Herr Staatspräsident,
hochverehrte Mitglieder der Regierung
und des Diplomatischen Korps,
hochgeehrte religiöse und
zivile Verantwortungsträger,
sehr geschätzte Vertreter der
Zivilgesellschaft und des
kulturellen Lebens,
meine Damen und Herren!
Ich grüße euch herzlich und danke dem Herrn Präsidenten für die Worte, die er an mich gerichtet hat. Es ist mir eine Ehre, hier bei euch zu sein, in diesem weiten Land mit seiner großen Geschichte, in das ich als Pilger des Friedens komme, auf der Suche nach Dialog und Einheit. Unsere Welt hat dies dringend nötig, sie muss wieder zu Harmonie finden. Einer Harmonie, die sich hierzulande gut anhand eines traditionellen und typischen Musikinstruments veranschaulichen lässt, von dem ich gehört habe: der Dombra. Sie ist ein kulturelles Wahrzeichen und eines der wichtigsten Symbole Kasachstans, sodass ihr kürzlich sogar ein besonderer Tag gewidmet worden ist. Eben von der Dombra ausgehend, möchte ich nun einige Gedanken formulieren, die ich gerne mit euch teilen will.
Bei der Vorbereitung der Reise erfuhr ich, dass einige Versionen der Dombra bereits im Mittelalter gespielt wurden und dass sie über die Jahrhunderte hinweg der musikalischen Begleitung von Sagen und poetischen Werken diente und so die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet. Als Symbol der Kontinuität in der Vielfalt verleiht sie dem Gedächtnis des Landes einen Rhythmus und erinnert uns auf diese Weise daran, wie wichtig es ist, angesichts des raschen wirtschaftlichen und sozialen Wandels die Verbindung zum Leben derer, die uns vorausgegangen sind, nicht zu vernachlässigen, auch durch jene Traditionen, die es uns ermöglichen, die Vergangenheit und das, was wir ererbt haben, in Ehren zu halten. Ich denke da zum Beispiel an den schönen, hier weit verbreiteten Brauch, am Freitagmorgen zu Ehren der Vorfahren sieben Brote zu backen.
Kasachstan, das Papst Johannes Paul II. bei seiner Pilgerreise hierher als »Land der Märtyrer und der Gläubigen, Land der Deportierten und Helden, Land der Denker und Künstler« bezeichnete (Rede während der Begrüßungszeremonie, 22.9.2001), birgt in seinem
Gedächtnis eine ruhmreiche Geschichte
von Kultur, Menschlichkeit und Leid. Wie könnte man sich nicht insbesondere an
die Gefangenenlager und Massendeportationen erinnern, welche die Städte und unendlichen Steppen dieser Gegenden zu Schauplätzen der Unterdrückung vieler Volksgruppen machten? Doch die Kasachen haben sich von diesen Gewaltakten nicht einschüchtern lassen. Aus der Erinnerung an die Gefangenschaft ist ein Bemühen um Integration erwachsen. In diesem Land, das seit der Antike von großen Völkerwanderungen durchzogen wurde, möge die Erinnerung an die erlebten Leiden und Prüfungen zum unerlässlichen Rüstzeug für den Weg in die Zukunft werden, indem man die Würde des Menschen an die erste Stelle setzt – eines jeden Menschen und einer jeden ethnischen, sozialen und religiösen Gruppe.
Kehren wir zurück zur Dombra. Sie wird durch Zupfen ihrer beiden Saiten gespielt. Auch Kasachstan zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, »zwei parallele Saiten« in Einklang zu bringen: sehr kalte Temperaturen im Winter und sehr hohe im Sommer; Tradition und Fortschritt, wie das gut sichtbar wird am Nebeneinander von historischen und modernen Städten, wie dieser Hauptstadt. Vor allem aber klingen in diesem Land die Melodien zweier Seelen, der asiatischen und der europäischen, woraus sich die beständige Aufgabe ergibt, ein Verbindungsglied zwischen zwei Erdteilen zu sein (vgl. ders., Ansprache an die Jugendlichen, 23.9.2001); eine »Brücke zwischen Europa und Asien«, ein »Bindeglied zwischen Ost und West« (ders., Ansprache bei der Abschiedszeremonie, 25.9.2001). Die Saiten der Dombra erklingen gewöhnlich zusammen mit anderen Streichinstrumenten, die für diese Orte typisch sind. Die Harmonie reift und wächst im Ensemble, in der Vielstimmigkeit, die das soziale Leben harmonisch macht. »Die Quelle des Erfolgs ist die Einigkeit«, sagt ein schönes einheimisches Sprichwort. Wenn dies auch überall gilt, hier ganz besonders. Die rund hundertfünfzig ethnischen Gruppen und die mehr als achtzig Sprachen, die es im Land gibt, mit ihren unterschiedlichen Geschichten, kulturellen und religiösen Traditionen fügen sich zu einer außergewöhnlichen Symphonie und machen Kasachstan zu einem einzigartigen multiethnischen, multikulturellen und multireligiösen Labor und offenbaren seine besondere Berufung, Land der Begegnung zu sein.
