Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria am Donnerstag, 8. Dezember

Unsere ursprüngliche Schönheit

A handout picture provided by the Vatican Media shows Pope Francis delivering the Angelus prayer in ...
23. Dezember 2022

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag und ein schönes Fest!

Das Evangelium des heutigen Hochfestes führt uns in das Haus Marias ein, um uns von der Verkündigung zu erzählen (vgl. Lk 1,26-38). Der Engel Gabriel grüßt die Jungfrau folgendermaßen: »Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir« (V. 28). Er nennt sie nicht bei ihrem Namen, Maria, sondern bei einem neuen Namen, den sie noch nicht kannte: voll der Gnade. Voller Gnade und daher frei von Sünde ist der Name, den Gott ihr gibt und den wir heute feiern.

Aber denken wir an Marias Erstaunen: erst da entdeckte sie ihre wahre Identität. Indem Gott sie bei diesem Namen nennt, offenbart er ihr sein größtes Geheimnis, von dem sie vorher nichts gewusst hatte. Etwas Ähnliches kann auch uns widerfahren. In welchem Sinne? In dem Sinne, dass auch wir Sünder eine ursprüngliche Gnade erhalten haben, die unser Leben erfüllt hat, ein größeres Gut als alles andere, wir haben eine ursprüngliche Gnade erhalten. Wir reden viel über die Erbsünde, aber wir haben auch eine ursprüngliche Gnade empfangen, derer wir uns oft nicht bewusst sind.

Worum handelt es sich dabei? Was ist diese ursprüngliche Gnade? Es ist das, was wir am Tag unserer Taufe empfangen haben, und deshalb ist es gut für uns, uns daran zu erinnern und es auch zu feiern! Ich stelle eine Frage. Diese am Tag der Taufe empfangene Gnade ist wichtig, aber wie viele von euch erinnern sich an das Datum ihrer Taufe? Denkt darüber nach. Und wenn ihr euch nicht daran erinnert, dann fragt auf dem Nachhauseweg euren Paten, eure Patin, euren Vater oder eure Mutter: »Wann bin ich getauft worden?« Denn dieser Tag ist der Tag der großen Gnade, eines Neubeginns des Lebens, einer ursprünglichen Gnade, die wir haben. Gott ist an diesem Tag in unser Leben gekommen, wir sind für immer seine geliebten Kinder geworden. Das ist unsere ursprüngliche Schönheit, über die man sich freuen soll! Heute führt uns Maria, überrascht von der Gnade, die sie vom ersten Augenblick ihres Lebens an schön gemacht hat, zum Staunen über unsere Schönheit. Wir können sie mit Hilfe eines Bildes begreifen: jenem des weißen Taufkleides. Es erinnert uns daran, dass unter dem Bösen, mit dem wir uns im Lauf der Jahre befleckt haben, ein größeres Gut in uns ist als all das Böse, das uns widerfahren ist. Hören wir auf sein Echo, hören wir, wie Gott uns sagt: »Sohn, Tochter, ich liebe dich und bin immer bei dir, du bist mir wichtig, dein Leben ist kostbar«. Wenn die Dinge nicht gut laufen und wir entmutigt sind, wenn wir niedergeschlagen sind und Gefahr laufen, uns nutzlos oder falsch zu fühlen, sollten wir hieran denken, an diese ursprüngliche Gnade. Gott ist mit uns, Gott ist seit diesem Tag mit mir. Lasst uns erneut darüber nachdenken.

Heute lehrt uns das Wort Gottes eine weitere wichtige Sache: dass die Bewahrung unserer Schönheit einen Preis hat, einen Kampf erfordert. In der Tat zeigt uns das Evangelium den Mut Marias, die zu Gott »Ja« gesagt hat, die das Risiko Gottes gewählt hat; und der Abschnitt aus der Genesis über die Erbsünde berichtet uns von einem Kampf gegen den Versucher und seine Versuchungen (vgl. Gen 3,15). Aber wir alle wissen auch aus Erfahrung: es kostet Mühe, das Gute zu wählen; es kostet Mühe, das Gute in uns zu bewahren. Denken wir daran, wie oft wir es vergeudet haben, indem wir den Verlockungen des Bösen nachgegeben haben, indem wir zugunsten unserer eigenen Interessen clever waren oder etwas getan haben, das unser Herz verschmutzt hat; oder auch indem wir unsere Zeit mit nutzlosen und schädlichen Dingen vergeudet haben, indem wir das Gebet aufgeschoben oder zu denen, die uns brauchten, gesagt haben: »ich kann nicht«, obwohl wir sehr gut konnten.

Aber angesichts all dessen haben wir heute eine gute Nachricht: Maria, das einzige sündlose menschliche Geschöpf der Geschichte, ist mit uns im Kampf, sie ist unsere Schwester und vor allem unsere Mutter. Und wir, die wir Mühe haben, das Gute zu wählen, können uns ihr anvertrauen. Indem wir uns der Muttergottes anvertrauen und weihen, sagen wir zu ihr: »Halte mich an der Hand, Mutter, führe mich du: mit dir werde ich im Kampf gegen das Böse mehr Kraft haben, mit dir werde ich meine ursprüngliche Schönheit wiederentdecken«. Vertrauen wir uns heute, jeden Tag, Maria an und wiederholen wir ihr: »Maria, ich vertraue dir mein Leben, meine Familie, meine Arbeit an, ich vertraue dir mein Herz und meine Kämpfe an. Ich weihe mich dir«. Möge die Unbefleckte Empfängnis uns helfen, unsere Schönheit vor dem Bösen zu bewahren.

Nach dem Angelus sagte der Papst im Rahmen seiner Grüße an die Pilger :

Heute Nachmittag werde ich mich nach Santa Maria Maggiore begeben, um vor der »Salus Populi Romani« zu beten, und im Anschluss daran zur Piazza di Spagna, um den traditionellen Akt der Huldigung und des Gebets zu Füßen des Denkmals der Unbefleckten Empfängnis zu vollziehen. Ich bitte euch, euch mir in geistiger Weise bei dieser Geste anzuschließen, die unsere kindliche Verehrung für unsere Mutter zum Ausdruck bringt, deren Fürsprache wir den universellen Wunsch nach Frieden anvertrauen, insbesondere für die gequälte Ukraine, die sehr leidet. Ich denke an die Worte des Engels an die Jungfrau: »Für Gott ist nichts unmöglich« (Lk 1,37). Mit Gottes Hilfe ist Friede möglich; Abrüstung ist möglich. Aber Gott will unseren guten Willen. Möge die Gottesmutter uns helfen, uns zu den Plänen Gottes zu bekehren.

Ich wünsche allen einen gesegneten Feiertag und einen guten Weg durch den Advent; allen, die hier sind, besonders den Jugendlichen der Unbefleckten Empfängnis, deren Festtag heute ist. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Gesegnete Mahlzeit und auf Wiedersehen!