Gedanken zum Sonntag - 4. Dezember: Zweiter Advent

Zeit der Erwartung

 Zeit der Erwartung  TED-048
02. Dezember 2022

Der Advent ist in seiner römischen Tradition eine Zeit der freudigen Erwartung. Gerade in der Schlichtheit der Gottesdienste strahlt eine Schönheit auf, die seit jeher die Herzen der Menschen berührt. Ähnlich verhält es sich mit dem Brauchtum, das diese Zeit der Erwartung prägt. Weil es im beginnenden Winter draußen weniger zu tun gab, konnte die adventliche Tradition kostbare Formen ausprägen, die noch heute in der Lage sind, nach innen hin aufmerksam werden zu lassen.

An diesem zweiten Adventssonntag nun ergibt es sich, dass die Botschaft der Liturgie und einer der bekanntesten Bräuche im Advent einander begegnen. In der ersten Lesung hören wir von der großen Vision des Friedens. Der Schalom Gottes, jener Friede, der von innen her den Menschen und seine Beziehungen trägt, wird einmal die ganze Schöpfung umfassen. Was zu allen Zeiten und so auch heute in unserer Welt wie eine heillos idealistische Utopie klingen muss, beginnt doch im Kleinen und Unscheinbaren. Ein Baumstumpf beginnt wieder auszutreiben, ein zartes Grün macht sichtbar: was
eigentlich tot und nutzlos erscheint, trägt doch die Kraft des Lebens in sich. So wie die Zweige, die wir an diesem Tag im Gedenken an die Märtyrerin Barbara ins Wasser tauchen, in der Erwartung, dass an ihnen mitten im Winter die Hoffnung auf neues Leben ein zartes Grün, und vielleicht eine strahlende Blüte tragen wird. Ganz und gar nicht
zart erscheint Johannes der Täufer am Ufer des Jordan. Weder sein Äußeres noch seine Botschaft lassen die Menschen kalt. Im Gegenteil, gerade weil er von sich weg auf einen anderen verweist, und gerade weil er die Dinge, die im zivilen und religiösen Miteinander schief liegen, beim Namen nennt, ist er glaubwürdig und zieht die Leute in Scharen an. Er fordert von allen ausnahmslos Umkehr. Aber die ereignet sich nicht in großartigen Strategien und trägt nicht schon am Beginn, im Vorsatz dazu, die zu erwartenden Früchte. Die Umkehr beginnt im kleinen, unscheinbaren Raum meines Herzens, der sich berühren und erfüllen lässt von der Hoffnung auf den Schalom Gottes. Der Friede, der zunächst in meiner winterlichen Erstarrtheit zart und grün zu leben beginnt, der um ein Jenseits weiß hinter den Hindernissen und Weglosigkeiten, die Versöhnung so schwer machen. Wie am Barbaratag der dürre Zweig ins Wasser getaucht wird, so taucht Johannes die Menschen im Wasser des Jordans in einen neuen Aufbruch hinein. Und verweist so auf den, der kommt, um, wie es der Apostel Paulus im Römerbrief schreibt, uns anzunehmen, damit wir einander annehmen können.

Michael Max,

Rektor des Päpstlichen Kollegs
Santa Maria dell’Anima in Rom