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Ausstellung über die Via dei Fori Imperiali in Rom

Der Elefant und der verlorene Hügel

 Der Elefant und der verlorene Hügel  TED-038
23. September 2022

Seit geraumer Zeit erfreuen die römischen städtischen Museen mit kleineren, jedoch spannenden Ausstellungen an einzigartigen Standorten: am Kapitol, bei der Ara Pacis, und jetzt in den sogenannten Trajansmärkten, einem zum Forum des Kaisers gehörigen weitläufigen Verwaltungs- und Gewerbekomplex, seit 2007 Architekturmuseum der Kaiserforen.

Die Trajansmärkte wurden vor 112 n. Chr. am Hang des teilweise abgetragenen Quirinal-Hügels über sechs Niveaus errichtet, mit einer monumentalen zwei-geschossigen Aula, diversen Trakten sowie Tavernen entlang der Via Biberatica. Moderne Panorama-Terrassen überblicken das antike Rom und die zum Kolosseum führende Via dei Fori Imperiali, die Straße der Kaiser-foren.

Gerade das Projekt dieser jedem Rom-
Besucher bekannten Prachtstraße, zur Zeit ihrer Gründung 1932 durch Mussolini, der das kaiserliche Rom unter den Auspizien des Faschismus wiederauferstehen lassen wollte, Via dell’Impero genannt und für Militärparaden bestimmt, war der Anlass für eine Kette von singulären Ereignissen – Inhalt der jetzigen Ausstellung in den Trajansmärkten.

Archäologisches Herz

Eine Verbindung zwischen den Stadtvierteln im Zentrum, der Piazza Venezia und den Wohnvierteln am Esquilin und beim Lateran war zwar im städtischen Bebauungsplan von 1931 vorgesehen, aber keine so breite, vor allem geradlinige Straße, die geradewegs durch das archäologische Herz Roms führte.

Zu ihrer Realisierung waren Zerstörungen unvermeidlich. Im Osten vor dem Kolosseum stellte sich dem geplanten Straßenzug jedoch ein schier unüberwindliches Hindernis entgegen: ein ganzer Hügel, 200 Meter breit und 40 bis 60 Meter hoch, die »Velia«. Er erstreckte sich von den Hängen des Palatin zum Oppius, einem Teil des Esquilin mit erhaltenen Resten der Domus Aurea Neros. Imposante Bauwerke wie der Tempel der Venus und Roma sowie die Maxentius-Basilika stehen auf der Velia. Dieser Hügel wurde nun zum Großteil eliminiert.

Es war nicht das erste Mal in der Geschichte Roms, dass dort ein Hügel abgetragen wurde, zumindest teilweise: berühmt ist die Eliminierung des westlichen Abhanges des Quirinals, circa 316.000 Kubikmeter Erdreich, für den Bau des Trajansforums und der erwähnten Trajansmärkte. Die Arbeiten waren schon unter Domitian (†96 n. Chr.) begonnen worden, entscheidend war jedoch das Projekt von Trajans genialem Architekten Apollodorus von Damaskus.

Im Herbst 1931 begannen die Arbeiten für die Via dei Fori Imperiali. Sie wurden in größ-ter Hast vorangetrieben, denn der Duce wünschte die Fertigstellung zum 28. Oktober 1932, dem zehnten Jahrestag des »Marsches auf Rom«.

Die Ausgrabungen zur Abtragung der Velia konnten aus Zeitgründen keinen wissenschaftlichen Kriterien folgen. Nach Meinung von Antonio Muñoz, Direktor der Abteilung »Antike und Schöne Künste« und Befürworter des urbanistischen Projekts, waren keine relevanten archäologischen Funde zu erwarten. Muñoz ist übrigens auch der Erfinder des Namens »Via dell’Impero« für die Straße. Er bezog sich damals allerdings auf das antike Imperium Romanum. Nicht viel später verband man den Namen jedoch eindeutig mit der auf der »Romanitas« gründenden faschis-tischen Reichsidee.

Der Leiter der Ausgrabungen, der Archäologe Antonio Maria Colini, sammelte Material so gut es ging: Notizen, Fotografien, Listen der Fundstücke, jedoch fast immer ohne Angabe von Ort und Kontext. Das Material aus allen Epochen – römisch, byzantinisch, mittelalterlich – wurde in 24 Kisten ins städtische Antiquarium am Caelius verbracht und dort der Vergessenheit überlassen. Eine Vitrine im ersten Saal der Ausstellung mit bunt gemischten Funden gibt einen Eindruck von der damals herrschenden Konfusion. Nur die 1931-1932 ausgegrabenen Marmorskulpturen fanden Aufstellung auf dem Kapitol im damals »Museo Mussolini« benannten Sektor; seit 1997 befinden sie sich in der Zweigstelle Centrale Montemartini.

