Liebe Bischöfe, Priester und Diakone,
liebe Ordensleute, Seminaristen und
pastorale Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, guten Tag!
Ich freue mich, hier bei euch zu sein, die Zentralasiatische Bischofskonferenz zu begrüßen und einer Kirche zu begegnen, die aus so vielen verschiedenen Gesichtern, Geschichten und Traditionen besteht, die alle durch den einen Glauben an Jesus Christus vereint sind. Bischof Mumbiela Sierra, dem ich für sein Grußwort danke, sagte: »Die meis-ten von uns sind Ausländer«; das stimmt, denn ihr kommt aus verschiedenen Orten und Ländern, aber das Schöne an der Kirche ist: Wir sind eine einzige Familie, in der niemand ein Fremder ist. Ich wiederhole: Niemand ist ein Fremder in der Kirche, wir sind ein einziges heiliges Volk Gottes, das von vielen Völkern bereichert wird! Und die Stärke unseres priesterlichen und heiligen Volkes liegt genau darin, aus der Vielfalt einen Reichtum zu machen, indem wir teilen, was wir sind und was wir haben: das Geringe, das wir haben und sind, vervielfacht sich, wenn wir es teilen.
Der Abschnitt des Wortes Gottes, den wir gehört haben, bestätigt genau das: Das Geheimnis Gottes – sagt der heilige Paulus – ist allen Völkern offenbart worden. Nicht nur dem auserwählten Volk oder einer religiösen Elite, sondern allen. Jeder Mensch hat Zugang zu Gott, denn – so erklärt der Apostel – alle Völker sind Miterben, gehören zu demselben Leib und haben mit teil an der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium (vgl. Eph 3,6).
Ich möchte zwei Worte hervorheben, die Paulus verwendet: Erbe und Verheißung. Einerseits erbt eine Kirche immer eine Geschichte, sie ist immer Tochter einer ersten Verkündigung des Evangeliums, eines ihr vorausgehenden Ereignisses, anderer Apostel und Verkündiger des Evangeliums, die sie auf das lebendige Wort Jesu gegründet haben; andererseits ist sie auch die Gemeinschaft derer, die Gottes Verheißung in Jesus erfüllt gesehen haben und als Kinder der Auferstehung in der Hoffnung auf die zukünftige Erfüllung leben. Ja, wir sind Adressaten der verheißenen Herrlichkeit, die unsere Reise mit Erwartung belebt. Erbe und Verheißung: Das Erbe der Vergangenheit ist unsere Erinnerung, die Verheißung des Evangeliums ist die Zukunft Gottes, der uns entgegenkommt. Das ist es, worauf ich mit euch eingehen möchte: eine Kirche, die in der Geschichte unterwegs ist, zwischen Erinnerung und Zukunft.
Zuerst die Erinnerung. Wenn wir heute in diesem großen, multikulturellen und multireligiösen Land lebendige christliche Gemeinden und einen religiösen Geist finden, der sich durch das Leben der Bevölkerung zieht, dann ist das vor allem der reichen Geschichte zu verdanken, die euch vorausging. Ich denke an die Ausbreitung des Christentums in Zentralasien, die bereits in den allerersten Jahrhunderten stattfand, an die vielen Verkünder des Evangeliums und die Missionare, die alles gegeben haben, um das Licht des Evangeliums zu verbreiten, indem sie Gemeinschaften, Heiligtümer, Klöster und Got-teshäuser gründeten. Es gibt also ein christliches, ökumenisches Erbe, das geehrt und bewahrt werden muss, eine Glaubensweitergabe, bei der auch so viele einfache Menschen, so viele Großväter und Großmütter, Väter und Mütter eine wichtige Rolle gespielt haben. Auf dem geistlichen und kirchlichen Weg dürfen wir die Erinnerung an diejenigen nicht verlieren, die uns den Glauben verkündet haben, denn das Erinnern hilft uns, einen Geist der Kontemplation zu entwickeln, der die Wunder wahrnimmt, die Gott in der Geschichte gewirkt hat, selbst inmitten der Nöte
des Lebens und der persönlichen und gemeinschaftlichen Schwächen.
