Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag, seid alle herzlich willkommen!
Ich danke dem Generalabt für seine einführenden Worte, verbunden mit meinen bes-ten Wünschen für seine verlängerte Amtszeit, und begrüße euch alle, die ihr am Generalkapitel der Zisterzienser der »observantia communis« teilnehmt.
Dieses Adjektiv »communis«, gewöhnlich, macht nachdenklich. Wir wissen, dass es den Unterschied zu einer »besonderen« Observanz zum Ausdruck bringen soll. Aber »communis« hat immer auch eine noch reichere Bedeutung, die auf das Gemeinsame hinweist, die »Communio«. Und von hier möchte ich gerne ausgehen, von dieser grundlegenden Wirklichkeit, die uns als Kirche auszeichnet, dank der Gabe des einen und dreifaltigen Gottes und durch unser In-Christus-Sein. »Communio«, Gemeinschaft, gemeinsam.
»Observantia communis« also als ein gemeinsames Gehen, hinter Jesus her, dem Herrn, um bei ihm zu verweilen, auf ihn zu hören, ihn zu »observieren«, zu beobachten… Jesus beobachten. Wie ein Kind, das den Vater beobachtet oder den besten Freund. Den Herrn beobachten: seine Handlungsweise, sein Antlitz voller Liebe und Frieden, zuweilen empört angesichts der Heuchelei und Verschlossenheit und auch betrübt und erschüttert in der Stunde des Leidens. Und dieses Beobachten gemeinsam tun, nicht einzeln, es in Gemeinschaft tun, jeder mit dem ihm eigenen Vorangehen, gewiss, jeder mit seiner einzigartigen, unwiederholbaren Geschichte, aber gemeinsam. Wie die Zwölf, die immer mit Jesus zusammen und mit ihm unterwegs waren. Sie hatten sich nicht selbst erwählt, Jesus hatte sie auserwählt. Es war nicht immer leicht, sich gut zu verstehen: sie waren unterschiedlich, jeder mit seinen »Ecken und Kanten« und seinem Stolz.
Seine Gemeinschaft sein,
so wie wir sind
Auch wir sind so, und auch für uns ist es nicht leicht, gemeinsam voranzugehen, in Gemeinschaft. Und doch ruft dieses empfangene Geschenk bei uns unaufhörlich Staunen und Freude hervor: seine Gemeinschaft zu sein, so wie wir sind, nicht perfekt, nicht einheitlich, nein, nicht so, sondern zusammen-gerufen, einbezogen, gerufen, gemeinsam bei ihm zu sein und hinter ihm herzugehen, unserem Meister und Herrn. Dies, Brüder und Schwestern, ist die Grundlage für alles andere. Ich danke euch, dass ihr dies unterstrichen habt, und ermutige euch, die Sehnsucht und Bereitschaft gegenüber diesem gemeinsamen »Beobachten« Christi zu erneuern.
Dazu gehört das beständige Bemühen um eine Bekehrung von einem verschlossenen Ich zu einem offenen Ich, von einem auf sich selbst konzentrierten Herzen zu einem Herzen, das aus sich heraus und auf den anderen zugeht. Und das gilt entsprechend auch für die Gemeinschaft: von einer autoreferentiellen Gemeinschaft zu einer im guten Sinne des Wortes »extrovertierten«, aufnahmebereiten und missionarischen Gemeinschaft. Das ist die Bewegung, die der Heilige Geist der Kirche kontinuierlich einzuprägen sucht, indem er in jedem ihrer Mitglieder und in jeder Gemeinschaft und Institution am Werk ist.
Eine Bewegung, die auf Pfingsten zurückgeht, die »Taufe« der Kirche. Derselbe Geist hat dann eine große Vielfalt von Charismen und Lebensformen geweckt, eine große »Symphonie«, und er tut dies weiterhin. Es gibt viele, sehr unterschiedliche Formen, aber um Teil der kirchlichen Symphonie zu sein, müssen sie dieser Bewegung des Aufbrechens gehorchen. Kein chaotisches, ungeordnetes Gehen: ein gemeinsames Gehen, alle im Einklang mit dem einen Herzen der Kirche, das Liebe ist, wie es Theresia vom Kinde Jesus voller Begeisterung zum Ausdruck bringt. Es gibt keine Gemeinschaft ohne Umkehr, und deshalb ist sie notwendigerweise Frucht des Kreuzes Christi und des Wirkens des Heiligen Geistes, sowohl in den Einzelpersonen als auch in der Gemeinschaft.
Kehren wir zum Bild – oder besser zum Klang – der Symphonie zurück: ihr wollt euch den weiten missionarischen Atem der Kirche zu eigen machen und dabei die Komplementarität von männlich und weiblich schätzen wie auch die kulturelle Verschiedenheit zwischen den asiatischen, afrikanischen, lateinamerikanischen, nordamerikanischen und europäischen Mitgliedern. Ich ermutige euch auf diesem Weg, der nicht leicht ist, aber der zweifellos ein Reichtum für die Gemeinschaften und den Orden sein kann.
Ich danke euch für euren Einsatz, mit dem ihr euch am Bemühen beteiligt, das die ganze Kirche in dieser Hinsicht in jeder Teilgemeinschaft unternimmt: heute ist die Erfahrung der Begegnung mit der Verschiedenheit ein Zeichen der Zeit. Euer Beitrag ist wertvoll und besonders reichhaltig, weil ihr euch aufgrund eurer kontemplativen Berufung nicht damit zufriedengebt, die Verschiedenheiten auf einer oberflächlichen Ebene zusammenzulegen. Ihr lebt sie auch auf der Ebene der Innerlichkeit, des Gebets, des geistlichen Gesprächs. Und das bereichert die »Symphonie« durch tiefere, schöpferischere Resonanzen.
Vorsatz einer
größeren Armut
Ein weiterer Aspekt, zu dem ich euch ermutigen möchte, ist euer Vorsatz einer größeren Armut, sowohl im Geist als auch an Gütern, um für den Herrn verfügbarer zu sein, mit all euren Kräften, mit den Schwächen und mit der Entfaltung, die er euch schenkt. Daher wollen wir Gott für alles loben, für das Alter und für die Jugend, für Krankheit und Gesundheit, für die Gemeinschaften, die einen »Herbst« erleben, und für die, die einen »Frühling« erleben. Das Wesentliche besteht darin, nicht zuzulassen, dass der Böse uns die Hoffnung raubt. Das
erste, was der Böse versucht, ist, die Hoffnung zu rauben, so hat er uns in der Hand, immer. Denn die Armut im Sinne des Evangeliums ist voller Hoffnung, gegründet auf die Seligpreisung, die der Herr seinen Jüngern verkündet: »Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes« (Lk 6,20).
Liebe Brüder und Schwestern, danke für diesen Besuch! Die Jungfrau Maria begleite euch und stütze immer euren Weg. Von Herzen segne ich euch und alle eure Gemeinschaften. Und ihr, bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 17.10.2022)