Pressekonferenz mit Papst Franziskus auf dem Rückflug nach Rom

Eine Reise der Begegnung und des Dialogs

 Eine Reise der Begegnung und des Dialogs  TED-047
25. November 2022

Auf dem Rückflug aus Bahrain beantwortete der Papst wie gewohnt die Fragen einiger mitreisender Journalisten, die vom Direktor des Presseamts des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni, vorgestellt wurden.

Papst Franziskus: Guten Tag, vielen Dank für die Gesellschaft in diesen Tagen, für eure Arbeit. Wirklich vielen Dank. Jetzt stehe ich für eure Fragen zur Verfügung. Ich werde versuchen, alles zu beantworten, was ich weiß! Danke.

Fatima Al Najem (Bahrain News Agency) [auf Englisch]: Ich möchte Ihnen etwas sagen, bevor ich meine Frage an Sie richte. Sie haben einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen – nicht nur, weil Sie mein Land besucht haben, sondern weil Sie an meinem Geburtstag zum Papst gewählt worden sind. Ich habe eine Frage: Wie bewerten Sie die Ergebnisse Ihres historischen Besuchs im Königreich Bahrain, und wie bewerten Sie die Anstrengungen, die Bahrain unternimmt, um das Zusammenleben in allen Bereichen der Gesellschaft, zwischen den Menschen aller Religionen, Geschlechter und Hautfarben zu festigen und zu fördern?

Papst Franziskus: Ich würde sagen, es war eine Reise der Begegnung. Denn das Ziel war der interreligiöse Dialog mit dem Islam und der ökumenische Dialog mit Bartholomaios. Die Ideen, die der Großimam von Al-Azhar dargelegt hat, gingen genau in diese Richtung: Einheit suchen, Einheit innerhalb des Islam, unter Achtung der Nuancen, der Unterschiede, aber mit Einheit; Einheit mit den Christen und mit den anderen Religionen.

Und um den interreligiösen oder den ökumenischen Dialog aufzunehmen, bedarf es einer eigenen Identität. Man kann nicht von einer diffusen Identität ausgehen. »Ich bin Muslim«, »ich bin Christ«, ich habe diese Identität, und so kann ich mit Identität sprechen. Wenn man keine eigene Identität hat, oder wenn sie etwas »in der Luft hängt«, ist der Dialog schwierig, weil es kein Geben und Nehmen gibt, darum ist sie wichtig. Und die beiden, die gekommen sind, sowohl der Groß-imam von Al-Azhar als auch der Patriarch Bartholomaios, haben eine starke Identität. Und das tut gut.

Was den Islam betrifft, so habe ich die drei Beiträge des Großimams aufmerksam angehört und war beeindruckt von dem großen Nachdruck, den er auf den innermuslimischen Dialog gelegt hat, unter euch – nicht um die Unterschiede auszulöschen, sondern um einander zu verstehen und miteinander, nicht gegeneinander zu arbeiten. Wir Chris-ten haben eine recht schlimme Geschichte der Unterschiede, die uns zu Religionskriegen geführt hat: Katholiken gegen Orthodoxe oder gegen Lutheraner. Jetzt, nach dem Konzil, gibt es gottlob eine Annäherung, wir können miteinander sprechen und zusammenarbeiten, und das ist wichtig, um Zeugnis zu geben und anderen Gutes zu tun. Später können Fachleute, Theologen die theologischen Dinge diskutieren, aber wir müssen gemeinsam unterwegs sein als Gläubige, als Freunde, als Geschwister, Gutes tun.

Beeindruckt war ich auch von dem, was im Muslimischen Ältestenrat gesagt wurde, über die Schöpfung und über die Bewahrung der Schöpfung: Das ist eine gemeinsame Sorge aller Gläubigen – Muslime, Christen, aller.

Jetzt reisen der Staatssekretär des Vatikan und der Großimam von Al-Azhar im selben Flugzeug von Bahrain nach Kairo, zusammen, wie Brüder. Das ist etwas recht Bewegendes… Es ist wichtig, es ist etwas, das gutgetan hat. Auch die Anwesenheit von Patriarch Bartholomaios, der eine Autorität im ökumenischen Bereich ist, hat gutgetan. Wir haben es in dem ökumenischen Akt gesehen, in dem Gottesdienst, den wir gehalten haben, und auch in den Worten, die er vorher gesagt hat. Kurz gesagt: Es war eine Reise der Begegnung.

Für mich war es außerdem neu, eine Kultur kennenzulernen, die für alle offen ist. In eurem Land gibt es Platz für alle. Der König hat zu mir gesagt: »Hier macht jeder, was er will: Wenn eine Frau arbeiten will, soll sie arbeiten. Völlige Offenheit.« Das hat er zu mir gesagt – du weißt das: »you work«. Und auch das Religiöse, auch hier herrscht Offenheit… Ich war beeindruckt, wie viele Christen, Filipinos, Inder aus Kerala hier sind. Sie leben im Land und arbeiten im Land, es sind viele.

Fatima Al Najem: Sie lieben Sie sehr!

Papst Franziskus: Das ist die Idee, ich habe etwas Neues gefunden, und das hilft mir, die Menschen zu verstehen und mehr mit ihnen zu sprechen. Das Schlüsselwort ist »Dialog«, und um einen Dialog zu führen, muss man von der eigenen Identität ausgehen, eine Identität haben.

