· Vatikanstadt ·

Botschaft von Papst Franziskus anlässlich des Internationalen Tages gegen Lebensmittelverschwendung

Der Schrei der Hungernden muss Gehör finden

FILE PHOTO: Kadija Mohamed cooks food for her children in a camp set up for internally displaced ...
14. Oktober 2022

An Seine Exzellenz

Herrn Qu Dongyu,

Generaldirektor der FAO

Exzellenz!

Herzlich grüße ich die Teilnehmer an der Veranstaltung zum Internationalen Tag gegen Lebensmittelverschwendung und danke für den Platz, den Sie mir eingeräumt haben bei diesem Ereignis, das darauf abzielt, die Ernsthaftigkeit eines Problems hervorzuheben, das wir in dieser schwierigen Zeit, in der wir leben, nicht ignorieren dürfen.

Wenn Lebensmittel nicht richtig verwertet werden, weil sie entweder verderben oder verschwendet werden, sind wir der »Wegwerfkultur« ausgeliefert, die sich im Desinteresse für das Wesentliche oder im Festhalten am Unwichtigen zeigt. In Kennt-nis der Tatsache, dass sehr viele Menschen keinen Zugang zu angemessener Ernährung oder zu Mitteln ihrer Beschaffung haben – was ein grundlegendes und vorrangiges Recht eines jeden Menschen ist –, ist es wirklich beschämend und besorgniserregend zu sehen, wie Lebensmittel in den Müll geworfen werden oder verderben, weil es an den notwendigen Mitteln fehlt, um sie zu den Empfängern zu bringen.

Sowohl der Verlust als auch die Verschwendung von Lebensmitteln sind wirklich bedauerlich, weil sie die Menschheit in die spalten, die zu viel haben, und diejenigen, denen das Nötigste fehlt, weil sie Ungleichheiten verstärken, Ungerechtigkeit hervorrufen und den Armen das verweigern, was sie für ein Leben in Würde brauchen.

Der Schrei der Hungernden, die auf die eine oder andere Weise um ihr tägliches Brot gebracht werden, muss dort Gehör finden, wo die zentralen Entscheidungen getroffen werden. Und er darf nicht durch andere Interessen zum Schweigen gebracht oder unterdrückt werden, wenn man bedenkt, dass die jüngsten Daten des State of Food Security and Nutrition in the World Report (SOFI 2022) zeigen, dass die Zahl der hungernden Menschen auf unserem Planeten im letzten Jahr aufgrund der zahlreichen Krisen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, deutlich zugenommen hat. Daher möchte ich wiederholen: Wir müssen »sammeln, um umzuverteilen, und nicht produzieren, um zu verschwenden« (Ansprache an die Mitglieder des Europäischen Verbands der Lebensmittelbanken, 18. Mai 2019). Ich habe es bereits in der Vergangenheit gesagt, und ich werde nicht müde, es zu betonen: Lebensmittel wegzuwerfen bedeutet, Menschen wegzuwerfen!

Die gesamte internationale Gemeinschaft muss aktiv werden, um dem beklagenswerten »Paradox des Überflusses« ein Ende
zu setzen, das mein Vorgänger Johannes
Paul II. bereits vor 30 Jahren weitsichtig angeprangert hat (vgl. Rede zur Eröffnung der Internationalen Konferenz über Ernährung,
5. Dezember 1992). Es gibt genug Nahrung auf der Welt, damit niemand mit leerem Magen ins Bett gehen muss! Es werden mehr als genug Nahrungsmittel produziert, um 8 Milliarden Menschen zu ernähren. Es geht jedoch um die Frage der sozialen Gerechtigkeit, das heißt darum, wie die Bewirtschaftung der Ressourcen und die Verteilung des Reichtums geregelt werden.

Lebensmittel dürfen nicht Gegenstand von Spekulationen sein. Das Leben hängt von ihnen ab. Und es ist ein Skandal, dass die Groß-produzenten den zwanghaften Konsum fördern, um sich selbst zu bereichern, ohne die wirklichen Bedürfnisse der Menschen im Geringsten zu berücksichtigen. Der Nahrungsmittelspekulation muss ein Riegel vorgeschoben werden! Wir müssen aufhören, Lebensmittel, die ein grundlegendes Gut für alle sind, als gutes Geschäft für einige wenige zu betrachten.

Darüber hinaus trägt die Verschwendung oder der Verlust von Lebensmitteln erheblich zum Anstieg der Treibhausgasemissionen und damit zum Klimawandel und seinen schädlichen Folgen bei. Die Erde, die wir gierig ausbeuten, klagt wegen unserer Konsumexzesse und fleht uns an, sie nicht länger zu misshandeln und zu zerstören und fordert uns auf, unser Handeln zu verändern. Vor allem die jungen Menschen bitten uns eindringlich, an sie zu denken, unseren Blick zu schärfen und unser Herz zu weiten, damit wir unser Bestes geben, um für das gemeinsame Haus zu sorgen, das aus Gottes Hand stammt und das wir bewahren müssen, indem wir mit guten Werken auf das Böse antworten, das wir ihm antun.

Wir dürfen uns in dieser wichtigen Frage nicht mit rhetorischen Übungen begnügen, die in Erklärungen enden, die später aufgrund von Vergesslichkeit, Kleinlichkeit oder Gier nicht umgesetzt werden. Es ist an der Zeit, dringend notwendige Maßnahmen zu ergreifen und im Interesse des Gemeinwohls zu handeln. Sowohl Staaten als auch große multinationale Unternehmen, Verbände und Einzelpersonen – alle, niemand ist ausgeschlossen – müssen effektiv und ehrlich auf den herzzerreißenden Schrei der Hungernden reagieren, die Gerechtigkeit fordern.

Jeder von uns ist aufgerufen zu einer bewussten und verantwortlichen Umstellung des Lebensstils, damit niemand zurückbleibt und jeder die Lebensmittel erhält, die er braucht, sowohl in Bezug auf die Menge als auch auf die Qualität. Das sind wir unseren Angehörigen, den künftigen Generationen und denjenigen schuldig, die von wirtschaftlichem und existenziellem Elend betroffen sind.

Möge Gott, der Allmächtige, Ihre Arbeit zum Wohle der gesamten Menschheit segnen.

Aus dem Vatikan, 29. September 2022

(Orig. span.; ital. in O.R. 30.9.2022)