Erst in den letzten Jahren wurde in mühsamer Kleinarbeit der Inhalt der Kisten untersucht und geordnet mit dem Ziel, sie in einen Kontext einzuordnen und einen Zusammenhang zu rekonstruieren. Das Ergebnis ist diese interessante kleine Ausstellung, ein Stück Stadtgeschichte und mehr, die uns als letzte Überraschung bis in die Prähistorie führt.

Der fatalen Eliminierung des Großteils der Velia fiel der bis zur Apsis der Maxentius-basilika reichende Renaissancegarten der Villa Rivaldi mit seinen Terrassen, Brunnen, Stuck und Malerei dekorierten Gartenmauern und dem darunterliegenden archäologischen Bestand zum Opfer. Nur Fotografien und kurz vor der Zerstörung angefertigte Aquarelle in der zweiten Sektion der Ausstellung erinnern an die vergangene Pracht. Erhalten blieben nur einer kleiner Teil des Gartens nördlich der Via dei Fori Imperiali und der Palazzo. Letzterer wurde seit 2020 in der Presse des Öfteren erwähnt, seit Kulturminis-ter Franceschini anlässlich der großen Torlonia-Ausstellung die Villa Rivaldi als mögliche Ausstellungsstätte für die bedeutende Antikensammlung in Aussicht stellte; jedenfalls nahm die Restaurierung der freskengeschmückten Säle ihren Anfang.

Korrekter Name der einst im Besitz bedeutender Kardinäle befindlichen Residenz ist Villa Silvestri-Margotti-Savoia-Rivaldi. Ihr Erbauer war der Geheimkämmerer von Papst Paul III., Eurialo Silvestri, der 1542 auf der Höhe der Velia mehrere Grundstücke erwarb, um dort im Hinblick auf den erhofften Kardinalstitel eine luxuriöse Residenz zu errichten. Wenige Jahre zuvor, 1537, hatte Kardinal Alessandro Farnese begonnen, sich gegen-über am Hang des Palatin zur Errichtung der Farnesischen Gärten anzukaufen. In dieser erlesenen Umgebung und Nachbarschaft legte Silvestri auch eine Antikensammlung an: 1549/50 erwähnt Ulisse Aldrovandi in seiner Schrift »Le antichità della città di Roma« (1556) dort mehrere Marmorstatuen. Der Palast wird niemand geringerem als Antonio da Sangallo d. J. zugeschrieben, dem Architekten des Palazzo Farnese. 1577 überließen Silvestris Erben den Besitz auf Lebenszeit dem Gesandten der Medici am Heiligen Stuhl und Erzbischof von Florenz, Alessandro Ottaviano de’ Medici, ab 1583 Kardinal und 1605 für einen knappen Monat als Leo XI. auf dem Papstthron. Dieser berief den Architekten Giacomo Del Duca. Unter ihm wurde die unter dem Garten gelegene antike römische Krypto-porticus (ein unterirdischer Wandelgang) wieder aktiviert. Die antike Stützmauer der zur Maxentiusbasilika gerichteten Terrasse überbaute Del Duca. Von 1591 bis 1605 überließ Medici die Residenz dem Herzog von Zagarolo, Marzio Colonna.

1609 verkaufte die Familie Silvestri die Villa an Kardinal Lanfranco Margotti, persönlicher Sekretär Papst Pauls V. Dessen Familienarchitekt Jus van Santen/Giovanni Vasanzio übernahm die von Kardinal Lanfranco geplanten Arbeiten mit neuen Brunnen, unter anderem einem »Teatro Prospettico«, tatsächlich ein Nymphäum. Der erweiterte und verschönte Garten wurde gepriesen und sogar vom Papst besucht.

