· Vatikanstadt ·

Eine Ordensschwester berichtet über ihre Erfahrungen in Myanmar

Bei den Menschen bleiben

Myanmar nun Sister Ann Rose Nu Tawng kneels in front of police officers to ask security forces to ...
23. September 2022

Dies ist meine erste Erfahrung in einem fremden Land, das in den vergangenen Jahren nicht nur die Covid-Pandemie erlebt hat, sondern auch den Militärputsch vom 1. Februar 2021, der im Mai in den noch anhaltenden Bürgerkrieg mündete. Letzteres Ereignis verursachte Demonstrationen, Proteste und weit verbreitete Unruhen in mehreren Teilen des Landes; viele Menschen flohen in den Dschungel, um ihr Leben zu retten. Zahlreiche Ordenskongregationen, die in Myanmar leben und arbeiten, haben ihren Protest angesichts dieser Situation offen geäußert: Man denke nur an Sr. Ann Rose Twang und ihre mutige Geste, vor einem bewaffneten Soldaten niederzuknien.

Meine erste Erfahrung rief widersprüchliche Gefühle in mir hervor. Einerseits kam ich ja aus einem anderen Land und stand daher in der Schuld der Behörden, die mir eine Arbeitserlaubnis gegeben hatten. Mir war bewusst, dass mein Visum eingezogen werden konnte und ich Gefahr lief, in mein Herkunftsland zurückgeschickt zu werden. Gleichzeitig war mir vollkommen klar, dass ich mit meinen Äußerungen sehr vorsichtig sein musste, weil die Gefahr bestand, bei den Behörden angezeigt zu werden.

Nach den Mühen der Integration in ein neues Umfeld und des Erlernens einer Sprache, die ich vorher gar nicht kannte, stand ich vor einer neuerlichen Prüfung: Gott stellte mich vor die Herausforderung, bereit zu sein zum Leiden mit meinem Volk, das Er selbst mir anvertraut hat.

Demütig muss ich zugeben, dass ich Zeiten des Zweifels und der Angst erlebt habe und noch erlebe. Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich die Geduld, vor allem aber den Glauben besitze, um auf Gott, der uns nicht enttäuschen wird, zu vertrauen. Der selige Nicolas Barré hat gesagt: »Auch wenn alles gegen jede Hoffnung zu sprechen scheint, hoffe weiter auf Ihn.« Die Frage ist, ob ich bereit bin, auf diese Worte unseres Gründers zu vertrauen.

Bereit sein zum Leiden
mit meinem Volk

Langsam, aber unweigerlich und auf eine mir unbekannte Art wurde mir bewusst, dass Gott mich in Situationen eintaucht, in denen ich meine Treue zu Ihm unter Beweis stellen soll. Durch die Auseinandersetzung mit Situationen, die ich zuvor noch nicht erlebt hatte, und auf mich allein gestellt, wurde mir klar, dass »Gottes Übermaß an Liebe« unsere einzige Sicherheit ist und bleibt. Das war der entscheidende Moment auf meinem Glaubensweg zur Entdeckung, dass ich »nicht mehr umkehren konnte«. Von da an war ich entschlossen, bereit zu sein, mein Leben für die Mitmenschen, vor allem für die Armen, hinzugeben. Mit dieser Bewusstmachung (Erleuchtung, würde ich sagen) spürte ich in mir – auf eine unerklärliche und providentielle Weise – Ruhe und Frieden, wie ich sie nie zuvor erfahren hatte.

Wenn man auf die Lage in Myanmar schaut, besteht keinerlei Gewähr, dass mein Leben in Sicherheit ist. Die Militärs sind nicht in der Lage, den zivilen Ungehorsam und die Protestmärsche des Volkes zu stoppen, und haben daher begonnen, auf die demonstrierende Menge zu schießen. Viele junge Menschen sind ums Leben gekommen. Viele junge Frauen wurden gnadenlos vergewaltigt und umgebracht. Sehr viele Leute sind noch auf der Flucht, und eine große Zahl ihrer Häuser wurde in Brand gesteckt.

Unter diesen Umständen besteht keinerlei Gewähr, dass mein Leben verschont wird. Ich könnte durch eine Bombenexplosion oder durch eine einzige Kugel sterben. Das kann sehr furchterregend erscheinen, aber es ist die Wirklichkeit, mit der wir es zu tun haben. Wenn es der Wille Gottes für mich ist, bin ich darauf vorbereitet: Wie Jesus sein Leben für seine Schafe hingegeben hat, bin ich bereit, mein Leben für meine Mitmenschen hinzugeben.

Aufgrund der Unterdrückung durch das Militär haben viele Menschen ihre Arbeit verloren und können ihre Familien nicht mehr ernähren. Skrupellose Händler nutzen diese Situation aus und haben die Preise der Nahrungsmittel angehoben. Die große Mehrheit der Bevölkerung steht am Rande des Hungers. Wenn es so weitergeht, wird die Lage immer katastrophaler, und die Armen werden am meisten davon betroffen sein. Es ist schmerzlich und herzzerreißend, viele Menschen an Nahrungsmangel sterben zu sehen.

Die Präsenz der
Schwestern vom Kinde Jesu

In Anbetracht dieser Zustände sieht der übergroße Teil der Bevölkerung in der Präsenz der Schwestern einen Segen. Die Menschen schätzen unsere Anwesenheit und unsere Unterstützung und wissen, dass jederzeit eine Schwester da ist, an die sie sich wenden können, um über ihre Sorgen und Ängste, ihre Frustration und ihre seelischen Probleme zu reden. Wir sind nicht in der Lage, die Menschen finanziell zu unterstützen, und sie wissen das. Dennoch ist der Blick auf uns und unsere Präsenz schon ein Segen. In der Kultur Asiens ist diese Einstellung unter den Buddhisten, den Katholiken und sogar den Hindus weit verbreitet. In diesem Sinne habe ich die prophetische Eingebung des seligen Nicolas Barré verstanden, wenn er von den Schwes-tern verlangte, mit und unter den Armen zu leben und sich in deren Situation hineinzuversetzen. »Bei ihnen bleiben.« Das ist alles, was von uns erwartet wird. Zugleich ist mir bewusst geworden, dass wir von den Menschen um uns evangelisiert werden. Oft sind sie die besten Lehrer für uns, und ich kann viel von ihnen lernen.

Das wurde Wirklichkeit, als ich Ende Juni 2021 nach Yangon fuhr, um mein Visum und meinen Pass zu verlängern. Ich war mir nicht sicher, ob mein Visum überhaupt erneuert werden konnte. Vor meiner Abreise nach Yangon bat ich die Menschen, die zu uns kommen, für mich zu beten. Ihre spontane Reaktion war herzerwärmend.
Sie sagten mir: »Mach dir keine Sorgen, Schwes-ter, alles wird gut gehen, und du bekommst dein Visum. Gott wird dich nicht enttäuschen. Er will, dass du weiter bei uns bleibst. Er kennt unsere Herzen.« Mir wurde bewusst, dass sie mir auf diese Weise den Glauben beibrachten. Auch wenn sie arm, einfach und ungebildet waren, besaßen sie einen stärkeren Glauben als ich. Jetzt habe ich verstanden: Wenn Gott will, dass ich seinem Volk auch in Zukunft diene, wird Er das Nötige dafür tun. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen, aber ich muss Ihn unaufhörlich bitten, meinen Glauben zu vermehren.

#sistersproject

Von Sr. Rosalind Arokiaswami IJS