Fatima Al Najem: Danke, Eure Heiligkeit. Ich werde zu Allah, dem Allmächtigen, beten, dass er Sie mit guter Gesundheit, Glück und einem langen Leben segnen möge.

Papst Franziskus: Ja, ja, beten Sie für mich. Für mich, nicht gegen mich!

Imad Atrach (Sky Tv News Arabia): Heiliger Vater, von der Unterzeichnung des »Dokuments über die Brüderlichkeit aller Menschen« vor drei Jahren zum Besuch in Bagdad und dann kürzlich auch in Kasachs-tan: Bringt dieser Weg Ihrer Meinung nach spürbare Früchte hervor? Darf man annehmen, dass er in einer Begegnung im Vatikan gipfeln könnte? Außerdem möchte ich Ihnen danken, dass Sie heute den Libanon erwähnt haben, denn als Libanese kann ich Ihnen sagen, dass wir einen Besuch von Ihnen wirklich dringend benötigen, auch und vor allem weil wir derzeit nicht einmal einen Präsidenten haben. Sie würden dort also das Volk direkt umarmen. Danke.

Papst Franziskus: Danke. Ich habe in diesen Tagen viel darüber nachgedacht und mit dem Großimam darüber gesprochen, wie die Idee des Dokuments von Abi Dhabi, das wir gemeinsam verfasst haben, das erste, entstanden ist. Er war zu einem Höflichkeitsbesuch in den Vatikan gekommen, und wir hatten eine protokollarische Begegnung. Es war fast Zeit zum Mittagessen als er aufbrach, und als ich ihn verabschieden wollte, fragte ich: »Wohin gehen Sie zum Mittagessen?« Ich weiß nicht, was er mir geantwortet hat… »Kommen Sie, wir essen gemeinsam.« Es war etwas, das von innen kam. Als wir dann am Tisch saßen – er, sein Sekretär, zwei Berater, ich, mein Sekretär, mein Berater – haben wir das Brot genommen, haben es gebrochen und untereinander geteilt: eine Geste der Freundschaft, einander das Brot reichen. Es war ein sehr schönes, sehr brüderliches Mittagessen. Und gegen Ende, ich weiß nicht, wer die Idee hatte: »Warum schreiben wir nicht etwas über diese Begegnung?« So ist das Dokument von Abu Dhabi entstanden. Die beiden Sekretäre haben sich an die Arbeit gemacht, die Entwürfe gingen hin und her… Und am Ende haben wir die Begegnung in Abu Dhabi zum Anlass genommen, um es zu veröffentlichen. Es war etwas, das von Gott kam, anders kann man es nicht verstehen, denn keiner von uns hatte darüber nachgedacht. Es ist aus einem Mittagessen unter Freunden heraus entstanden, und das ist etwas Großartiges.

Dann habe ich weiter nachgedacht, und das Dokument von Abu Dhabi war die Grundlage von Fratelli tutti. Auch das, was ich später in Fratelli tutti über die Freundschaft unter den Menschen geschrieben habe, hat seine Grundlage im Dokument von Abu Dhabi. Ich glaube, ein solcher Weg ist nicht denkbar ohne einen besonderen Segen des Herrn über diesen Weg. Das möchte ich aus Gründen der Gerechtigkeit sagen; ich finde es richtig, dass ihr wisst, wie der Herr diesen Weg inspiriert hat. Ich wusste nicht einmal, wie der Großimam heißt, und dann sind wir Freunde geworden und haben etwas zusammen gemacht, als zwei Freunde. Und jetzt haben wir miteinander gesprochen, wie jedes Mal, wenn wir uns begegnen. Das zum aktuellen Dokument; es gibt Bemühungen, es in Umlauf zu bringen.

Dann zum Libanon. Der Libanon ist schmerzlich für mich, denn der Libanon ist nicht nur ein [sehenswertes] Land an sich – das hat ein Papst vor mir gesagt –, der Libanon ist nicht nur ein Land, er ist eine Botschaft. Der Libanon hat für uns alle eine sehr große Bedeutung. Und in diesem Augenblick leidet der Libanon. Ich bete. Und ich ergreife diese Gelegenheit, um einen Appell an die libanesischen Politiker zu richten: Lasst die persönlichen Interessen beiseite, schaut auf das Land und einigt euch. Zuerst Gott und das Vaterland, dann die Interessen. Aber zuerst Gott und das Vaterland. In diesem Augenblick will ich nicht sagen: »Rettet den Libanon«, denn wir sind keine Retter, aber bitte unterstützt den Libanon, helft ihm, damit der Libanon aus dieser Abwärtsspirale herauskommt, damit der Libanon seine Größe zurückerlangt. Es gibt Mittel… Es gibt die Großherzigkeit des Libanon: Wie viele politische Flüchtlinge hat der Libanon aufgenommen! Er ist so großherzig, und er leidet. Ich ergreife die Gelegenheit, euch um ein Gebet für den Libanon zu bitten. Auch das Gebet ist eine Freundschaft. Ihr seid Journalisten, schaut den Libanon an und sprecht darüber, um das Bewusstsein wachsen zu lassen. Das möchte ich dir sagen. Danke.

