Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Ich bedanke mich bei Kardinal Ladaria für seine freundlichen Worte und möchte euch allen meine Dankbarkeit für die Großherzigkeit, Kompetenz und Leidenschaft zum Ausdruck bringen, mit denen ihr in diesem zehnten Quinquennium der Tätigkeit der Internationalen Theologischen Kommission euren Dienst aufgenommen habt.
Dank der Mittel, über die wir heute verfügen, habt ihr eure Arbeiten aus der Distanz beginnen und so die noch von der Pandemie verursachten Schwierigkeiten überwinden können. Und ich freue mich auch über die bereitwillige Annahme der drei Vorschläge von zu vertiefenden Themen: Das erste Thema ist die unverzichtbare und stets fruchtbare Aktualität des christologischen Bekenntnisses des Konzils von Nicäa, zum 1.700. Jahrestag seiner Abhaltung (325-2025). Das zweite ist die Untersuchung einiger aktuell auftauchender anthropologischer Fragen, die im Licht des göttlichen Heilsplanes von entscheidender Bedeutung für den Weg der Menschheitsfamilie sind. Das dritte ist die – heute immer dringender und wichtiger werdende – Vertiefung der Theologie der Schöpfung unter trinitarischem Blickwinkel, im Hören auf den Schrei der Armen und der Erde.
Durch die Behandlung dieser Themen setzt die Internationale Theologische Kommission ihren Dienst mit erneuertem Engagement fort. Ihr seid aufgerufen, dies zu tun auf dem vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgezeichneten Weg, das auch 60 Jahre nach Beginn der sichere Kompass für die Kirche bleibt, die »in Christus gleichsam das Sakrament […] für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« ist (Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 1).
Ich möchte euch drei richtungsweisende Leitlinien für diesen historischen Augenblick aufzeigen, der mühevoll ist, jedoch für den Blick des Glaubens auch erfüllt von der Verheißung und der Hoffnung, die vom Pascha des gekreuzigten und auferstandenen Herrn ausgehen.
Kreative Treue
zur Tradition
Die erste Leitlinie ist die kreative Treue zur Tradition. Es geht darum, die Verpflichtung zur Ausübung des theologischen Dienstes – im Hören auf das Wort Gottes, auf den sensus fidei des Gottesvolkes, das Lehramt und die Charismen sowie in der Unterscheidung der Zeichen der Zeit für den Fortschritt der apostolischen Überlieferung unter dem Beistand des Heiligen Geistes, wie Dei Verbum lehrt (vgl. Nr. 8) – voller Glauben und Liebe anzunehmen und sie mit Sorgfalt und Offenheit zu erfüllen. Benedikt XVI. beschreibt die Tradition als »den lebendigen Fluss, in dem die Ursprünge stets gegenwärtig sind« (Katechese, 26. April 2006). Auf diese Weise »bewässert [dieser Fluss] unterschiedliche Länder, speist unterschiedliche geographische Zonen und lässt das Beste jenes Landes, das Beste jener Kultur aufkeimen. Auf diese Weise nimmt das Evangelium auch weiterhin in allen Teilen der Erde Gestalt an, auf immer neue Weise« (Apostolische Konstitution Veritatis gaudium, 4d).
Die Tradition, der Ursprung des Glaubens, der entweder wächst oder erlöscht. Denn, so hat einmal jemand gesagt – ich glaube, es war ein Musiker –, die Tradition ist die Garantie für die Zukunft und kein Ausstellungsgegenstand im Museum. Das ist es, was die Kirche von unten nach oben wachsen lässt wie den Baum: die Wurzeln. Ein Anderer hat außerdem gesagt, dass der Traditionalismus der »tote Glaube der Lebenden« sei: wenn du dich verschließt. Die Tradition – das möchte ich betonen – lässt uns in diese Richtung gehen: von unten nach oben, vertikal. Heute gibt es eine große Gefahr, und zwar, in eine andere Richtung zu gehen: die »Rückwärtsgewandtheit«. Zurück gehen. »Das wurde immer so gemacht«: Es ist angeblich besser zurückzugehen, das sei sicherer, und nicht mit der Tradition voranzugehen. Diese horizontale Dimension haben wir gesehen; sie hat einige Bewegungen, kirchliche Bewegungen veranlasst, in einer Zeit stehenzubleiben, in einem Rückwärts. Das sind die Rückwärtsgewandten. Ich denke – um ein historisches Beispiel zu nennen – an gewisse Bewegungen, die am Ende des Ersten Vatikanum entstanden sind, weil sie der Tradition treu bleiben wollten, und so entwickeln sie sich heute in der Weise, dass sie Frauen weihen, und anderes, außerhalb dieser vertikalen Richtung, wo es wächst, das moralische Bewusstsein wächst, das Glaubenswissen wächst, nach jener schönen Regel von Vincenz von Lérins: »ut annis consolidetur, dilatetur tempore, sublimetur aetate«. Das ist die Regel des Wachstums. Die Rückwärtsgewandtheit dagegen führt dich dazu zu sagen, dass »es immer so gemacht wurde und es besser ist, so weiterzumachen«, und das lässt dich nicht wachsen. Über diesen Punkt solltet ihr Theologen ein wenig nachdenken, wie man da helfen kann.
