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FRAUEN KIRCHE WELT

Im Islam

Ein Name, der verbindet

 Un nome   che unisce  DCM-011
03. Dezember 2022

Maria führt in der christlichen Welt die Titel Muttergottes, Jungfrau, Unbefleckte Empfängnis, In-den-Himmel-Aufgenommene, Heilige, Allerseligste, und ihre große Bedeutung in den Köpfen und Herzen der Christen ist evident. Die Kunst und die Spiritualität zehren seit zweitausend Jahren von ihrer Schönheit.

Was aber erstaunt, ist ihre Verehrung durch die Muslime in aller Welt und ihre außergewöhnliche, um nicht zu sagen einzigartige Präsenz im heiligen Text, dem Koran.

Es gibt in Asien, in Afrika, auf anderen Kontinenten sowohl bei den Sunniten als auch bei den Schiiten Hunderte nach Maria benannter Moscheen. In Pakistan findet jedes Jahr eine Wallfahrt statt, an der Hunderttausende von Männern und Frauen, Junge und Alte, Christen, Muslime und Hindus teilnehmen, die sich aus Anlass des Festes der Geburt der Jungfrau am 8. September in das Heiligtum von Mariamabad, der Stadt Mariens, begeben, Schulter an Schulter, und gemeinsam singen, tanzen und beten.

Während des Geburtsvorgangs lesen die muslimischen Frauen Kap. 19 des Korans, das nach Maria benannt ist und von ihr spricht. Tausende und Abertausende muslimischer Mädchen heißen Maryam, so Marias Name auf Arabisch.

Die Schönheit und die Reinheit Marias war für Dutzende und Aberdutzende persischer bzw. arabischer Dichter der Anlass zur Abfassung von Gedichten.

Rumi, der große persische mystische Dichter des 13. Jahrhunderts präsentiert Maria als das Licht, dem es zu folgen gilt, er vergleicht im Buch Von Allem und EinemFihi mâ fihi«) ihre Schmerzen während der Geburt, als sie sich verzweifelt und verlassen fühlte, mit dem Schmerz der Seele auf dem geistlichen Weg der Gottessuche in den folgenden Worten:

»Der Körper gleicht Maria. Ein jeder von uns hat Jesus in sich, aber bis wir diesen Schmerz nicht in uns verspürt haben, kommt unser Jesus nicht zur Welt. Wenn dieser Schmerz niemals kommt, dann kehrt Jesus auf demselben verborgenen Weg, auf dem er gekommen ist, zu seinen Ursprüngen zurück und lässt uns trostlos und ohne auch nur den geringsten Anteil an ihm zurück.«

Der koranischen Erzählung zufolge hat Maria blutjung das Licht gewählt: »Gedenke im Buch der Maria: Da sie vor ihren Leuten sich an einen Ort im Osten zurückzog«, sharqiyyan (شَرْقِيًّا) (Koran 19,16).

Das Wort sharqi heißt soviel wie Osten. Und Marias Osten ist ihr verborgenes Herz; in der Überlieferung heißt es, dass das Herz des Gläubigen der Thron Gottes ist, Maria ist ein Geheimnis Gottes, und Gott ist ihr Geheimnis.

Nachdem sie ihren Weg gewählt hat, errichtet sie für eine Zeit lang ihre innere Burg, um über das Licht in ihrem Inneren zu meditieren und es auszukosten: »Sie schirmte sich vor ihnen ab« (Koran 19,17). Um über die Ewigkeit nachzudenken und ihrem geliebten Herrn zu begegnen, in einer ihrer allerschönsten Formulierungen: »Allahs sind die schönsten Namen; so ruft Ihn damit an« (Koran 7, 180).

»Er ist Allah, außer dem es keinen Gott gibt, der Kenner des Verborgenen und des Offenbaren. Er ist der Allerbarmer und Barmherzige. Er ist Allah, außer dem es keinen Gott gibt, der König, der Heilige, der Friede, der Gewährer der Sicherheit, der Wächter, der Allmächtige, der Gewalthaber, der Stolze. Preis sei Allah! (Und Erhaben ist Er) über das, was sie (Ihm) beigesellen. Er ist Allah, der Schöpfer, der Erschaffer, der Gestalter. Sein sind die schönsten Namen. Ihn preist (alles), was in den Himmeln und auf der Erde ist. Und Er ist der Allmächtige und Allweise« (Koran 59, 22-24).

Heute ist Maria mehr denn je das brennende Licht der Einheit zwischen Christen und Muslimen.

Wir erleben derzeit einen ganz besonderen historischen Augenblick: einerseits ist die Erde zum globalen Dorf geworden, andererseits nimmt das Ungleichgewicht bei der Verteilung der Ressourcen immer weiter zu. Papst Franziskus sagt in der Ansprache an die Teilnehmer der Konferenz »Perspektiven für eine Welt ohne Atomwaffen und eine ganzheitliche Abrüstung« vom 10. November 2017: »Die internationalen Beziehungen dürfen nicht von militärischer Macht, von gegenseitigen Einschüchterungen, von der Zurschaustellung des Waffenarsenals beherrscht werden. Vor allem atomare Massenvernichtungswaffen vermitteln lediglich ein trügerisches Gefühl von Sicherheit und können nicht die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben der Glieder der Menschheitsfamilie sein, das dagegen inspiriert sein muss von einer Ethik der Solidarität.«

Angesichts dieses Abgrunds ist Maria in Wahrheit die mächtigste Waffe der Einheit und des Friedens, die dafür brennt, den Weg der Mitglieder der Menschheitsfamilie zu erleuchten und die ein Ethos der Solidarität inspiriert. Sie ist sowohl für die Muslime als auch für die Christen die Mutter Jesu Christi, der durch ein direktes Eingreifen des Heiligen Geistes geboren wurde, sie ist Jungfrau auch dem Koran zufolge, sie ist für alle Menschen aller Zeiten das konkrete Vorbild des Glaubens und der Treue (Koran 66, 12). Sie ist selig, heilig, frei, Unbefleckte Empfängnis, Lehrerin des Propheten ihrer Zeit, Zacharias (Koran 3, 37).

Im ganzen heiligen Text der Muslime ist sie die einzige Frau, die genannt wird! Ein Geheimnis, das vielleicht gerade für unsere Zeiten bewahrt wurde, man könnte sagen eine Art von Marienerscheinung im Koran.

Die überaus bedeutsame, auf Maria bezogene Stelle im Koran, wo sie als brennendes Licht der Einheit bezeichnet wird, ist jene, wo sie als Vorbild für alle Gläubigen aller Zeiten präsentiert wird. Eine Frau! Maria! Und der Koran erläutert an ihr und mit ihr das Kriterium dafür, eine Welt des Friedens und der Harmonie und der Einheit errichten zu können: eine Weisheit, die imstande ist, alles und alle willkommen zu heißen und den religiösen Pluralismus zu umarmen, im Glauben an die Bücher Gottes: »[Da habt ihr das Vorbild, dem ihr folgen sollt:] Maria, sie, die ihre Jungfräulichkeit bewahrte und der Wir Unseren Geist einhauchten, wusste und glaubte an die Worte des Herrn und an Seine Bücher«.

Drei Verben, drei Aufgaben: behüten, kennen und die Plurale willkommen heißen.

Von Shahrzad Houshmand Zadeh