Carol Glatz (Catholic News Service): Danke, Heiliger Vater. Auf dieser Reise nach Bahrain haben Sie über die Grundrechte gesprochen, einschließlich der Rechte der Frau, über ihre Würde, über das Recht, ihren Platz im gesellschaftlichen und öffentlichen Raum zu haben, und Sie haben, wie immer, die jungen Menschen aufgerufen, Mut zu haben, Lärm zu machen, voranzugehen, um eine gerechtere Welt aufzubauen. Angesichts der Lage im nahegelegenen Iran, mit den Protesten, die von einigen Frauen und vielen jungen Menschen, die mehr Freiheit wollen, ausgelöst worden sind – unterstützen Sie diese Bemühungen der Frauen und Männer, die Grundrechte fordern, die sich auch im »Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen« wiederfinden?

Papst Franziskus: Wir müssen ehrlich sein: Der Kampf für die Rechte der Frau ist ein anhaltender Kampf. Denn an einigen Orten ist die Frau den Männern gleichgestellt, aber an anderen Orten nicht. Ist es nicht so? Ich erinnere mich an die 50er-Jahre in meinem Land, als es den Kampf um die bürgerlichen Rechte der Frauen gab, damit die Frauen wählen konnten – denn bis etwa 1950, mehr oder weniger, wählten bei uns nur die Männer. Und ich denke an denselben berühmten Kampf in den Vereinigten Staaten für das Frauenwahlrecht. Aber warum – frage ich mich – muss die Frau so sehr kämpfen, um ihre Rechte zu behaupten? Es gibt eine… – ich weiß nicht, ob es eine Legende ist – eine Legende über den Ursprung des Schmucks der Frau, die uns die Grausamkeit gegenüber der Frau in vielen Situationen erklärt. Es heißt, dass die Frau viel Schmuck trägt, weil in jenem Land – ich erinnere mich nicht, vielleicht ist es historisch –, wenn ein Ehemann seiner Frau überdrüssig war, er zu ihr zu sagen pflegte: »Hau ab!«, und sie nicht wieder ins Haus gehen konnte, um etwas zu holen. Sie musste mit dem weggehen, was sie am Leib trug. Und daher häuften sie Gold an, um wenigstens etwas mitzunehmen. Es heißt, dies sei der Ursprung des Schmucks. Ich weiß nicht, ob es wahr ist oder nicht, aber das Bild hilft uns.

Die Rechte sind grundlegend. Wieso können wir heute – heute! – in der Welt nicht der Tragödie der Infibulation von Mädchen ein Ende bereiten? Das ist doch schrecklich! Heute! Dass es diese Praxis gibt, dass es der Menschheit nicht gelingt, diesem Verbrechen, diesem kriminellen Akt ein Ende zu bereiten! Frauen sind zwei Äußerungen zufolge, die ich gehört habe, entweder »Wegwerfmaterial« – das ist schlimm! – oder eine »geschützte Spezies«. Aber die Gleichstellung von Männern und Frauen gibt es noch nicht weltweit. Und es gibt diese Vorkommnisse, in denen Frauen Menschen zweiter Klasse oder darunter sind. Wir müssen weiter dafür kämpfen, denn die Frauen sind ein Geschenk. Gott hat nicht den Mann erschaffen und ihm dann ein Hündchen gegeben, um sich zu vergnügen. Nein! Er hat zwei Menschen erschaffen, die gleich sind: Mann und Frau. Und das, was Paulus in einem seiner Briefe über die Beziehung zwischen Mann und Frau geschrieben hat und das uns heute veraltet erscheint, war damals so revolutionär, dass man daran Anstoß nahm: die Treue des Mannes zur Frau, und dass der Mann seine Frau so lieben soll wie seinen eigenen Leib (vgl. Eph 5, 28-29). Und damals war das etwas Revolutionäres! Alle Rechte der Frau kommen von dieser Gleichheit. Und eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, der Frau ihren Platz zu geben, kommt nicht voran. Wir haben diese Erfahrung gemacht.