Aber seien wir vorsichtig: Es geht nicht darum, nostalgisch zurückzublicken, an den Dingen der Vergangenheit festzuhalten und uns in Unbeweglichkeit lähmen zu lassen. Das ist die Versuchung der Rückwärtsgewandtheit. Der christliche Blick will uns zum Staunen vor dem Geheimnis Gottes anregen, wenn er sich der Erinnerung zuwendet, um unsere Herzen mit Lob und Dankbarkeit für das zu erfüllen, was der Herr vollbracht hat. Ein dankbares Herz, das vor Lob überfließt, nährt kein Bedauern, sondern nimmt das Heute an, das es als Gnade lebt. Und es will sich auf den Weg machen, weitergehen und Jesus verkündigen, wie die Frauen und Jünger von Emmaus am Ostertag!
Es ist diese lebendige Erinnerung an Jesus, die uns mit Staunen erfüllt und die wir besonders aus dem eucharistischen Gedenken beziehen, die Kraft der Liebe, die uns antreibt. Sie ist unser Schatz. Deshalb gibt es ohne Erinnerung kein Staunen. Wenn wir die lebendige Erinnerung verlieren, besteht die Gefahr, dass Glaube, Frömmigkeit und pastorale Aktivitäten schwinden, dass sie wie Strohfeuer sind, die zwar schnell brennen, aber bald wieder erlöschen. Wenn wir unsere Erinnerung verlieren, erschöpft sich die Freude. Auch die Dankbarkeit gegenüber Gott und unseren Brüdern und Schwestern geht verloren, weil wir der Versuchung erliegen, zu denken, dass alles von uns abhängt. Pater Ruslan hat uns an eine schöne Sache erinnert: dass es schon viel ist, Priester zu sein, weil man im priesterlichen Leben merkt, dass das, was passiert, nicht unser eigenes Werk, sondern Geschenk Gottes ist. Und Schwester Clara, die über ihre Berufung sprach, hat vor allem denen danken wollen, die ihr das Evangelium verkündet haben. Danke für diese Zeugnisse, die uns einladen, uns dankbar an das empfangene Erbe zu erinnern.
Wenn wir in dieses Erbe hineinblicken, was sehen wir dann? Dass der Glaube nicht von Generation zu Generation als eine Reihe von Dingen, die man verstehen und tun muss, weitergegeben wurde, wie ein ein für alle Mal festgelegter Kodex. Nein, der Glaube ist durch das Leben weitergegeben worden, durch das Zeugnis, das das Feuer des Evangeliums mitten in die Verhältnisse hineinbrachte, um zu erleuchten, zu läutern und die tröstliche Wärme Jesu zu verbreiten, die Freude über seine rettende Liebe, die Hoffnung auf seine Verheißung. Indem wir uns erinnern, lernen wir also, dass der Glaube mit dem Zeugnis wächst. Der Rest kommt später. Dies ist ein Aufruf an alle, und ich möchte ihn allen Laien, Bischöfen, Priestern, Diakonen, Ordensmännern und -frauen wiederholen, die auf unterschiedliche Weise im pastoralen Leben der Gemeinden arbeiten: Lasst uns nicht müde werden, das Herzstück der Erlösung zu bezeugen, die Neuheit Jesu, die Neuheit, die Jesus ist! Der Glaube ist keine schöne Ausstellung von Dingen aus der Vergangenheit – dies wäre ein Museum –, sondern ein immer gegenwärtiges Ereignis, die Begegnung mit Christus, die hier und jetzt im Leben stattfindet! Deshalb kommuniziert man nicht bloß durch das Wiederholen der immergleichen Dinge, sondern durch das Weitergeben der Neuheit des Evangeliums. So bleibt der Glaube lebendig und hat Zukunft. Deshalb sage ich gern, dass der Glaube »in der eigenen Mundart« weitergegeben werden soll.
Kommen wir nun zum zweiten Wort: Zukunft. Die Erinnerung an die Vergangenheit schließt uns nicht in uns selbst ein, sondern öffnet uns für die Verheißung des Evangeliums. Jesus hat uns versichert, dass er immer bei uns bleibt: Es handelt sich also nicht um ein Versprechen, das nur an eine ferne Zukunft gerichtet ist, sondern wir sind aufgerufen, heute die Erneuerung anzunehmen, die der Auferstandene im Leben vorantreibt. Trotz unserer Schwächen wird er nicht müde, bei uns zu sein und die Zukunft seiner und unserer Kirche gemeinsam mit uns aufzubauen.
