FRAUEN KIRCHE WELT

Die erste, die den Auferstandenen verkündete - aber sie ist eine »verleumdete Heilige« (Ravasi)

Die Mühen der Magdalena

 Le fatiche della Maddalena  DCM-002
04. Februar 2023

»Sie werden mir zuhören«. So endet der jüngste Film über Maria von Magdala (2018), gedreht von Garth Davis, in dem eine großartige Rooney Mara eine Magdalena spielt, die trotz der unvermeidlichen, der Fiktion zuzuschreibenden Abweichung endlich wieder zur Wahrhaftigkeit der Berichte der Evangelien zurückkehrt. Nicht mehr Prostituierte, keine Büßerin mehr, sondern Jüngerin und Apostelin: »Sie werden mir zuhören«. Dass alle christlichen Kirchen der von Maria von Magdala geführten Gruppe galiläischer Jüngerinnen die erste Vermittlung der Verkündigung der Auferstehung Jesu zu verdanken haben, wird durch die Synoptischen Evangelien belegt.  Johannes seinerseits legt Wert darauf, Maria die privilegierte Rolle der ersten Zeugin und ersten Apostelin vorzubehalten, angesichts der Tatsache, dass der Auferstandene ihr den an die Gruppe aller anderen Jünger gerichteten apostolischen Auftrag erteilt, von dem die christliche Mission ausgehen wird. Es bleibt also ein offenes Problem, warum diese Frau, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem der vielen Dörfer stammte, die am See Gennesaret lagen, als »Apostelin der Apostel« anerkannt wird – was der Wahrheit entspricht -, hingegen aber nicht in vollem Umfang als »Apostelin Christi« verkündet wird, was noch zutreffender ist. Eines der zahlreichen Anzeichen für die Schwierigkeit, die von jeher mit der Aufarbeitung der Geschichte der Frauen Hand in Hand geht. Und das, obwohl das vierte Evangelium keinerlei Zweifel zulässt: Bei Maria geschieht dasselbe wie bei Paulus, insofern es der Auferstandene selbst ist, der seine Jüngerin damit beauftragt, Apostelin seiner Auferstehung zu sein.

Das, was den Jüngern nach seinem Tod und seiner Auferstehung widerfuhr, ist etwas, das nur näherungsweise rekonstruiert werden kann: die Evangelien sind ausgesprochen geizig mit Informationen, und auch die Apostelgeschichte erkennt nur Paulus als großen Protagonisten der christlichen Mission an, dank derer das Evangelium im Zentrum des Imperiums ankam, und sagt dagegen so gut wie gar nichts über alle anderen, noch nicht einmal über die Gruppe der Zwölf.  Man weiß allerdings, dass der Raum, der von Informationen freigelassen worden war, sogleich von einer blühenden Legendenbildung eingenommen wurde. Diese sind allerdings nie völlig ohne historische Grundlage, insofern sie um Kerne lebendiger Erinnerungen herum entstehen, die oft mit Personen und Orten verbunden sind, und entwickeln sich zu Traditionen, die sich verflechten und weiterentwickeln, die aber vor allem die Weitergabe der Identität der Gemeinschaften, aus denen sie hervorgegangen sind, gewährleisten. Die Wissenschaftler bezeichnen sie als »Wirkungsgeschichte«, es handelt sich dabei also um die unauslöschlichen Spuren, die die Weitergabe von Erinnerungen in kulturellen Prozessen hinterlässt, und es ist klar, dass sie mehr über diejenigen aussagen, die sie erzählen, als über diejenigen, über die sie erzählt werden.

Wenn es heute also Reisebüros gibt, die Provence-Touren organisieren, auf denen in zehn Etappen der Weg nachverfolgt wird, den Maria Magdalena zurücklegte, so deshalb, weil die ihr gewidmeten Überlieferungen tief im Leben jener südfranzösischen Region verwurzelt sind. Man denke etwa an den Text des Jacobus de Voragine (1228-1298), der an dem ihr gewidmeten Gedenktag eine „Pflichtlektüre« war – daher die Bezeichnung als »Legende« [lat. »etwas zu Lesendes«] – oder auch an Giottos Fresko in der Unterkirche der Basilika in Assisi: beide berichten, dass Magdalena zusammen mit Marta und anderen Jüngern, die vor der Verfolgung durch Herodes geflohen waren, wie durch ein Wunder in die Gegend um Marseille kamen, wo Maria sich einer intensiven Evangelisierungsarbeit widmete, die sie dreißig Jahre lang durchführte. So ist es auch nicht verwunderlich, dass seit dem Mittelalter eine ununterbrochene Wallfahrt zu der Höhle im Gebirge von Sainte Baume im Süden Frankreichs stattfindet, wo der Überlieferung nach die Reliquien der Jüngerin Jesu erhalten sein sollen. Kurzum, eine ganze europäische Region verdankt ihr Bekenntnis zum christlichen Glauben dieser kleinen Gruppe von Jüngern, unter denen Maria Magdalena hervorragte.

Nach und nach, als der zeitliche Abstand von den Evangelientexten wuchs, erweiterte sich das Profil der galiläischen Jüngerin auch um weitere Züge, die immer weniger mit ihrer Geschichte gemein hatten: sie wurde mit Maria von Bethanien oder gar mit der Mutter Jesu identifiziert, für eine sinnliche Prostituierte gehalten, was sich durch die ikonographische Tradition des lateinischen Westens zieht, und noch nicht einmal die Maßgeblichkeit von Kardinal Ravasi, der sie als »verleumdete Heilige« definiert hat, hat es vermocht, das aus der Vorstellung zahlreicher Katholiken zu tilgen. Sie umhüllte sich mit Charme und Geheimnis in der ihr zugeschriebenen Rolle als Ehefrau oder Konkubine - das spielt keine Rolle - Jesu und als Stammmutter der Merowinger. Die verkauften zweihundert Millionen Exemplare, die Dan Browns Thriller The Da Vinci Code zu einem Weltbestseller gemacht haben, sprechen Bände darüber, für was Frauen stehen müssen, um als Protagonistinnen der großen Geschichte anerkannt zu werden.

Papst Franziskus hat sie als »Apostelin der neuen und größten Hoffnung« definiert und hat ihren liturgischen Gedenktag, den die Kirche am 22. Juli feiert, in denselben Rang erhoben wie die Gedenktage der Apostel. Wieviel Zeit wird aber noch vergehen, bis Maria von Magdala auch in der kollektiven Vorstellung zu ihrer Geschichte als einer Frau im Gefolge Jesu zurückkehren kann, die hinging, um den Jüngern zu verkündigen: »›Ich habe den Herrn gesehen!‹ und um ihnen das zu sagen, was er ihr gesagt hatte« (Joh 20,18)?

Von Marinella Perroni
Bibelforscherin