In dem Buch, das ich geschrieben habe, Wage zu träumen, im Teil über die Wirtschaft zum Beispiel: Es gibt derzeit Frauen in der Wirtschaftswelt, die den Blick auf die Wirtschaft verändert haben und in der Lage sind, sie voranzubringen. Denn sie haben eine andere Gabe. Sie verstehen es, die Dinge auf eine andere Weise zu gestalten, die nicht minderwertiger, sondern ergänzend ist. Einmal hatte ich ein Gespräch mit einem weiblichen Staatsoberhaupt, einem großen weiblichen Staatsoberhaupt, die Mutter vieler Kinder, die sehr großen Erfolg hatte, weil sie eine sehr schwierige Situation gelöst hatte. Und ich habe sie gefragt: »Sagen Sie mir, gnädige Frau, wie haben Sie es geschafft, eine so schwierige Situation zu lösen?« Und sie hat diese Handbewegung gemacht, schweigend, und hat dann zu mir gesagt: »Wie wir Mütter es tun.« Die Frau hat einen eigenen Weg, um Probleme zu lösen, der nicht der Weg des Mannes ist. Und beide Wege müssen zusammenwirken: Ebenso wie der Mann arbeitet auch die Frau für das Gemeinwohl, mit jener Intuition, die die Frauen haben. Ich habe gesehen, dass im Vatikan immer dann, wenn eine Frau eine Arbeit übernimmt, die Dinge sich verbessern. Zum Beispiel ist die Vize-Regierungschefin des Vatikans [Generalsekretärin des Governatorats] eine Frau, und die Dinge haben sich positiv gewandelt. Im Wirtschaftsrat sitzen sechs Kardinäle und sechs Laien, alles Männer: Ich habe es geändert, und als Laien habe ich einen Mann und fünf Frauen eingesetzt. Und das ist eine Revolution, denn die Frauen verstehen es, einen richtigen Weg zu finden, voranzugehen. Und jetzt habe ich Marianna Mazzucato, eine große Wirtschaftswissenschaftlerin aus den Vereinigten Staaten, in die Päpstliche Akademie für das Leben berufen, um dieser etwas mehr Menschlichkeit zu verleihen. Die Frauen leis-ten ihren eigenen Beitrag. Sie sollen nicht wie die Männer werden, nein, sie sind Frauen, wir brauchen sie. Und eine Gesellschaft, die die Frauen vom öffentlichen Leben fernhält, ist eine Gesellschaft, die verarmt. Sie verarmt. Gleichheit der Rechte, ja, aber auch Chancengleichheit, Gleichheit im Vorwärtskommen, denn sonst verarmt man. Ich glaube, dass ich damit gesagt habe, was weltweit getan werden muss. Und noch immer liegt ein Weg vor uns, weil es diesen Chauvinismus gibt. Ich komme aus einem chauvinistischen Volk. Wir Argentinier sind Chauvinis-ten, immer. Und das ist schlimm! Und bei Bedarf gehen wir zu unseren Müttern, und sie lösen dann die Probleme. Aber dieser Chauvinismus tötet die Menschlichkeit. Danke, dass Sie mir Gelegenheit gegeben haben, das zu sagen; es liegt mir sehr am Herzen. Wir müssen nicht nur für die Rechte kämpfen, sondern wir brauchen Frauen in der Gesellschaft, die uns helfen, die uns helfen, etwas zu verändern. Danke.

Antonio Pelayo (Vida Nueva): Heiliger Vater, auf dieser Reise haben Sie nur einmal aus dem Stegreif gesprochen, und zwar in Bezug auf die »leidgeprüfte Ukraine« und auf die »Friedensverhandlungen«. Ich möchte Sie fragen, ob Sie uns etwas darüber sagen können, wie diese Verhandlungen auf vatikanischer Seite laufen. Und eine weitere zusätzliche Frage: Haben Sie in letzter Zeit mit Putin gesprochen, oder haben Sie die Absicht, es in nächster Zeit zu tun?

Papst Franziskus: Gut. Zunächst einmal beobachtet der Vatikan die Situation ständig, das Staatssekretariat arbeitet, und es arbeitet gut, es arbeitet gut. Ich weiß, dass der Sekretär [für die Beziehungen zu den Staaten und Internationalen Organisationen], Erzbischof Gallagher, sich gut in der Situation zu bewegen weiß. Dann etwas Geschichte. Am Tag nach dem Ausbruch des Krieges – ich habe gedacht, das ginge nicht, etwas Ungewöhnliches – bin ich in die Russische Botschaft [beim Heiligen Stuhl] gegangen, um mit dem Botschafter zu sprechen, ein guter Mann, den ich seit sechs Jahren kenne, seit seiner Ankunft, ein Humanist. Ich erinnere mich an eine Äußerung, die er damals mir gegenüber machte: »Nous sommes tombés dans la dictature de l’argent« (Wir sind unter die Diktatur des Geldes geraten), was die Zivilisation betrifft. Ein Humanist, ein Mann, der für die Gleichheit kämpft. Ich habe zu ihm gesagt, dass ich bereit sei, nach Moskau zu reisen, um mit Putin zu sprechen, wenn nötig. [Au-ßenminister] Lawrow hat mir sehr höflich geantwortet: Danke, hat er gesagt, aber im Augenblick sei es nicht nötig. Aber von jenem Augenblick an haben wir uns sehr darum gekümmert. Ich habe am Telefon dreimal mit Präsident Selenskyj gesprochen und noch öfter mit dem ukrainischen Botschafter. Und es findet eine Annäherung statt, um Lösungen zu suchen. Der Heilige Stuhl tut das, was er tun muss, auch gegenüber den Gefangenen… Es sind Dinge, die immer getan werden, der Heilige Stuhl hat sie immer getan, immer. Außerdem predigen wir den Frieden. Ich bin erschüttert – darum benutze ich das Wort »leidgeprüft« für die Ukraine – von der Grausamkeit, die nicht die des russischen Volkes ist, denn das russische Volk ist ein großartiges Volk, sondern die der Söldner, der Soldaten, die in den Krieg ziehen wie in ein Abenteuer: die Söldner. Ich ziehe es vor, so darüber zu denken, denn ich habe große Wertschätzung für das russische Volk, für den russischen Humanismus. Man braucht nur an Dostojewski zu denken, der uns noch heute inspiriert, der die Christen inspiriert, über das Christentum nachzudenken. Ich liebe das russische Volk sehr. Und ich liebe auch das ukrainische Volk sehr. Als ich elf Jahre alt war, gab es in der Nähe einen ukrainischen Priester, der die Messe zelebrierte und keinen Messdiener hatte, und er hat mich gelehrt, in der Messe auf Ukrainisch zu dienen. All diese ukrainischen Gesänge kenne ich in ihrer Sprache, weil ich sie als Kind gelernt habe, und daher liebe ich die ukrainische Liturgie sehr. In stehe zwischen zwei Völkern, die ich liebe.

