Papst Benedikt XVI. – Ein großer Theologe und ein großer Denker

Dem von Gott kommenden Licht Raum geben

 Dem von Gott kommenden Licht Raum geben  TED-002
13. Januar 2023

Im Lauf seines gesamten Lebens – als Priester, Theologe, Erzbischof und dann als Papst – hat Joseph Ratzinger sich ausgezeichnet durch die klare und eindringliche Verkündigung des Wortes Gottes an die Welt unserer Zeit, im Dialog mit den Kulturen und mit tiefen Gedanken, die er für alle verständlich auszudrücken wusste. Sein Pontifikat ist vor allem geprägt vom Reichtum seines Lehramtes, mit dem er Gott in der heutigen Welt gegenwärtig machen wollte, indem er Christus in den Mittelpunkt seiner Reflexionen stellte und verständlich zu machen suchte, dass das Christentum auch für den Mann und die Frau von heute eine frohe Botschaft ist.

Ansehen und Autorität

Mir ist noch in lebendiger Erinnerung die Entschlossenheit, mit der Papst Johannes Paul II. Kardinal Ratzinger als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre nach Rom holen wollte. Ich erinnere mich, wie der Papst mich gemeinsam mit dem damaligen Substituten im Staatssekretariat, dem späteren Kardinal Eduardo Martínez Somalo, zum Abendessen eingeladen hatte und uns mitteilte, dass er an den damaligen Erzbischof von München und Freising in Bayern, Kardinal Joseph Ratzinger, als Nachfolger von Kardinal Šeper gedacht habe, der aus Altersgründen sein Rücktrittsgesuch vom Amt des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre eingereicht hatte. Er erläuterte uns, dass er ihn aus drei Gründen für am geeignetsten hielt: Er ist ein großer Theologe, der aufgrund seiner Veröffentlichungen weltweit Ansehen und Autorität genießt. Er ist sicher in der Lehre der Kirche, so dass er die Klarstellung der Lehre gegenüber irrigen Abweichungen vornehmen kann. Er hat als Peritus am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen und kennt dessen Lehren daher sehr gut.

Angesichts dieses Vorschlags eines Wechsels nach Rom gab Kardinal Ratzinger zu bedenken, dass er erst seit kurzem Erzbischof von München und Freising war und gerade erst einige Initiativen eingeleitet hatte. Trotz dieser Zweifel Kardinal Ratzingers zögerte Papst Johannes Paul II. nicht: Er entschied, dass Kardinal Šeper seinen Dienst noch ein Jahr fortsetzen sollte, und ließ Kardinal Ratzinger wissen, dass er ihm ein weiteres Jahr für seinen seelsorglichen Dienst in Bayern einräumte.

In Rom gab es dann eine intensive Zusammenarbeit zwischen Papst Johannes Paul II. und Kardinal Ratzinger, sowohl in Bezug auf Fragen, die in die direkte Zuständigkeit der Glaubenskongregation fielen, als auch in anderen Fällen, in denen der Papst ihn um seine Meinung und Mitarbeit bat. Zwischen dem Papst und dem Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre herrschte immer eine hohe gegenseitige Wertschätzung,
volle Übereinstimmung und eine wahre Freundschaft. Ich würde auch sagen, dass eine wechselseitige Bewunderung vorhanden war.

Als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, nahm er den Namen Benedikt XVI. an und bezeichnete sich auf der Loggia des Petersdoms als »einfacher und bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn«. Mit seinem sanftmütigen Stil, seinem gütigen Blick und der Tiefe seines Denkens gewann er sofort Zustimmung und Sympathie.