Sicher, angesichts der vielen Herausforderungen des Glaubens – vor allem was die Teilnahme der jüngeren Generationen angeht – sowie angesichts der Probleme und Mühen des Lebens und beim Schauen auf die eigene Anzahl könnte man sich in der Weite eines Landes wie diesem »klein« und unzureichend fühlen. Und doch machen wir eine überraschende Entdeckung, wenn wir den hoffnungsvollen Blick Jesu einnehmen: Das Evangelium sagt, dass es eine Seligkeit ist, klein und arm im Geiste zu sein, die ers-te Seligkeit (vgl. Mt 5,3), denn die Kleinheit überantwortet uns demütig der Macht Gottes und bringt uns dazu, unser kirchliches Handeln nicht auf unsere eigenen Fähigkeiten zu gründen. Und das ist eine Gnade! Ich wiederhole: Es liegt eine verborgene Gnade darin, eine kleine Kirche, eine kleine Herde zu sein; statt unsere Stärke, unsere Anzahl, unsere Strukturen und jede andere Form von menschlicher Relevanz zur Schau zu stellen, lassen wir uns vom Herrn führen und stellen uns demütig an die Seite der Menschen. Reich an nichts und arm an allem, gehen wir in Einfachheit, den Schwestern und Brüdern unseres Volkes nahe, und tragen die Freude des Evangeliums in die Lebenssituationen hinein. Wie die Hefe im Teig und wie das kleinste in die Erde geworfene Samenkorn (vgl. Mt 13,31-33) bewohnen wir die glücklichen und traurigen Ereignisse der Gesellschaft, in der wir leben, um ihr von innen heraus zu dienen.
Klein zu sein erinnert uns daran, dass wir nicht autark sind: dass wir Gott brauchen, aber auch die anderen, alle anderen: die Schwestern und Brüder der anderen Konfessionen, diejenigen, die sich zu anderen religiösen Überzeugungen als unserer eigenen bekennen, alle Männer und Frauen guten Willens. Wir sind uns im Geiste der Demut bewusst, dass wir nur gemeinsam, im Dialog und in gegenseitiger Annahme, wirklich etwas Gutes für alle erreichen können. Das ist die besondere Aufgabe der Kirche in diesem Land: keine Gruppe zu sein, die sich mit den immergleichen Dingen herumschlägt oder sich in ihrem Gehäuse verschließt, weil sie sich klein fühlt, sondern eine Gemeinschaft, die offen ist für Gottes Zukunft, die vom Feuer des Geistes entzündet ist: lebendig, hoffnungsvoll, verfügbar für seine Neuheiten und für die Zeichen der Zeit, beseelt von der evangeliumsgemäßen Logik des Samenkorns, das in demütiger und fruchtbarer Liebe Früchte bringt. Auf diese Weise bricht sich die Lebens- und Segensverheißung, die Gott Vater durch Jesus über uns ausgießt, nicht nur für uns Bahn, sondern verwirklicht sich auch für andere.