Aber nicht nur ich, auch der Heilige Stuhl hat viele diskrete Begegnungen geführt, viele Dinge mit gutem Ergebnis. Denn wir können nicht leugnen, dass ein Krieg uns am Anfang vielleicht mutig macht, aber dann ermüdet er und bringt Schlechtes hervor, und man sieht das Schlechte, das ein Krieg hervorbringt. Dies bezüglich des menschlicheren, des näheren Teils.

Außerdem möchte ich diese Frage nutzen, um eine Klage zum Ausdruck zu bringen: In einem Jahrhundert, in einem Jahrhundert drei Weltkriege! Der Krieg von 1914-1918, der von 1939-1945 und dieser! Denn dies ist ein Weltkrieg. Es stimmt nämlich, dass die Großmächte, wenn sie auf der einen und auf der anderen Seite schwächer werden, einen Krieg führen müssen, um sich stark zu fühlen und auch, um Waffen zu verkaufen! Denn ich glaube, dass das größte Unheil, das größte, das es heute in der Welt gibt, die Waffenindustrie ist. Man hat mir gesagt – ich weiß nicht, ob es wahr ist oder nicht –, dass, wenn ein Jahr lang keine Waffen produziert würden, der Hunger auf der Welt beendet werden könnte. Die Waffenindustrie ist schrecklich. Vor einigen, drei oder vier, Jahren ist aus einem Land ein Schiff voller Waffen nach Genua gekommen, und die Waffen sollten auf ein größeres Schiff umgeladen werden, um sie in den Jemen zu bringen. Die Arbeiter in Genua wollten das nicht tun… Es war eine Geste. Der Jemen: über zehn Jahre Krieg. Die Kinder im Jemen haben nichts zu essen! Und die Rohingya, die von einem Ort zum anderen »zigeunern«, weil sie vertrieben worden sind, ebenfalls im Krieg, in Myanmar: Es ist schrecklich, was da geschieht. Jetzt hoffe ich, dass in Äthiopien etwas zum Stillstand kommt, durch ein Abkommen… Wir sind überall im Krieg, und wir verstehen das nicht. Jetzt betrifft uns ganz in der Nähe, in Europa, der russisch-ukrainische Krieg. Aber er herrscht überall, seit Jahren: in Syrien 12 bis 13 Jahre Krieg, und keiner weiß, ob es Gefangene gibt und was dort drinnen geschieht. Dann der Libanon, wir haben über diese Tragödie gesprochen… Ich weiß nicht, ob ich euch das schon einmal erzählt habe: Als ich 2014 nach Redipuglia gereist bin – und mein Großvater war am Piave dabei gewesen und hat mir erzählt, was dort geschehen ist –, habe ich die Gräber gesehen, alles junge Männer, und ich habe geweint, ich habe geweint, ich schäme mich nicht, es zu sagen. Dann bin ich an einem 2. November – ich gehe am 2. November immer auf einen Friedhof – nach Anzio gegangen, einige Jahre später, und habe das Grab dieser jungen Amerikaner gesehen, bei der Landung in Anzio: 19, 20, 22, 23 Jahre, und ich habe geweint, wirklich, es kam von Herzen. Und ich habe an die Mütter gedacht, wenn jemand an ihre Tür klopft: »Gnädige Frau, ein Brief für Sie.« Sie öffnet den Umschlag: »Gnädige Frau, ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Sohn ein Held des Vaterlandes ist.« Die Tragödien des Krieges. Dann etwas, das – ich möchte über niemanden schlecht reden – mein Herz berührt hat: Bei der Gedenkfeier für die Landung in der Normandie waren die Oberhäupter vieler Regierungen anwesend, um dieses Ereignisses zu gedenken. Es stimmt, es war der Beginn des Untergangs des Nationalsozialismus, das ist wahr. Aber wie viele junge Männer sind am Strand der Normandie gefallen? 30.000, sagt man. Wer denkt an diese jungen Männer? Der Krieg sät all diese Dinge. Ihr Journalisten: Seid daher bitte Pazifisten, sprecht euch gegen die Kriege aus, bekämpft den Krieg. Ich bitte euch darum als Bruder. Danke.

Hugues Lefèvre (I.Media): Danke, Heiliger Vater. Heute Morgen haben Sie in Ihrer Ansprache an den Klerus von Bahrain davon gesprochen, wie wichtig die christliche Freude ist, aber in den vergangenen Tagen haben viele französische Gläubige diese Freude verloren, als sie in der Presse entdeckt haben, dass die Kirche die im Jahr 2021 erfolgte Verurteilung eines jetzt pensionierten Bischofs, der in den 1990er-Jahren als Priester Missbrauch begangen hatte, geheim gehalten hat. Als diese Nachricht in der Presse erschien, haben sich fünf neue Opfer gemeldet. Heute möchten viele Katholiken wissen, ob die Kultur der Geheimhaltung der kanonischen Rechtsprechung sich verändern und transparent werden soll, und ich möchte wissen, ob Sie der Meinung sind, dass die kanonischen Strafen öffentlich gemacht werden müssen. Danke.