Besonders kennzeichnend war für ihn, dass er als Papst einen Glauben vertrat, der zutiefst mit der Vernunft in Einklang stand, weil der Glaube der Vernunft hilft, die Grenzen der menschlichen Intelligenz zu überwinden. Sein gesamtes Pontifikat war darauf ausgerichtet, den Glauben der Christen an Gott neu zu beleben und zu stärken. Er bemühte sich, Gott den Menschen näherzubringen und die Menschen näher zu Gott zu bringen. Bei verschiedenen Anlässen erinnerte er uns daran, dass unsere Welt nur dann wahrhaft menschlich sein kann, wenn die Sonne Gottes ihren Horizont erhellt, weil der Mensch nur in Gott die Erklärung für das Geheimnis finden kann, das er sich selbst ist, und weil er nur in Gott eine angemessene Antwort auf seine Sehnsucht nach Glück findet. Wenn der Mensch Gott vergisst, wird er sich selbst zu einem unlösbaren Rätsel. Ohne Gott kann der Mensch sich nicht selbst verwirklichen oder die Gesellschaft verbessern. Ohne Gott hat der Mensch keine Zukunft. Zugleich hat Papst Benedikt XVI. sich bemüht, die Vernunft aufzuwerten und ihren Horizont zu erweitern, in der tiefen Überzeugung, dass »die Welt der Vernunft und die Welt des Glaubens einander brauchen«. Er hat in zahlreichen theologischen Beiträgen die enge Verbindung zwischen Vernunft
und Glaube immer tiefer zu verdeutlichen gewusst.

Geschenk seiner Lehre

Die acht Jahre des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. werden aufgrund der Höhe seiner Lehre in seinen drei Enzykliken, seinen zahlreichen Schriften, Dokumenten und Ansprachen in die Geschichte eingehen. Er hat sich auf der Ebene des Denkens und des Gewissens als Protagonist erwiesen, in dem Bemühen, allen Menschen zu helfen, dem von Gott kommenden Licht Raum zu geben, das dem menschlichen Dasein einen Sinn gibt. Seine entschiedene Ablehnung der »Diktatur des Relativismus« ist ebenso bekannt wie seine kontinuierliche Bekräftigung der moralischen Werte, wobei er sich auf das Naturrecht stützte, das in das Herz jedes Mannes und jeder Frau eingeschrieben ist. Zu allen großen kulturellen, moralischen und existenziellen Fragen, die unsere Zeit bewegen, hat er sich geäußert und wurde auch von Menschen gelesen und gehört, die der katholischen Kirche fernstanden, denn er war nicht nur ein großer Theologe, sondern auch ein großer Denker. Er hat sich bemüht, unsere moderne Welt zu verstehen, in der die Menschen – wie er in Caritas in veritate feststellt – durch die Globalisierung eine größere Nähe zueinander haben, es aber keineswegs mehr Geschwisterlichkeit gibt.

Seine Entscheidung, »die erhabnen Schlüssel« (Dante) niederzulegen, hat alle überrascht. Diese Geste ist aufgrund des hohen Verantwortungsbewusstseins, das ihr zugrunde liegt, zu würdigen und zu bewundern. Nachdem Benedikt lange nachgedacht und gebetet hatte, kam er zu der Überzeugung, dass die Kirche in jenem Augenblick einen Papst mit ausreichend Energie brauchte, die er selbst nicht mehr hatte. Deshalb hat er zum Wohl der Kirche und aus Liebe zur Kirche diesen schwierigen Schritt getan. So zog er sich zurück, um sich – wie Mose auf dem Berg – dem Dienst des Gebets und der Fürbitte bei Gott für die Kirche und die Menschheit zu widmen.

Zu seinen Verdiensten gehört auch, dass er uns verständlich gemacht hat, was es bedeutet zu glauben, und welche Freude es ist, Christ zu sein. Über seinen nahenden Tod schrieb er in einem Brief im Februar letzten Jahres: »Im Blick auf die Stunde des Gerichts wird mir so die Gnade des Christseins deutlich. Es schenkt mir die Bekanntschaft, ja, die Freundschaft mit dem Richter meines Lebens und läßt mich so zuversichtlich durch das dunkle Tor des Todes hindurchgehen.«

Wir können ihm nur dankbar sein für das Geschenk seines Zeugnisses und seiner wunderbaren Lehre, die sicherlich auch weiterhin den Weg der Kirche und der Menschheit erleuchten werden.

Von Kardinaldekan Giovanni Battista Re