Ich bin hier, um die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieses Aspekts zu unterstreichen, zu dem insbesondere die Religionen einen Beitrag leisten sollen; daher werde ich die Ehre haben, am VII. Kongress der Führer der Welt- und traditionellen Religionen teilzunehmen. Indem die Verfassung von Kasachstan das Land als weltanschaulich neutral definiert, sieht sie die Religions- und Glaubensfreiheit vor, ebenso wie die Freiheit, eine Religionszugehörigkeit abzulehnen und verbietet Zwangskonversion und Zwangsmitgliedschaft. Eine gesunde weltanschauliche Neutralität, die die wertvolle und unersetzliche Rolle der Religion anerkennt und dem Extremismus, der sie zerstört, entgegenwirkt, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gleichbehandlung aller Bürger sowie für die Förderung des Zugehörigkeitsgefühls zum Staat bei allen ethnischen, sprachlichen, kulturellen und religiösen Gruppen. Während die Religionen die unverzichtbare Aufgabe haben, das Absolute zu suchen und zu bezeugen, brauchen sie die Möglichkeit, sich frei zu äußern. Und so ist die Religionsfreiheit die beste Grundlage für ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben.
Es ist ein Bedürfnis, das im Namen dieses Volkes, im Wort »Kasache«, eingeschrieben ist und an eben dieses freie und unabhängige Wandeln erinnert. Der Schutz der Freiheit, einer Sehnsucht, die im Herzen eines jeden Menschen verankert und die einzige Voraussetzung dafür ist, dass die Begegnung zwischen Menschen und Gruppen eine wirkliche und keine künstliche ist, wird in der Zivilgesellschaft vor allem durch die Anerkennung von Rechten, die mit Pflichten einhergehen, umgesetzt. In diesem Sinne möchte ich die Bejahung des Wertes des menschlichen Lebens würdigen, wie sie durch die Abschaffung der Todesstrafe zum Ausdruck kommt, im Namen des Rechts auf Hoffnung für einen jeden Menschen. Daneben ist es wichtig, die Gedanken-, Gewissens- und Meinungsfreiheit zu gewährleisten, um der einzigartigen und gleichberechtigten Rolle Raum zu geben, die ein jeder Mensch für das Ganze spielt.
Auch in dieser Hinsicht kann uns die Dombra eine Anregung geben. Sie ist vor allem ein im Volk weit verbreitetes Instrument und kündet als solches von der Schönheit, den Geist und die Lebendigkeit eines Volkes zu bewahren. Diese Aufgabe obliegt in erster Linie den zivilen Behörden, die hauptverantwortlich für die Förderung des Gemeinwohls sind, und sie vollzieht sich in besonderer Weise in der Unterstützung der Demokratie, die die geeignetste Form ist, um die Macht in einen Dienst zum Wohle des gesamten Volkes und nicht nur einiger weniger zu verwandeln. Ich weiß, dass vor allem in den letzten Monaten ein Demokratisierungsprozess eingeleitet wurde, der auf eine Stärkung der Befugnisse des Parlaments und der lokalen Behörden und ganz allgemein auf eine größere Machtverteilung abzielt. Dies ist ein verdienstvoller und herausfordernder Weg, der sicherlich nicht kurz ist und verlangt, dass man weiter auf das Ziel zugeht, ohne sich umzudrehen. Tatsächlich steigt das Vertrauen in die Regierenden, wenn Versprechungen sich nicht als Mittel zum Zweck erweisen, sondern wahrhaftig umgesetzt werden.
Überall ist es nötig, dass sich Demokratie und Modernisierung nicht auf Ankündigungen beschränken, sondern in einen konkreten Dienst für die Bevölkerung münden: eine gute Politik, die den Menschen zuhört und auf ihre berechtigten Bedürfnisse antwortet, die die Zivilgesellschaft sowie Nichtregierungs- und humanitäre Organisationen kontinuierlich miteinbezieht, die eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber Arbeitnehmern, Jugendlichen und den schwächsten Bevölkerungsschichten hat. Und auch – das braucht jedes Land der Welt – Maßnahmen gegen die Korruption. Dieser wahrhaft demokratische Politikstil ist die wirksamste Antwort auf möglichen Extremismus, Personenkult und Populismus, die die Stabilität und das Wohlergehen der Völker bedrohen. Ich denke dabei auch an die Notwendigkeit einer gewissen wirtschaftlichen Sicherheit, die hier zu Beginn des Jahres in Gegenden gefordert wurde, in denen es trotz der reichlich vorhandenen Energieressourcen vielerlei Schwierigkeiten gibt. Diese Herausforderung betrifft nicht nur Kasachstan, sondern die ganze Welt, deren ganzheitliche Entwicklung durch eine weit verbreitete Ungerechtigkeit in Geiselhaft gehalten wird, weshalb die Ressourcen in ungleicher Weise verteilt sind. Und es ist die Aufgabe des Staates, aber auch der Privatwirtschaft, alle Bevölkerungsgruppen gerecht und mit gleichen Rechten und Pflichten zu behandeln und die wirtschaftliche Entwicklung nicht im Hinblick auf den Verdienst einiger weniger, sondern auf die Würde eines jeden Arbeitnehmers zu fördern.