Zeugnisse römischer Glorie

Doch Kardinal Margotti starb bereits 1611, und nach Jahren des Verfalls übernahm
Kardinal Carlo Emanuele Pio di Savoia die Residenz. Unter ihm erlebte die Villa ihre größte Blütezeit; der Garten wurde zum Kolosseum hin um einen Zitronenhain, einen Pavillon, antikisierende Statuen und muschelgeschmückte Nymphaeen bereichert. Dieser Garten Eden in unmittelbarer Nähe der größ-ten Zeugen der römischen Glorie – Forum, Palatin, Kolosseum – fand Erwähnung in allen Stadtführern. Nach dem Tod des Kardinals 1641 erbte sein Neffe Carlo Pio di Savoia den Besitz, den er aber aufgrund seines Wohnsitzes in Ferrara 1660 an das »Conservatorio delle Zitelle Mendicanti« verkaufte, eine fromme Stiftung für arme Mäd-chen. Ein testamentarischer Nachlass des Protektors des Instituts, Msgr. Ascanio Rivaldi, ermöglichte den Erwerb (daher »Villa Rivaldi«).

Schlagartig änderte sich mit der neuen Funktion der Aspekt: aus einem Lustgarten mit Palazzo wurde ein funktionsbezogenes Mädchenheim mit Schlaf- und Speisesaal, Kirche und einer Wollmanufaktur mit Spinnerei; aus den Grünanlagen wurden Nutzgärten, aus den Nymphäen Kapellen. 1932 folgte schließlich die Vernichtung des Gartens, mit unvermeidlichem Verfall des Gebäudes.

Der erwähnte, fast völlig erhaltene unterirdische Trakt einer Kryptoporticus (5,5 Meter hoch), einer wohl vierflügeligen Anlage mit Fensteröffnungen unter dem Garten von Villa Rivaldi wurde ebenfalls zerstört. Sie gehörte zu einer ausgedehnten römischen Domus und war in zwei Phasen mit Fresken vor weißem Grund geschmückt. Darüber grub man einen von gewölbten Gängen umgebenen Gartenhof (Peristyl) aus. Mehrere Künstler dokumentierten auf Aquarellen die Fund-situation; es fehlen jedoch präzise schriftliche Angaben zur Grabung. Einige Fresken wurden glücklicherweise trotz der fiebrig voranschreitenden Arbeiten abgenommen und sind nun zum ersten Mal ausgestellt. An einer Schmalseite befand sich eine Brunnen-nische.

Genau diese antike Architektur – ein Nymphäum flankiert von einer Nischenarchitektur – versuchte Antonio Muñoz, dem die architektonische und künstlerische Ausstattung der Paradestraße anvertraut war, in mehreren Entwürfen für die Stützmauern entlang der Straße zu evozieren.

Die Domus war nicht der einzige Fund in der Villa Rivaldi; im Westen grub man eine Stützmauer der Velia aus der Zeit Neros aus; daneben eine weitere Substruktion aus rautenförmigem Ziegelmauerwerk (opus reticulatum). Hinter der Mauer muss sich ein Wohn- und Handelsviertel mit einer insula (mehrstöckiger Häuserblock) aus der Mitte des 2. Jh.s. n. Chr. befunden haben.

All dies können die heutigen Archäologen aus Ermangelung einer wissenschaftlichen Dokumentation nur vage rekonstruieren.

Die größte Überraschung präsentierte sich den Ausgräbern am 20. Mai 1932, als vor dem Tempel der Venus und Roma und der Basilika in 11 Meter Tiefe der Schädel und ein Stoßzahn (zusammen 3,60 Meter) eines prähistorischen Elefanten (Elephas/Palaeoxodon antiquus) zutage kam! Und auch Schrecken, dass sich wegen des aufsehenerregenden Fundes der von Mussolini gewünschte Termin verzögern könnte. Daher wurde der Schädel mit weiteren Funden wie frühen Hirschtieren und einem Nilpferd (Hippototamus amphibius) eilig ins Antiquarium transportiert, um dort restauriert zu werden. Mit der Schließung des Antiquariums 1939 geriet er in Vergessenheit, bis zur Ausstellung »Die Wissenschaft in Rom« 2021. Glücklicherweise war der Vorschlag des Archäologen Marchetti Longhi 1934, zur Erinnerung an das Ereignis auf der nördlichen Terrasse der Via dei Fori Imperiali die monumentale Skulptur eines Elefantenkopfes zu errichten, nicht zur Ausführung gelangt.

1932, L’elefante e il colle perduto [1932, Der Elefant und der verlorene Hügel]. Mercati di Traiano, Museo dei Fori Imperiali, bis 2. Oktober 2022, täglich 9.30 – 19.30. Mercatiditraiano.it; museiincomune.it.

Von Brigitte Kuhn-Forte