Ein Richter ist völlig genervt. Normalerweise ist ihm alles egal, weil er weder Gott noch die Menschen fürchtet; weil er auf niemanden Rücksicht nimmt. Doch die Witwe, die immer wieder zu ihm kommt, um ihr Recht einzuklagen, lässt ihn einlenken und er verschafft ihr Recht, bevor sie ihm noch weiter auf die Nerven geht oder Schlimmeres passiert.
Das Beispiel dieses Richters verwendet Jesus, um seine Zuhörer etwas zu lehren, nämlich »dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten«. Im Gleichnis wird der Richter, der Gott nicht fürchtet und auf die Menschen keine Rücksicht nimmt, sich aber durch die dauernde Bitte der Witwe umstimmen lässt, zum Beispiel für das Handeln Gottes. So, wie der Richter die Witwe schließlich erhört, so erhört Gott seine Auserwählten, die zu ihm rufen.
Der Vergleich mag hinken, aber das Beispiel ist deutlich: Gott erhört das Gebet derer, die zu ihm rufen. Das Vertrauen auf Ihn wird nicht enttäuscht, sondern belohnt, wenn das vertrauensvolle Gebet vom Glauben getragen und selbst Ausdruck des Glaubens ist. Anders als der Richter im Gleichnis erhört aber Gott die Gebete nicht, weil er genervt ist, sondern weil er die Menschen liebt und ihr Heil will, in Zeit und Ewigkeit.
Gebet ist Ausdruck des Glaubens, des Vertrauens in Gott und seine Liebe; des Vertrauens, dass Gott am Werk ist und die Geschicke der Menschen lenkt. Daher kann die Frage, mit der Jesus sein Gleichnis etwas abrupt beendet, verwirren: »Wird der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?« Wird er Vertrauen auf Gott finden? Wird er Beter finden, die von Gott Erhörung ihrer Bitten erhoffen? Wird er Menschen finden, die im Gebet ihren Glauben zum Ausdruck bringen?
Mit dieser Frage verstärkt Jesus seine Einladung zum beständigen Gebet als Ausdruck des Glaubens. Er will in seinen Zuhörern über die Jahrhunderte hinweg Glauben wecken, der im Gebet seinen Ausdruck findet. Und zwar nicht nur im Bittgebet, sondern auch im Gebet des Dankes und des Lobes Gottes. Wer glaubt, kann darin gar nicht nachlassen.
P. Dr. Markus Graulich SDB,
Untersekretär des Dikasteriums für
die Gesetzestexte