Jesus kommen unterwegs einmal zehn Aussätzige entgegen und rufen: »Hab Erbarmen mit uns« (Lk 17,13). Alle zehn werden geheilt, aber nur einer von ihnen kehrt zurück, um Jesus zu danken. Er ist ein Samariter, eine Art Häretiker für die Juden. Zunächst gehen sie alle gemeinsam, doch dann macht der Samariter etwas anderes, er kehrte zurück und »lobte Gott mit lauter Stimme« (V. 15). Bleiben wir bei diesen beiden Aspekten, die wir aus dem heutigen Evangelium mitnehmen können: gemeinsam unterwegs sein und danken.
Erstens: gemeinsam unterwegs sein. Zu Beginn der Erzählung besteht kein Unterschied zwischen dem Samariter und den anderen neun. Es wird einfach von zehn Aussätzigen erzählt, die sich zu einer Gruppe zusammenschließen und gemeinsam zu Jesus gehen. Lepra war, wie wir wissen, nicht bloß ein körperliches Übel – um dessen Ausrottung wir uns auch heute noch bemühen müssen –, sondern auch eine »soziale Krankheit«, denn damals mussten Aussätzige aus Angst vor Ansteckung außerhalb der Gesellschaft leben (vgl. Lev 13,46). Daher durften sie keine bewohnten Orte betreten, sie wurden auf Abstand gehalten und an den Rand des gesellschaftlichen und auch des religiösen Lebens gedrängt und isoliert. Indem sie zusammen unterwegs sind, bringen diese Aussätzigen ihren Protest gegen eine Gesellschaft zum Ausdruck, die sie ausgrenzt. Und halten wir fest: Der Samariter, auch wenn er als Häretiker, als »Ausländer« gilt, bildet mit den anderen eine Gruppe. Brüder und Schwestern, die gemeinsame Krankheit und Gebrechlichkeit lassen Barrieren fallen und jede Ausgrenzung überwinden.
Das ist auch für uns ein schönes Bild: Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, erinnern wir uns daran, dass wir im Herzen alle krank sind, dass wir alle Sünder sind und der Barmherzigkeit des Vaters bedürfen. Dann lassen wir uns nicht mehr nach Verdienst, nach Rollen, die wir innehaben, oder nach anderen Äußerlichkeiten auseinanderdividieren, und so fallen die inneren Mauern, fallen die Vorurteile. So entdecken wir uns endlich wieder neu als Geschwister. Auch Naaman, der Syrer, – daran hat uns die erste Lesung erinnert – war zwar reich und mächtig, musste aber, um geheilt zu werden, etwas Einfaches tun: in den Fluss tauchen, in dem alle anderen badeten. Zuallererst musste er seine Rüstung, seine Kleidung, ablegen (vgl. 2 Kön 5).
Wie gut tut es uns, wenn wir unsere äu-ßere Rüstung, unsere Verteidigungshaltung, ablegen und ein schönes Bad der Demut nehmen, eingedenk dessen, dass wir im Inneren alle schwach sind und alle heilungsbedürftig, dass wir alle Geschwister sind. Erinnern wir uns daran: Der christliche Glaube fordert uns immer dazu auf, gemeinsam mit anderen unterwegs zu sein, nie einsame Wanderer zu sein; er lädt uns immer dazu ein, aus uns selbst herauszugehen, uns auf Gott und unsere Brüder und Schwestern zuzubewegen und uns nie in uns selbst zu verschließen; er fordert uns immer dazu auf, anzuerkennen, dass wir der Heilung und der Vergebung bedürfen, und die Schwächen der Menschen um uns herum zu teilen, ohne uns ihnen überlegen zu fühlen.