Papst Franziskus: Danke für die Frage, danke. Ich möchte beginnen mit ein wenig Geschichte dazu. Das Problem des Miss-brauchs hat es immer gegeben, immer, nicht nur in der Kirche. Überall. Ihr wisst, dass 42 bis 46 Prozent des sexuellen Missbrauchs in der Familie oder in der Nachbarschaft geschehen: das ist gravierend. Aber die gewöhnliche Haltung war immer die, es zu verheimlichen. In der Familie wird auch heute noch alles verheimlicht, und auch in der Nachbarschaft wird alles verheimlicht oder zumindest der größte Teil. Das ist eine hässliche Gewohnheit, die sich in der Kirche verändert hat, nachdem es den Skandal von Boston gab, von Kardinal Law, der dort Kardinal war und jetzt tot ist. Aufgrund dieses Skandals ist Kardinal Law zurückgetreten: Das ist das erste Mal, dass es so an die Öffentlichkeit kam, als Skandal. Und von da an hat die Kirche dies zur Kenntnis genommen und hat begonnen, tätig zu werden, während man in der Gesellschaft normalerweise alles zudeckt, normalerweise, in anderen Institutionen.

Im Zusammenhang mit dem Treffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen habe ich UNICEF, die Vereinten Nationen, nach den Statistiken gefragt, und ich habe ihnen die Prozentzahlen genannt: wie viel Prozent in der Familie, wie viel in der Nachbarschaft – die Mehrzahl –, wie viel in der Schule, im Sport… Das ist etwas, was man gut untersucht hat, und auch in der Kirche. Jemand kommt und sagt: »Wir sind eine Minderheit.« Aber wenn es auch nur ein einziger wäre, dann ist das tragisch, weil du als Pries-ter die Berufung hast, zum Wachstum der Menschen beizutragen und damit zerstörst du sie. Für einen Priester ist es wie der eigenen priesterlichen Natur zu widersprechen, auch der eigenen sozialen Natur. Daher ist es etwas Tragisches, und wir dürfen nicht haltmachen, wir dürfen nicht haltmachen.

Bei diesem Aufwachen, um Untersuchungen anzustellen und Anklagen zu erheben, war es nicht immer dasselbe: einige Dinge wurden versteckt. Vor dem Skandal von Law in Boston hat man die Personen ausgetauscht… Jetzt ist alles klar und wir gehen voran in diesem Punkt. Daher dürfen wir uns nicht wundern, dass Fälle wie diese zum Vorschein kommen. Oder ein anderer Bischof kommt mir in den Sinn… Es gibt sie, weißt du? Und es ist nicht leicht zu sagen: »das haben wir nicht gewusst« oder »das war die Kultur jener Zeit und es ist weiterhin eine Kultur so vieler, das Verheimlichen«. Ich sage dir Folgendes: Die Kirche ist diesbezüglich entschlossen, und ich möchte hier öffentlich dem Heldenmut von Kardinal O’Malley danken: Er ist ein tüchtiger Kapuziner, der die Notwendigkeit erkannt hat, diese Arbeit durch die »Kommission für den Schutz von Minderjährigen« zu institutionalisieren. Er führt dies gut weiter, und das ist gut für uns alle und macht uns Mut.

Wir arbeiten daran mit all dem, was wir tun können, aber du musst wissen, dass es in der Kirche Menschen gibt, die dies noch nicht klar sehen, die es nicht teilen, und so sagen sie: »Warten wir ein wenig, sehen wir mal…« Das ist ein Prozess, den wir mutig angehen, und nicht alle haben wir Mut. Zuweilen kommt dir die Versuchung zu Kompromissen, und wir sind alle Sklaven unserer Sünden. Aber der Wille der Kirche ist es, alles aufzuklären.

Zum Beispiel: Ich habe in den vergangenen Monaten zwei Beschwerden über Miss-bräuche erhalten, die zugedeckt und von der Kirche nicht richtig beurteilt worden waren. Sofort habe ich gesagt: Das muss neu untersucht werden, und man ist dabei, ein neues Urteil zu fällen. Auch das: Revision alter Urteile, die nicht richtig gemacht worden sind. Wir tun, was wir können, wir sind Sünder. Und was wir zuallererst fühlen müssen, das ist die Scham, eine tiefe Beschämung darüber. Ich glaube, dass das Schämen eine Gnade ist, weißt du? Wir können gegen alle Übel der Welt kämpfen, aber ohne Scham werden wir es nicht können. Das hat mich erstaunt, wo der heilige Ignatius in den Geistlichen Übungen dich um Verzeihung bitten lässt für die Sünden, die du begangen hast, er lässt dich bis zur Scham gelangen, und wenn du nicht die Gnade der Scham hast, dann kannst du nicht weitergehen. Ein Scheltwort, das es in meiner Heimat gibt, lautet: »Du bist jemand ohne Scham«, und ich glaube, dass die Kirche nicht »ohne Scham« sein kann, dass sie sich schämen muss über die schlimmen Dinge, wie es sicher ist, dass wir auch Gott Dank sagen, für das Gute, das er tut. Das muss ich dir sagen: guter Wille und vorangehen, auch mit eurer Hilfe.