Kehren wir ein letztes Mal zur Dombra zurück – die Leute werden sagen, dass dieser Papst ein Musiker ist. Sie verbindet Kasachs-tan mit verschiedenen umliegenden Ländern und trägt dazu bei, diese Kultur in der Welt zu verbreiten. Ich hoffe, dass in ähnlicher Weise auch der Name dieses großartigen Landes weiterhin ein Synonym für Harmonie und Frieden sein wird. Kasachstan ist ein Ort wichtiger geopolitischer Knotenpunkte. Es spielt daher eine entscheidende Rolle bei der Entschärfung von Konflikten. Unmittelbar nach den tragischen Anschlägen von 2001 kam Johannes Paul II. hierher, um Hoffnung zu säen. Ich komme hierher im Verlauf des wahnsinnigen und tragischen Krieges, der durch die Invasion der Ukraine ausgelöst worden ist, und während noch weitere Auseinandersetzungen und drohende Konflikte diese unsere Zeit gefährden. Ich komme, um den Schrei der Vielen zu verstärken, die um Frieden flehen, der für unsere globalisierte Welt ein wesentlicher Entwicklungsfaktor ist. Und eben dies ist der Frieden: ein wesentlicher Entwicklungsfaktor für unsere globalisierte Welt.
Die Notwendigkeit, das diplomatische Engagement zugunsten des Dialogs und der Begegnung zu erweitern, wird daher immer dringlicher, denn das Problem des einen ist heute das Problem aller, und wer in der Welt mehr Macht hat, trägt eine größere Verantwortung gegenüber den anderen, insbesondere gegenüber den Ländern, die am stärksten durch eine Logik des Konflikts erschüttert werden. Darauf sollte man achten und nicht nur auf die Interessen, die einem selbst zum Vorteil gereichen. Es ist an der Zeit, das Zuspitzen von Rivalitäten und das Verfestigen einander entgegengesetzter Blöcke zu vermeiden. Wir brauchen Führungspersönlichkeiten, die es den Völkern auf internationaler Ebene ermöglichen, einander zu verstehen und miteinander zu reden, und die einen neuen »Geist von Helsinki« aufkommen lassen, den Willen, den Multilateralismus zu stärken, um mit Blick auf die kommenden Generationen eine stabilere und friedlichere Welt aufzubauen. Und um dies zu tun sind Verständnis, Geduld und Dialog mit allen nötig. Ich wiederhole: mit allen.
Gerade mit Blick auf das weltweite Bemühen um Frieden bringe ich meine tiefe Anerkennung für den Verzicht auf Atomwaffen zum Ausdruck, den dieses Land entschieden vollzogen hat, sowie für die Entwicklung einer Energie- und Umweltpolitik, die sich auf die Dekarbonisierung und Investitionen in saubere Energiequellen konzentriert, was die Weltausstellung vor fünf Jahren besonders herausgestellt hat. Zusammen mit der Aufmerksamkeit für den interreligiösen Dialog und die Toleranz sind dies konkrete Samen der Hoffnung, die in den gemeinsamen Boden der Menschheit gepflanzt wurden und die wir nun für die kommenden Generationen pflegen müssen; für die jungen Menschen, auf deren Wünsche wir bei den Entscheidungen von heute und morgen sehen müssen. Der Heilige Stuhl ist euch auf diesem Weg nahe: Unmittelbar nach der Unabhängigkeit des Landes, vor dreißig Jahren, wurden diplomatische Beziehungen aufgenommen, und ich freue mich, das Land kurz vor diesem Jubiläum zu besuchen. Ich versichere euch, dass die Katholiken, die seit alters her in Zentral-asien präsent sind, weiterhin den Geist der Offenheit und des respektvollen Dialogs bezeugen wollen, der dieses Land auszeichnet. Und sie tun dies nicht in der Gesinnung des Proselytismus.
Herr Präsident, liebe Freunde, ich danke euch für den Empfang, den ihr mir bereitet habt und der von eurer weithin bekannten Gastfreundschaft zeugt, sowie für die Gelegenheit, diese Tage des geschwisterlichen Dialogs gemeinsam mit vielen führenden Religionsvertretern zu verbringen. Der Allmächtige segne die Berufung Kasachstans, dieses Landes der Begegnung, zu Frieden und Einheit. Euch, die ihr die vorrangige Verantwortung für das Gemeinwohl tragt, und jedem einzelnen seiner Bewohner gegenüber bringe ich meine Freude darüber zum Ausdruck, hier zu sein, sowie meinen Willen, alle Bemühungen um eine gedeihliche und harmonische Zukunft dieses großartigen Landes mit meinem Gebet und meiner Nähe zu begleiten. Raqmét! [Danke!] Gott segne Kasachs-tan!