Offenheit für den Beitrag wissenschaftlicher Disziplinen
Die zweite Linie betrifft die Möglichkeit, sich mit besonnener Klugheit dem Beitrag der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu öffnen durch die Konsultation auch nicht-katholischer Experten, wie das die Statuten vorsehen (vgl. Nr. 10), um relevant und wirksam das Werk der Vertiefung und Inkulturation des Evangeliums umzusetzen. Wie ich es in der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium gewünscht habe, handelt es sich darum, das »Prinzip der Interdisziplinarität« zu beherzigen, »nicht so sehr in der ›schwachen‹ Form einer einfachen Multidisziplinarität im Sinne eines Ansatzes, der einen Forschungsgegenstand zur besseren Erfassung unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht, sondern vielmehr in der ›starken‹ Form der Transdisziplinarität, bei der alles Wissen in den Raum des ›Lichts und Lebens‹, den die von der Offenbarung herkommende Weisheit bietet, gestellt wird und von diesem durchdrungen wird« (Nr. 4c).
Kollegialität im Kontext des synodalen Prozesses
Die dritte Leitlinie schließlich ist Kollegialität. Diese erhält besondere Bedeutung und kann einen besonderen Beitrag anbieten im Kontext des synodalen Prozesses, zu dem das ganze Volk Gottes gerufen ist. Das wird unterstrichen in dem diesbezüglich im vergangenen Quinquennium erarbeiteten Dokument über Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche: »Wie es bei allen christlichen Berufungen der Fall ist, ist der Dienst der Theologen personal, aber auch gemeinschaftlich und kollegial. Die kirchliche Synodalität verpflichtet also die Theologen, Theologie in synodaler Form zu betreiben und fördert so unter ihnen die Fähigkeit, zuzuhören, Dialog zu führen, zu unterscheiden und die Vielheit der Anliegen und Beiträge einzubeziehen« (Nr. 75).
Die Theologen müssen weitergehen, sich bemühen weiterzugehen. Aber das möchte ich von den Katecheten abgrenzen: Der Katechet muss die rechte Lehre weitergeben, die solide Lehre, nicht eventuelle Neuheiten, von denen einigen gut sind, sondern das, was solide ist. Der Katechet gibt die solide Lehre weiter. Der Theologe riskiert es, weiter zu gehen, und das Lehramt wird es sein, das ihn stoppt. Aber die Berufung des Theologen ist immer, das Risiko des Darüber-Hinaus einzugehen, weil er auf der Suche ist, weil er danach sucht, die Theologie besser zu präzisieren. Aber niemals Kindern und Gläubigen Katechese erteilen mit neuen Lehren, die nicht sicher sind. Das ist nicht meine Unterscheidung, sie ist vom heiligen Ignatius von Loyola, der, so glaube ich, das verstanden hat; besser als ich.
Geist des gegenseitigen
Zuhörens und des Dialogs
Ich wünsche euch also in diesem Geist des gegenseitigen Zuhörens, des Dialogs und der gemeinsamen Unterscheidungsfindung, in der Offenheit für die Stimme des Heiligen Geistes, eine ruhige und fruchtbringende Arbeit. Die eurer Aufmerksamkeit und Fachkenntnis anvertrauten Themen sind von großer Bedeutung in dieser neuen Etappe der Verkündigung des Evangeliums, die der Herr uns zu leben aufruft als Kirche im Dienst an der universalen Geschwisterlichkeit in Chris-tus. Sie fordern uns auf, uns ganz den Blick des Jüngers zu eigen zu machen, der mit immer neuem Staunen erkennt, dass Christus »in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund macht und ihm seine höchste Berufung erschließt« (Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 22). Und so lehrt er uns, dass »das Grundgesetz der menschlichen Vervollkommnung und deshalb auch der Umwandlung der Welt das neue Gebot der Liebe ist« (ebd., 38). Und ich habe das Wort »Staunen« verwendet. Ich denke, dass es wichtig ist, vielleicht nicht so sehr für die Forscher, aber sicherlich für die Theologieprofessoren: sich fragen, ob die Theologievorlesungen Staunen bei denen hervorrufen, die daran teilnehmen. Das ist ein schönes Kriterium, es kann helfen.
Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch für euren wertvollen, wirklich wertvollen Dienst. Von Herzen segne ich einen jeden von euch und eure Mitarbeiter. Und ich bitte euch, für mich zu beten.
Ich glaube, dass es vielleicht wichtig wäre, die Zahl der Frauen zu erhöhen, nicht weil sie in Mode sind, sondern weil sie ein anderes Denken haben als die Männer und die Theologie zu etwas Tieferem und auch »schmackhafter« machen. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 24.11.2022)