Vania De Luca (Rai-Tg3): Heiligkeit, die Migranten: darüber haben Sie auch in diesen Tagen gesprochen. Vier Schiffe vor der Küste Siziliens mit Hunderten von Frauen, Männern, Kindern in Schwierigkeiten, aber nicht alle können an Land gehen. Befürchten Sie, dass mit der Mitte-Rechts-Koalition in Italien wieder eine Politik der »verschlossenen Türen« herrscht? Und wie bewerten Sie diesbezüglich die Position auch einiger Länder Nordeuropas? Und dann wollte ich auch allgemein fragen: Welchen Eindruck, welches Urteil haben Sie über die neue italienische Regierung, die zum ersten Mal von einer Frau angeführt wird?

Papst Franziskus: Es ist eine Herausforderung, es ist eine Herausforderung hinsichtlich der Migranten. Das Prinzip im Hinblick auf die Migranten: Migranten müssen aufgenommen, begleitet, gefördert und integriert werden. Wenn man diese vier Schritte nicht tun kann, dann gibt es in der Arbeit mit den Migranten kein gutes Ergebnis. Aufgenommen, begleitet, gefördert und integriert: die Integration erreichen. Und als Zweites möchte ich sagen: Jede Regierung der Europäischen Union muss sich einig werden, wie viele Migranten sie aufnehmen kann. Denn sonst sind es vier Länder, die die Migranten empfangen: Zypern, Griechenland, Italien und Spanien, weil sie dem Mittelmeer am nächsten sind. Im Binnenland sind es einige wie Polen, Belarus… Aber der größte Teil der Migranten kommt über das Meer. Das Leben muss gerettet werden! Heute, du weißt es, ist das Mittelmeer ein Friedhof, vielleicht der größte Friedhof der Welt.

Ich glaube, das letzte Mal habe ich euch gesagt, dass ich ein Buch auf Spanisch gelesen habe, dessen Titel Hermanito heißt. Es ist dünn, man hat es schnell gelesen. Ich glaube, es ist sicher auch auf Französisch übersetzt worden, auch auf Italienisch. Man hat es sofort gelesen, in zwei Stunden. Es ist die Geschichte eines Jungen aus Afrika, ich weiß nicht mehr, aus Tansania oder woher er kam, der auf den Spuren seines Bruders nach Spanien gekommen ist. Fünfmal hat er Sklaverei erlitten, bevor er an Bord gehen konnte. Und er erzählt, dass viele Menschen nachts zu diesen Boten gebracht werden – nicht zu den großen Schiffen, die haben eine andere Rolle –, und wenn sie nicht einsteigen wollen: Bum, bum! Und sie lassen sie am Strand. Das ist wirklich eine Diktatur, Sklaverei, was diese Leute tun [die Menschenhändler]. Und dann das Risiko, auf hoher See zu sterben. Wenn du Zeit hast, dann lies es. Es ist wichtig.

Die Migrationspolitik muss mit allen Ländern abgestimmt werden: Man kann keine Politik ohne einen Konsens machen, und die Europäische Union muss diesbezüglich eine Politik der Zusammenarbeit und Unterstützung einleiten. Sie kann nicht Zypern, Griechenland, Italien, Spanien die Verantwortung für alle Migranten überlassen, die an den Küs-ten ankommen. Die Politik der Regierungen war bis jetzt, Leben zu retten, das ist wahr. Bis zu einem bestimmten Punkt hat man so gehandelt. Und ich glaube, dass diese [italienische] Regierung dieselbe Politik hat, sie ist nicht unmenschlich… Die Details sind mir nicht bekannt, aber ich denke nicht, dass sie will, dass sie weggehen. Ich glaube, sie hat bereits Kinder, Mütter, Kranke an Land gehen lassen. Ich glaube, sie hat sie an Land gehen lassen – ich glaube, nach dem, was ich gehört habe. Zumindest bestand die Absicht. Italien – denken wir hier an diese oder denken wir an eine linke Regierung – kann nichts tun, ohne die Vereinbarung mit Europa, die Verantwortung ist europäisch.

Und dann möchte ich noch etwas ansprechen, eine andere europäische Verantwortung: Afrika. Ich glaube, das hat eine der großen Politikerinnen gesagt, die wir hatten und haben, Merkel hat gesagt, dass das Problem der Migranten in Afrika gelöst werden muss. Aber wenn wir an Afrika denken unter dem Motto: »Afrika muss ausgebeutet werden«, dann ist es logisch, dass die Migranten, die Menschen aus dieser Ausbeutung flüchten. Wir müssen, Europa muss sich bemühen, Entwicklungspläne für Afrika zu entwerfen. Unvorstellbar, dass einige Länder in Afrika nicht Eigentümer ihres eigenen unterirdischen Territoriums sind, das immer noch von den Kolonialmächten abhängt! Es ist Heuchelei, das Problem der Migranten in Europa lösen zu wollen, nein, wir müssen hingehen und es auch in ihrer Heimat lösen. Die Ausbeutung der Menschen aufgrund dieser Einstellung ist schrecklich. Am 1. November, Allerheiligen, habe ich mich mit Studenten aus Afrika getroffen, dasselbe Treffen, das ich mit den Studenten aus der Loyola University der Vereinigten Staaten hatte. Diese Studenten haben eine Fähigkeit, eine Intelligenz, eine Kritikkompetenz, einen Willen voranzugehen! Aber manchmal können sie dies nicht wegen der kolonialistischen Macht, die Europa gegenüber ihren Regierungen hat. Wenn wir das Migrationsproblem endgültig lösen wollen, müssen wir eine Lösung für Afrika finden. Die Migranten, die aus anderen Teilen der Welt kommen, sind weit weniger zahlreich. Wenden wir uns Afrika zu, helfen wir Afrika, gehen wir voran.

