Selbst der längste Sommer findet seinen Herbst. Tageslicht wird kostbar. Der November bringt Nachdenklichkeit. Sei es an den Gräbern der Verstorbenen, denen wir in diesen Tagen vielleicht bewusster als sonst ein Gedenklicht entzünden, sei es in der Wahrnehmung einer sich aus dem Leben zurückziehenden Natur. Von den Bäumen fallen die letzten Blätter. Was bleibt?
Das ist auch die Frage, die uns in der Liturgie der Kirche an den letzten Sonntagen im Kirchenjahr begegnet. Nicht viel, so könnten wir aus dem Evangelium zum 33. Sonntag im Jahreskreis (Lk 21,9-15) heraushören. Nicht viel – und doch alles! Alles, was notwendig, was Not wendend ist. Das zu erkennen braucht es Unterscheidung. Und die geschieht eben nicht leicht im grellen Licht des Sommers, wenn die Sonne des Lebens strahlend am Zenit steht. Da mögen die kostbaren Steine und Weihegeschenke des Tempels funkeln und einen blenden. Vielleicht so wie jene, deren Worte Jesus am Beginn des Evangeliums aufschnappt. Um das Not wendende zu finden, braucht es eher die Zeiten, in denen die Sonne tief steht, ihr Licht nicht mehr einfach nur verschwendet und die Nebel der Dämmerung sonst vertraute Konturen in Frage stellen. »Hängt nicht daran!«, sagt Jesus. »All das vergeht. Davon wird nicht viel übrigbleiben.« Wann? Wie? Wer? Fragen, die naheliegend sind. Denn wer sie beantworten kann, kann all dem, was da drohend heranzieht, vielleicht noch entgehen. Allein zur Unterscheidung führen sie nicht. Es sind Fragen nach Äußerlichkeiten. Unterscheiden kann nur, wer nach Innen schaut. Von Kriegen werdet ihr hören, von Spaltungen in der Gesellschaft, und selbst in Beziehungen, die euch vertraut sind, werdet ihr in Frage gestellt. Der Rat Jesu erscheint simpel: Standhaft bleiben! Aber wie geht das? Wer ehrlich nach Innen schaut, findet nicht einfach sich selbst. Er findet sich bei den anderen. Wer aufbrechen kann, findet seinen Platz. Wer loslässt, findet Halt. Wer gibt, empfängt. Jesus selbst ist uns mit seiner ganzen Existenz ein Beispiel dafür.
So gibt uns auch Papst Franziskus das Zitat aus dem zweiten Korintherbrief: »Christus wurde euretwegen arm« mit in den diesjährigen Welttag der Armen, den die Kirche am vorletzten Sonntag im Jahreskreis begeht. Was bleibt? Das, was wir an Hingabe in die Herzen der Menschen einprägen. Christi Liebe will unsere Herzen prägen. In den Armen ereignet sich die Begegnung mit ihm. Nur mit ihnen ist das Leben zu gewinnen.
Michael Max,
Rektor des Päpstlichen Instituts
Santa Maria dell’Anima in Rom