Brüder und Schwestern, prüfen wir, ob wir in unserem Leben, in unseren Familien, an den Orten, an denen wir arbeiten und die wir täglich aufsuchen, fähig sind, mit den anderen zusammen unterwegs zu sein, ob wir fähig sind, zuzuhören, der Versuchung zu widerstehen, uns in unserer Selbstbezogenheit zu verbarrikadieren und nur an unsere eigenen Bedürfnisse zu denken. Doch gemeinsam unterwegs zu sein – also »synodal« zu sein – ist auch die Berufung der Kirche. Fragen wir uns, inwieweit wir wirklich offene und integrative Gemeinschaften gegenüber allen sind; ob wir, Priester und Laien, in der Lage sind zusammenzuarbeiten im Dienst am Evangelium; ob wir eine einladende Haltung einnehmen – nicht nur mit Worten, sondern mit konkreten Gesten – denjenigen gegenüber, die weit entfernt sind, und allen gegenüber, die sich an uns wenden und sich aufgrund ihrer schwierigen Lebenswege unzulänglich fühlen. Geben wir ihnen das Gefühl, Teil der Gemeinschaft zu sein, oder schließen wir sie aus? Es macht mir Angst, wenn ich christliche Gemeinschaften sehe, die die Welt in Gute und Böse, in Heilige und Sünder einteilen: Auf diese Weise fühlen wir uns am Ende besser als andere und grenzen viele aus, die Gott in seine Arme schließen möchte. Bitte, immer miteinbeziehen: in der Kirche wie in der Gesellschaft, die immer noch von viel Ungleichheit und Ausgrenzung geprägt ist. Alle miteinbeziehen.
Und heute, an dem Tag, an dem Scalabrini heiliggesprochen wird, möchte ich an die Migranten denken. Die Ausgrenzung der Migranten ist skandalös! Ja, die Ausgrenzung von Migranten ist kriminell, sie führt dazu, dass sie vor unseren Augen sterben. Und so haben wir heute die Situation, dass das Mittelmeer der größte Friedhof der Welt ist. Die Ausgrenzung von Migranten ist abscheulich, sündhaft und kriminell. Hilfsbedürftigen die Türen nicht zu öffnen. »Nein, wir schließen sie nicht aus, wir schicken sie weg«: in die Lager, wo sie ausgebeutet und als Sklaven verkauft werden. Brüder und Schwestern, denken wir heute an unsere Migranten, an diejenigen, die sterben. Und diejenigen, die es bis zu uns schaffen: Nehmen wir sie als Geschwister auf oder beuten wir sie aus? Ich lasse die Frage so stehen.
Der zweite Aspekt ist danken. In der Gruppe der zehn Aussätzigen gibt es nur einen, der, als er merkt, dass er geheilt wurde, zurückkehrt, um Gott zu loben und Jesus seine Dankbarkeit zu zeigen. Die anderen neun werden geheilt, gehen dann aber ihres Weges und vergessen denjenigen, der sie geheilt hat. Die Gnaden vergessen, die Gott uns schenkt. Der Samariter hingegen verwandelt das Geschenk, das er erhalten hat, in den Beginn eines neuen Weges: Er kehrt zu demjenigen zurück, der ihn geheilt hat, er lernt Jesus von Nahem kennen, er tritt ein in eine Beziehung mit ihm. Seine Haltung der Dankbarkeit ist also keine einfache Geste der Höflichkeit, sondern der Beginn eines Weges der Anerkennung: Er wirft sich Chris-tus zu Füßen (vgl. Lk 17,16), er vollzieht also eine Geste der Anbetung. Er erkennt an, dass Jesus der Herr ist und dass er wichtiger ist als die Heilung, die er erfahren hat.