Die neue Regierung beginnt jetzt, und ich bin hier, um ihr das Beste zu wünschen. Ich wünsche einer Regierung immer das Beste, weil die Regierung für alle da ist. Und ich wünsche ihr das Beste, damit sie Italien voranbringen kann; und den anderen, die gegen die Partei sind, die gesiegt hat, dass sie mit der Kritik, mit der Hilfe, mitarbeiten, aber eine Regierung der Zusammenarbeit, nicht eine Regierung, wo sie dir den Rücken zudrehen, die dich fallen lassen, wenn dir irgendetwas nicht gefällt. Bitte, diesbezüglich ermahne ich zur Verantwortlichkeit. Sag mir: Ist es richtig, dass Italien vom Beginn des 21. Jahrhunderts bis heute zwanzig Regierungen hatte? Hören wir auf mit diesen Scherzen!

Ludwig Ring-Eifel (Centrum Informationis Catholicum): Auch ich möchte zunächst etwas Persönliches sagen, weil ich etwas überwältigt bin, weil ich nach einer Pause von acht Jahren wieder im Flugzeug des Papstes bin. Ich bin sehr dankbar, erneut hier sein zu können.

Papst Franziskus: Willkommen zurück!

Ludwig Ring-Eifel: Danke gleichfalls. In der deutschen Gruppe sind wir nur wenige, nur drei auf diesem Flug, wir haben gedacht: Wie kann man eine Verbindung herstellen zwischen dem, was wir in Bahrain gesehen haben, und der Situation in Deutschland? Denn in Bahrain haben wir eine kleine Kirche gesehen, eine kleine Herde, eine arme Kirche, mit so vielen Einschränkungen etc., aber eine lebendige, wachsende Kirche voller Hoffnung. In Deutschland dagegen haben wir eine große Kirche, mit großer Tradition, reich, mit der Theologie, Geld und all dem, die aber jedes Jahr 300.000 Gläubige verliert, die weggehen, die sich in einer tiefen Krise befindet. Gibt es da etwas, was wir von dieser kleinen Herde, die wir in Bahrain gesehen haben, für das große Deutschland lernen können?

Papst Franziskus: Deutschland hat eine alte religiöse Geschichte. Mit einem Zitat von Hölderlin würde ich sagen: »Vieles haben sie verlernt, vieles.« Eure religiöse Geschichte ist großartig und kompliziert, es gab Kämpfe. Den deutschen Katholiken sage ich: Deutschland hat eine große und schöne evangelische Kirche. Ich möchte nicht noch eine, die nicht so gut wäre wie jene, sondern ich will, dass sie katholisch ist, auf katholische Weise, geschwisterlich verbunden mit der evangelischen. Zuweilen geht der religiöse Sinn des Volkes, des heiligen gläubigen Gottesvolkes verloren und wir verfallen in ethische Diskussionen, Diskussionen über die Lage, kirchenpolitische Diskussionen, Diskussionen, die theologische Konsequenzen sind, aber nicht der Kern der Theologie. Was denkt das heilige gläubige Gottesvolk? Was fühlt das heilige gläubige Gottesvolk? Dorthin gehen, suchen, was es denkt, wie es fühlt, jene einfache Religiosität, die ich bei den Großeltern finde. Ich sage nicht, dass man rückwärts gehen sollte, nein, sondern vielmehr zur Quelle der Inspiration, zu den Wurzeln. Wir alle haben eine Geschichte der Glaubenswurzeln, auch die Völker haben sie: Man muss sie wiederfinden! Mir kommt jenes Wort von Hölderlin für unser Alter in den Sinn: »Dass dir halte der Mann, was er als Knabe gelobt.« In unserer Kindheit, in unserer Hoffnung haben wir vieles versprochen, vieles. Jetzt beschäftigen wir uns mit ethischen Diskussionen, konjunkturellen Diskussionen… Aber die Wurzel der Religion ist die »Ohrfeige«, die dir das Evangelium verpasst, die Begegnung mit dem lebendigen Jesus Christus; und von da aus die Konsequenzen, alle; von da aus der Mut des Apostolats, in die Peripherien zu gehen, auch in die moralischen Peripherien der Menschen, um zu helfen. Aber immer ausgehend von der Begegnung mit Jesus Christus. Wenn es die Begegnung mit Jesus Christus nicht gibt, dann wird es ein als Christentum getarnter Ethizismus sein. Das wollte ich sagen, es kommt von Herzen. Danke.

Ich wünsche euch gesegnete Mahlzeit und gute Ankunft in Rom. Und ich bitte euch, für mich zu beten. Ich werde es für euch tun. Danke für eure Mitarbeit.

(Orig. ital. in O.R. 7.11.2022)