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Gedanken zum Sonntag - 25. September: 26. Sonntag im Jahreskreis

Oasen der Barmherzigkeit

 Oasen der Barmherzigkeit  TED-038
23. September 2022

Ein kontrastreiches Gleichnis voll Farben, Gerüchen und Geschmäckern (Lk 16,19-31): Edles Purpur, feines Leinen, zahllose glanzvolle Feste und reich gedeckte Tische überstrahlen die Realität des Hungrigen direkt vor der Tür. Obgleich nur wenige Schichten Baumaterial beide Welten trennen, könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Dann ein Szenenwechsel. Gottes Perspektive wird sichtbar. Lazarus nimmt Platz am Tisch des himmlischen Mahles (Mt 8,11), »der Reiche« geht leer aus. Er schaut zu Lazarus. Vielleicht sieht er ihn auch das erste Mal wirklich, obwohl dieser doch stets direkt vor seiner Tür lag. Doch seine Sinne und sein Herz waren zu sehr eingenommen vom materiellen Besitz und anderen unbeständigen Gütern. Er wurde so blind für die Realität um sich herum und taub für die existenziellen Sorgen der Menschen in seiner Umgebung. Und auch jetzt sieht er in Lazarus nicht mehr als seinen Diener (Lk 16,24.27).

Das Gleichnis ist ein Appell an jeden von uns: Egal wie viel oder wenig wir »haben« und unabhängig von unserem vermeintlichen Status oder unserem Ansehen sollten wir uns einen ungetrübten Blick auf die Welt um uns herum erhalten. Dies schließt das Wahrnehmen des Schönen und Guten mit ein, aber ebenso Ungerechtigkeiten und Missstände. Es fordert uns dazu auf, uns von den Nöten unserer Mitmenschen wie Hunger, Trauer und Vereinsamung anrühren zu lassen und Verantwortung zu übernehmen und das, was wir haben, zu teilen.

Nicht nur unsere materiellen Güter, sondern unsere ganze Person, unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit müssen wir dazu einbringen. Diese Form der Barmherzigkeit ist zentraler Kern der christlichen Botschaft und somit lebendige Glaubenspraxis. Durch eine solche aufmerksame Zugewandtheit wirkt Christus, der selbst das Antlitz der Barmherzigkeit ist, in der Welt. »Überall, wo Christen sind«, sollte »ein jeder Oasen der Barmherzigkeit vorfinden« (Papst Franziskus). Das macht jede getaufte Person zu einem Botschafter der Barmherzigkeit in ihrem eigenen Umfeld.

Hannah Hassanein,
Theologische Referentin im Bistum Aachen.