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FRAUEN KIRCHE WELT

Die Ideen

Die prophetische Stimme
der Frauen

 La voce profetica delle donne  DCM-009
01. Oktober 2022

In dem Essay am Anfang dieser Monatsbeilage schreibt die Theologin Cettina Militello, dass »die Prophetie der Frauen von der Gegenwart, von einem kritischen Blick auf die Gegenwart durchdrungen und eben deshalb offen für die Zukunft ist«. Genau das zeichnet die Frauen aus, von denen wir hier erzählen. Sie sind keine Hellseherinnen, sie predigen keine ferne Zukunft. Ihre Prophetie ist Instanz der Freiheit, Intelligenz der Ereignisse, Fähigkeit zur Vision: Mit aufmerksamem Blick für das, was geschieht, sprechen und arbeiten sie dafür, dass die Welt nicht in die Irre geht und gerechter und solidarischer wird. Sie überwinden geschlechtsspezifische, geographische, kulturelle, religiöse Barrieren und setzen sich für die Gerechtigkeit, den Frieden, die Bewahrung der Schöpfung ein.

Es sind Frauen, die Veränderungsprozesse einleiten, wenn sie den Eindruck haben, dass alles gefährlich stillsteht und bringen praktisch umsetzbare Erneuerungsvorschläge vor. Auch wenn es manchmal scheint, dass sie einer Utopie nachlaufen, stellen sie vielmehr das Wesentliche in den Mittelpunkt. Sie sind rebellisch aber praktisch.

Nach einer Typhuserkrankung ändert Maria Domenica Mazzarello, die Gründerin der Don-Bosco-Schwestern, ihren Lebensplan: sie hat nicht mehr die Kraft für körperliche Arbeit auf den Feldern, und da lernt sie Schneidern, eröffnet eine Werkstatt und fängt so an, an jenem Projekt zu arbeiten, was später als die Don-Bosco-Schwestern bezeichnet werden sollte: ihre Ordensfamilie, die anfangs gerade einmal aus zehn Schwestern bestand, ist heutzutage im Hinblick auf ihre Zahl und ihre weltweite Präsenz fast schon ein multinationales Unternehmen: über die fünf Kontinente verteilt sind es nunmehr elftausend Frauen. Die Prophetinnen unserer Zeit setzen das Wort oft gegen die falschen Propheten ein, die Nostalgiker einer vergangenen Welt, die von dem beeinflusst sind, was Papst Franziskus als »Indietrismus«, als Rückwärtsgewandtheit, bezeichnet.

Prophetisch ist auch die Stimme von Mariangela Gualtieri, der italienischen Dichterin, die ihre Texte nicht nur dem Papier anvertraut, sondern sie auch im Theater rezitiert.

Ebenso wie jene von Oodgeroo Noonuccal, der ersten Aborigine-Dichterin, Aktivistin, Künstlerin und australischen Pädagogin. Wir berichten auch über Dorothee Sölle, die deutsche evangelische Theologin, über ihr Gottes- und Menschenbild, ihre Aufmerksamkeit gegenüber pazifistischen, feministischen und ökologischen Bewegungen. Und dann die drei amerikanischen Pionierinnen der Rechte der Frauen, Susan B. Anthony, Sojourner Truth und Elizabeth Cady Stanton: die erste im Central Park in New York errichtete Statue für Frauen, die es wirklich gab, ist die ihre. Ein Denkmal für Fähigkeit und Mut.