Und sie verwirklicht sich jedes Mal, wenn wir untereinander Geschwisterlichkeit leben, wenn wir uns der Armen und der vom Leben Verwundeten annehmen, jedes Mal, wenn wir in menschlichen und sozialen Beziehungen Zeugnis für Gerechtigkeit und Wahrheit ablegen und »Nein« zu Korruption und Falschheit sagen. Die christlichen Gemeinschaften, insbesondere das Priesterseminar, sollen »Schulen der Aufrichtigkeit« sein: keine starren und formalen Umgebungen, sondern Fitnessstudios der Wahrheit, der Offenheit und des Miteinanderteilens. Und in unseren Gemeinschaften – lasst uns daran denken – sind wir alle Jünger des Herrn: alle Jünger, alle wesentlich, alle von gleicher Würde. Nicht nur Bischöfe, Priester und Ordensleute, sondern jeder Getaufte ist in das Leben Christi eingetaucht worden und in ihm – wie uns der heilige Paulus erinnert hat – dazu berufen, das Erbe zu empfangen und die Verheißung des Evangeliums anzunehmen. Deshalb muss den Laien Raum gegeben werden: Das wird euch guttun, damit die Gemeinden nicht erstarren und sich nicht klerikalisieren. Eine synodale Kirche, auf dem Weg in die Zukunft des Geistes, ist eine Kirche der Teilhabe, der Mitverantwortung. Es ist eine Kirche, die fähig ist, hinauszugehen und auf die Welt zuzugehen, weil sie in Gemeinschaftlichkeit geübt ist. Mich hat beeindruckt, dass eine Sache in all den Zeugnissen vorkam: Nicht nur Pater Ruslan und die Schwestern, sondern auch Kirill, der Familienvater, erinnerte uns daran, dass wir in der Kirche, im Kontakt mit dem Evangelium, lernen, vom Egoismus zu bedingungsloser Liebe überzugehen. Es ist ein Herausgehen aus sich selbst, dessen jeder Jünger stets bedarf: Es ist das Erfordernis, die in der Taufe empfangene Gabe zu nähren, das uns überall in unseren kirchlichen Begegnungen, in den Familien, bei der Arbeit und in der Gesellschaft antreibt, Männer und Frauen des Miteinanders und des Friedens zu werden, die Gutes säen, wo immer sie sind. Offenheit, Freude und Miteinanderteilen sind die Zeichen der Urkirche und sie sind auch die Zeichen der Kirche der Zukunft. Lasst uns eine Kirche erträumen und mit Gottes Gnade aufbauen, die mehr von der Freude des Auferstandenen erfüllt ist, die Ängste und Klagen zurückweist, die sich nicht von Dogmatismus und Moralismus verhärten lässt.
Liebe Brüder und Schwestern, erbitten wir all dies von den großen Glaubenszeugen dieses Landes. Ich möchte besonders an den seligen Bukowiński erinnern, einen Priester, der sein Leben dafür hingab, sich um die Kranken, Bedürftigen und Ausgegrenzten zu kümmern und der seine Treue zum Evangelium mit Gefängnis und Zwangsarbeit bezahlte. Man hat mir erzählt, dass schon vor seiner Seligsprechung immer frische Blumen und eine brennende Kerze auf seinem Grab standen. Das ist eine Bestätigung dafür, dass das Volk Gottes erkennen kann, wo es Heiligkeit gibt, wo es einen Hirten gibt, der in das Evangelium verliebt ist. Ich möchte das vor allem den Bischöfen, den Priestern und auch den Seminaris-ten sagen, das ist unsere Aufgabe: nicht Verwalter des Heiligen oder Gendarmen zu sein, die sich um die Durchsetzung religiöser Normen sorgen, sondern Hirten, die den Menschen nahe sind, lebendige Abbilder des barmherzigen Herzens Christi. Ich denke auch an die seligen griechisch-katholischen Märtyrer, Bischof Budka, den Priester Zaryczkyj und Gertrude Detzel, deren Seligsprechungsprozess jetzt eröffnet ist. Wie uns Frau Miroslava sagte: Sie trugen die Liebe Christi in die Welt. Ihr seid ihr Vermächtnis: Seid die Verheißung einer neuen Heiligkeit!
Ich bin euch nahe und ich ermutige euch: Lebt dieses Vermächtnis mit Freude und bezeugt es großherzig, damit die Menschen, denen ihr begegnet, erkennen, dass es ein Hoffnungsversprechen gibt, das auch an sie gerichtet ist. Ich begleite euch mit dem Gebet, und jetzt vertrauen wir uns in besonderer Weise dem Herzen der seligen Jungfrau Maria an, die ihr in besonderer Weise als Königin des Friedens verehrt. Ich habe von einem schönen mütterlichen Zeichen gelesen, das sich in schwierigen Zeiten ereignet hat: Als so viele Menschen deportiert wurden und hungern und frieren mussten, erhörte sie als liebevolle und fürsorgliche Mutter das Gebet, das ihre Kinder an sie richteten. In einem der kältesten Winter schmolz der Schnee schnell und ließ einen See mit vielen Fischen zutage treten, die viele hungrige Menschen sättigten. Möge die Gottesmutter die Kälte der Herzen aufschmelzen, unsere Gemeinschaften mit neuer geschwisterlicher Wärme erfüllen und uns neue Hoffnung und Begeisterung für das Evangelium schenken! Ich segne euch von Herzen und danke euch. Und ich bitte euch, für mich zu beten.