Bericht aus einem Altenheim im westafrikanischen Benin

Die Freude, alten Menschen zu dienen

 Die Freude, alten Menschen zu dienen  TED-039
30. September 2022

»Als ich zum ersten Mal das Refektorium betreten habe und sah, wie die Ordensfrau einen älteren Menschen fütterte, habe ich Schönheit gesehen. Die Aufmerksamkeit einem eben erst angekommenen Menschen gegenüber… eine Aufmerksamkeit, die immer vorhält. Da herrschte keine Gleichgültigkeit, noch nicht einmal Herablassung, nichts Kitschiges. Was ich wahrgenommen habe, war Schönheit. Sie bringen in all das, was sie tun, Schönheit ein: in eine Dekoration, wenn sie die Messe vorbereiten, in ein Essen.«

Der Eindruck, den ihr erster Besuch im Jahr 2011 bei ihr hinterließ, war so stark, dass Berenice trotz der Tatsache, dass sie – durch eine Behinderung, die sie zwingt, im Rollstuhl zu sitzen – in ihren Bewegungen eingeschränkt ist, ein-, zwei- ja gar dreimal im Jahr (außer während der Pandemie) zu den Kleinen Schwestern der Armen in deren Haus in Tokan-Calavi in der Peripherie von Cotonou kommen wollte, das für ältere Menschen gedacht ist.

Das große, aus ockerfarbenen und beigen Ziegelsteinen errichtete Haus erreicht man über unbefestigte Straßen aus roter Erde. Bevor 2001 – zwei Jahre nachdem die Kongregation nach Benin gekommen war – der Grundstein gelegt wurde, gab es dort rein gar nichts. Nach und nach hat sich die Umgebung belebt und diverse Gebäude sind entstanden. Das Haus der Schwestern liegt in einem Stadtgebiet, bleibt aber für seine 32 Gäste eine Oase des Friedens.

Unentgeltlich und
aus Liebe geben

»Die alten Menschen haben in ihrem Leben schon viel gelitten«, erläutert die Leiterin des Hauses in Tokan. »Sie haben viel gearbeitet, und jetzt sind sie müde. Und wir sind dazu da, ihnen zu zeigen, dass man unentgeltlich und aus Liebe geben kann. Bei uns erleben sie einen gewissen Wohlstand. Es gefällt ihnen, sie sind heiter und gelassen. Der Beweis dafür ist, dass sie bereits seit 10, 15 Jahren hier sind. Wenn sie zu uns kommen, verlängert sich ihr Leben«, präzisiert Sr. Filomena.

Die nigerianische Ordensfrau hat ihre Berufung im Alter von 14 Jahren empfangen, als sie mit einem Priester ihrer Gemeinde das Haus der Kleinen Schwestern besuchte. »Gerade dort habe ich verstanden, wie schön es ist, mein Leben dem Dienst an den anderen zu widmen.« Sr. Filomena hat eine lebendige Erinnerung an ihre Großmutter, die ihre Kindheit begleitet hat. »Ich war so glücklich darüber, bei ihr zu leben. Ich habe all das gesehen, was ich für sie tun konnte. Ich sah, wie glücklich wir waren, als sie noch lebte.« Sie erinnert sich an die Märchen, die ihr die Großmutter erzählte, an die Komplizenschaft bei Lausbubenstreichen, an Zurechtweisungen, die ohne Drohungen oder Strafen ausfielen. Sr. Filomena erläutert, dass sie schon damals die Freude erahnte, die das Leben mit alten Menschen bereitet.

Gemeinsam mit den anderen Schwestern ihrer Gemeinschaft versucht Sr. Filomena, ihren Gästen Mut zu machen: »Wir bemühen uns, ihnen Lebensfreude zu vermitteln, sie wieder aufblühen zu lassen und die Lebenszeit und die Kräfte, die der Herr ihnen schenkt, zu nützen, denn, sehen Sie, es geschieht leicht, dass die älteren Menschen glauben, nichts mehr tun zu können. Dagegen ist es wichtig, ihnen verständlich zu machen, dass sie immer noch imstande sind, Dinge zu tun.«

Denn bei den Kleinen Schwestern gibt es immer etwas zu tun. Nach der Frühmesse und einer Zeit fürs Gebet frühstücken die Gäste und sind dann eingeladen, sich an der Hausarbeit zu beteiligen. Einige helfen in der Küche beim Gemüseputzen, andere gehen in die Wäscherei, um die getrocknete Wäsche zu falten und aufzuräumen. Und dann gibt es jene, die den Gebrechlichsten dabei helfen, eine Runde durch den Garten zu drehen. Das Haus ist ebenerdig gebaut, um das Gehen zu erleichtern; es liegt im Schatten vieler Bäume und kann auf einen eigenen Nutzgarten
zählen.

Schwieriges Leben ohne Angehörige oder Sozialfürsorge

Das Haus der Kleinen Schwestern erhält den Besuch vieler Wohltäter und Freunde, aber nur selten von Angehörigen der Gäste. Was die eingehenden Aufnahmeanträge anbelangt, so wurden die Alten in Tokan aus den Reihen der Ärmsten der Armen und der Einsamsten ausgewählt. Tatsächlich wurden einige von ihren Familien ganz wörtlich im Stich gelassen. »Das Leben hat sich radikal verändert, und leider haben viele Kinder derartige Verpflichtungen, dass es ihnen unmöglich ist, sich um ihre Eltern zu kümmern. Sie ziehen in die Stadt, und die Eltern bleiben in den Dörfern. Sieht man einmal von denen ab, die finanziell noch von ihren Eltern abhängen, gibt es nur ganz wenige Kinder, die bleiben, um mit ihnen zusammenzuleben«, erzählt Sr. Filomena. Sie hebt hervor, dass in den letzten Jahren die Zahl der Aufnahmeanträge bei ihrer Einrichtung praktisch explodiert ist. »Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen«, bedauert sie. In Benin, so erläutert die Ordensfrau, gibt es weder eine Politik der Sozialfürsorge noch eine finanzielle oder gesundheitliche Betreuung älterer Menschen.

Zur weiteren Erläuterung der Tatsache, dass einige alte Menschen im wahren Sinne des Wortes ausrangiert werden, erzählt uns die Ordensfrau aus Nigeria von einem Volksglauben, der sie zutiefst betroffen gemacht hat. In ihrer Heimat kamen junge Verlobte, um den Segen der Großeltern einzuholen, die im Haus der Kleinen Schwes-tern in ihrem Heimatland lebten. In Benin sehe dies ganz anders aus: Während einige ihre Großeltern lieben und ehren, halten andere die alten Menschen für Hexer oder denken, dass sie sich zumindest der Hexerei bedienen, um ihr Leben auf Kosten der anderen Menschen zu verlängern. Für diese Überzeugungen hat Sr. Filomena überhaupt kein Verständnis und hält sie auf Distanz.

In Tokan geben die Kleinen Schwestern genau wie in ihrem 2018 eröffneten Haus in Porto-Novo Tag für Tag Zeugnis von ihrer Freude, den älteren Menschen zu dienen. Sie engagieren sich bei Begegnungen in den Stadtvierteln, in den Gemeinden, in den Schulen für deren Eingliederung und Rehabilitierung. Wo immer es möglich ist, bringen sie die unlängst von Papst Franziskus bei den Generalaudienzen in Rom gehaltenen Katechesen mit, die den älteren Menschen gewidmet waren.

#sistersproject

Von Marie Duhamel