Dies ist auch für uns eine wichtige Lehre, Brüder und Schwestern, für uns, die wir täglich in den Genuss von Gottes Gaben kommen, aber oft unseren eigenen Weg gehen und dabei vergessen, eine lebendige, wirkliche Beziehung zu ihm zu pflegen. Das ist eine hässliche geistliche Krankheit, wenn man alles für selbstverständlich hält, auch den Glauben, sogar unsere Beziehung zu Gott, was so weit gehen kann, dass wir zu Chris-ten werden, die nicht mehr wissen, wie man staunt, die nicht mehr wissen, wie man »danke« sagt, die keine Dankbarkeit zeigen, die die Wunder des Herrn nicht mehr erkennen können. »Christen wie Rosenwasser«, wie eine mir bekannte Dame zu sagen pflegte. Und so denkt man am Ende, dass alles, was wir jeden Tag erhalten, selbstverständlich sei und uns zustehe. Die Dankbarkeit, das »danke« sagen können, führt uns hingegen dazu, die Gegenwart des Gottes der Liebe zu bekennen. Und auch dazu, die Bedeutung der anderen zu erkennen und die Unzufriedenheit und Gleichgültigkeit zu überwinden, die das Herz verunstalten. Es ist von grundlegender Bedeutung, danken zu können. Jeden Tag dem Herrn danken, jeden Tag einander danken können: in der Familie für die kleinen Dinge, die wir manchmal erhalten, ohne dass wir uns überhaupt fragen, woher sie kommen; an den Orten, die wir täglich aufsuchen, für die vielen Dienste, die wir in Anspruch nehmen, und für die Menschen, die uns unterstützen; in unseren christlichen Gemeinschaften für die Liebe Gottes, die wir durch die Nähe von Brüdern und Schwestern erfahren, die oft im Stillen beten, opfern, leiden, mit uns zusammen unterwegs sind. Vergessen wir bitte nicht dieses Schlüsselwort: Danke! Vergessen wir nicht, Dank zu empfinden und »Danke« zu sagen.
Die beiden heute kanonisierten Heiligen erinnern uns daran, wie wichtig es ist, gemeinsam unterwegs zu sein und danken zu können. Bischof Scalabrini, der zwei Kongregationen für die Betreuung von Migranten gründete, eine für Männer und eine für Frauen, war der Auffassung, dass man im gemeinsamen Unterwegssein der Auswanderer nicht nur Probleme, sondern auch einen Plan der Vorsehung sehen solle: »Gerade wegen der durch Verfolgungen erzwungenen Migrationen«, sagte er, »hat die Kirche die Grenzen Jerusalems und Israels überschritten und ist ›katholisch‹ geworden; dank der heutigen Migrationen wird die Kirche ein Instrument des Friedens und der Gemeinschaft unter den Völkern sein« (L’emigrazione degli operai italiani, Ferrara 1899). Momentan gibt es hier in Europa eine Migration, die uns sehr leiden lässt und uns bewegt, unsere Herzen zu öffnen: die Migration von Ukrainern, die vor dem Krieg fliehen. Vergessen wir heute nicht die gepeinigte Ukraine!
Scalabrini besaß Weitblick, er blickte in die Zukunft, auf eine Welt und eine Kirche ohne Schranken, ohne Fremde. Und der Salesianerbruder Artemide Zatti mit seinem Fahrrad war ein lebendiges Beispiel für Dankbarkeit: von Tuberkulose geheilt, setzte er sich sein ganzes Leben dafür ein, anderen Gutes zu tun und die Kranken liebevoll und zärtlich zu pflegen. Es wird erzählt, man habe ihn einmal gesehen, wie er den toten Körper eines seiner Patienten auf seine Schultern lud. Voller Dankbarkeit für das, was ihm zuteilgeworden war, wollte er seinen Dank ausdrücken, indem er die Wunden der anderen auf sich nahm. Zwei Vorbilder.
Wir wollen beten, dass uns diese unsere heiligen Brüder helfen, gemeinsam unterwegs zu sein, ohne trennende Mauern, und diese edle, Gott so wohlgefällige Gesinnung der Dankbarkeit zu pflegen.
Am Schluss der heiligen Messe grüßte der Papst die Anwesenden mit den folgenden Worten:
Bevor ich diese Eucharistiefeier abschließe, grüße ich euch und danke euch allen, die ihr gekommen seid, um die neuen Heiligen zu ehren. Ich grüße die Kardinäle, die Bischöfe, die Priester, die Personen des geweihten Lebens, insbesondere die Missionare und Missionarinnen des heiligen Karl Borromäus und die Salesianischen Laienbrüder. Ich grüße die offiziellen Delegationen mit Dankbarkeit.