Synodalen Weg, der Forderungen wie die Abschaffung des Priesterzölibats, das Frauenpries-tertum und andere mögliche liberalisierende Reformen vorbringt, warnt Franziskus, dass er Gefahr laufe, in schädlicher Weise »ideologisch« zu werden. Dialog sei gut, aber »die deutsche Erfahrung ist nicht hilfreich«, stellt der Papst fest und unterstreicht, dass der Prozess in Deutschland bisher von einer »Elite« geführt werde und nicht »das ganze Volk Gottes« einbeziehe. »Die Gefahr ist, dass etwas sehr, sehr Ideologisches hineinkommt. Wenn die Ideologie in die kirchlichen Prozesse eingreift, geht der Heilige Geist nach Hause, denn die Ideologie besiegt den Heiligen Geist.«
Im Interview wird auch die Gesundheit erwähnt. Eine Gesundheit, die Jorge Mario Bergoglio als »gut« bezeichnet, wenn man bedenke, dass er 86 Jahre alt sei und obwohl die Divertikulitis, wegen der er im Juli letzten Jahres am Dickdarm operiert wurde, »zurückgekehrt« sei: »Aber sie ist unter Kontrolle.« Der Papst erzählt auch von einer kleinen, durch einen Sturz verursachten Fraktur im Kniegelenk, die ohne Operation geheilt sei: »Das Knie. Dank einer guten Therapie, Magnet- und Lasertherapie, ist der Knochen zusammengewachsen… Ich laufe schon, ich helfe mir mit dem Wagen, aber ich laufe.« Seinem Alter entsprechend sei alles »normal«: »Ich kann auch morgen sterben. Ach komm, alles ist unter Kontrolle. Meine Gesundheit ist gut. Und ich bitte immer um die Gnade, dass der Herr mir einen Sinn für Humor schenken möge.«
Von Salvatore Cernuzio