Die Identität und die Ohrfeige des Evangeliums

Pope Francis as he arrives for a prayer meeting and Angelus with bishops, priest, consecrated ...
07. November 2022

Bei seiner Antwort auf die allererste Frage der Journalisten, die Fatima Alnajem, Korrespondentin der »Bahrein News Agency«, gestellt hatte, dachte der Papst laut über die auf der soeben zu Ende gehenden Reise gemachte Erfahrung nach und nannte das Schlüsselwort dafür: Dialog. Dabei präzisierte er allerdings, dass die Voraussetzung dafür, dass ein Dialog wahr und fruchtbar sei, die Präsenz zweier sich konfrontierender Identitäten sei: und zwar keiner vagen und konfusen, sondern klarer und starker Identitäten. Zu diesem Punkt der Identität kehrte Franziskus implizit, aber mit besonderem Nachdruck in dem Augenblick zurück, als er seine Antwort auf die allerletzte Frage zum Abschluss brachte, die ihm der deutsche Journalist Ludwig Ring-Eifel vom Centrum Informationis Catholicum gestellt hatte. Dieser hatte die katholische Kirche in Bahrein (klein an Zahl, aber in stetem Wachstum begriffen dank einer ungeheuren, an Hoffnung reichen Lebendigkeit) mit der Kirche in Deutschland verglichen (die viel Geld hat und auf eine große theologische Tradition zurückschauen kann, aber zahlenmäßig stark schrumpft und gerade eine turbulente Zeit durchmacht). Der Papst sprach auch über die Wurzeln und bekräftigte, dass »die Wurzel der Religion die Ohrfeige ist, die dir das Evangelium verpasst, die Begegnung mit dem lebendigen Jesus Christus: daraus leiten sich die Konsequenzen ab, alle; darauf geht der apostolische Mut zurück, von da aus in die Peripherien zu gehen, auch in die moralischen Peripherien der Menschen, um zu helfen; aber ausgehend von der Begegnung mit Jesus Christus. Wenn es keine Begegnung mit Jesus Christus gibt, dann handelt es sich um einen als Christentum verkleideten Ethizismus.«

Das ist ein wesentlicher Punkt des ganzen Pontifikats von Papst Franziskus: die Rückkehr zur Quelle, zur Quelle des Glaubens, der Aufruf zur Wesentlichkeit des Evangeliums. Andernfalls unterschiede sich die Kirche in nichts von einer »barmherzigen NGO«, denn sie ist keine ethische Einrichtung, keine der Verbreitung moralischer Werte gewidmete Institution – das sind nur die Auswirkungen, die »Konsequenzen«, wie er gestern in der bereits zitierten Antwort an den deutschen Journalisten ausführte: »Mitunter geht das religiöse Bewusstsein des Volkes, des heiligen Gottesvolkes, verloren, und wir verfallen in ethische Debatten, in Verbindungen schaffende Diskussionen, in Diskussionen, die theologische Konsequenzen sind, nicht aber den Kern der Theologie darstellen.« Und der Kern ist gerade »die Ohrfeige des Evangeliums«. Dieses kleine Buch, vor dem der heilige Augustinus, wie er sagte, Angst hatte, ist ein Text, der einen jeden, der sich ihm aufrichtigen, freien und demütigen Herzens nähert, also ohne instrumentelle Absichten oder ideologische Brillen, in die Krise stürzt. Und die Krise – der Papst hat dies oft wiederholt – offenbart sich oft als eine fruchtbare Quelle größerer und überraschender Möglichkeiten und neuer Anfänge, sofern man sie nicht zu lähmenden Ängsten oder zu konfliktreichen Ergebnissen degenerieren lässt. Aber es ist wichtig, diese Ohrfeige in Empfang zu nehmen.

Als der Papst am 24. Mai des letzten Jahres das Dikasterium für die Kommunikation besuchte, sagte er, just an die Redakteure des »L’Osservatore Romano« gewandt, etwas Vergleichbares, und zwar dass sie sich von der Realität ohrfeigen lassen sollten, d.h. die Illusion der Kontrolle und den Stress, Nachrichten zu »erstellen«, aufzugeben, weil die Realität, die immer größer ist als unsere Ideen, bereits in ausreichendem Maße redet, ja mitunter schreit, gar brüllt. Und in der Realität, versteckt in den Falten der Ereignisse, verbirgt sich auch die Stimme Gottes und sein Wort, Jesus selbst, der unser Gewissen stets aufs Neue auffordert, Stellung zu beziehen: es liegt an uns, zuzuhören; und das ist der »Kern« von allem, nicht nur der Theologie, sondern auch eines christlich gelebten Lebens, das folglich auch menschlich erfüllt und der eigenen Identität als Kinder Gottes gewachsen gelebt wird.

Von Andrea Monda